Münsingen - Wo die Milch nicht unter Druck gesetzt wird

Ultrahocherhitzen, homogenisieren, standardisieren: Die Kleinmolkerei Biomilk lehnt das ab – weil dies das Naturprodukt zerstöre. (Bild: Adrian Moser, Der Bund)

Simon Jäggi / Der Bund

Manchmal hat Thomas Saurer einen Anrufer, der nach der Marketingabteilung fragt: «Ich leite weiter und verstelle die Stimme», scherzt der Geschäftsführer der Biomilk AG in Münsingen. Der Milchmarkt wird von vier grossen Fischen beherrscht - im Vergleich zu Emmi oder Elsa ist Biomilk nicht einmal eine Sardelle. Zehn Leute arbeiten im unscheinbaren Fabrikgebäude beim Münsinger Bahnhof. Die verarbeitete Milchmenge ist gering: 400 000 Liter Kuhmilch und 80 000 Liter Schafmilch - manche Dorfchäsi verarbeitet mehr. Geschäftsführer Saurer ist auch Produktentwickler, Personalchef - und Marketingchef.


Die Kleinheit hat auch Vorteile: Biomilk kann es sich leisten, alles etwas anders zu machen, was seit 23 Jahren ziemlich gut klappt, zumal die Milchmanufaktur über treue Kunden verfügt. Im letzten Jahr schloss mit dem Berner Bio-Supermarkt Vatter einer der grössten Verkaufspunkte der Münsinger Demeter-Joghurts. Doch dies drückte den Absatz nicht: Die Biomilk-Fans besorgen sich ihre Mango- oder Sanddorn-Kübelchen halt einfach in anderen Läden.

Kein industrielles Serienprodukt

Die Andersartigkeit der Biomilk-Produkte zeigt sich bei einer Besichtigung der Produktionsräume an den Maschinen - an jenen, die hier nicht stehen. In der Manufaktur befinden sich lediglich vier Pasteure - und diese stehen dazu noch offen. Pasteurisieren ist der einzige Prozess, der hier mit der Rohmilch durchgeführt wird - ohne dass sie dabei unter Druck gesetzt wird. Sie wird weder homogenisiert noch standardisiert. Bei der Homogenisierung werden unter hohem Druck vorhandene Fettglobule verkleinert, damit die Milch nicht aufrahmt. Bei der Standardisierung wird aus dem Naturprodukt ein industrielles Serienprodukt gemacht: Die Rohmilch wird in Magermilch und Rahm aufgetrennt und wieder zusammengeführt, um einen einheitlichen Fettgehalt herzustellen.

Fettgehalt und Firmenphilosophie

«Diese Verfahren zerstören die Milch», ist Saurer überzeugt. Er räumt aber ein, dass dies naturwissenschaftlich nicht zu belegen sei. Sicher ist, dass die Joghurts oder Desserts, die hier übers Fliessband laufen, ständig einen anderen Fettgehalt haben. Er variiert aufgrund der Jahreszeit, der Fütterung und des Milchzyklus der Kühe. «Der Gehalt variiert sogar ziemlich stark», sagt der 38-Jährige - in einem Tonfall, als würde er etwas Subversives erzählen. Saurer hat Lebensmitteltechnologie studiert und arbeitete zuvor bei einem Lebensmittelkonzern, dessen Namen niemand kennt, der aber Marmeladen für einen Grossteil der Schweizer Joghurts herstellt. Glücklich wurde er dabei nie: «Ich hatte keine Beziehung zu den Produkten.»

Das ist bei Biomilk anders. Ideen für neue Joghurts entstehen manchmal in der Kaffeepause. Ausprobiert werden sie in einem kleinen Labor - kaum grösser als eine Besenkammer. Hier entstand letzthin eine Joghurtlinie mit Wildfrüchten, unter anderem mit dem fast vergessenen Tierlibaum. Dass man auf sämtliche künstliche Zusatzstoffe verzichtet, macht auch den Einkauf kniffliger. Da Biomilk keine Farbstoffe verwendet, müssen die Früchte zur Färbung beitragen. «In der Schweiz werden beispielsweise keine Erdbeeren angebaut, die innen rot sind.» Für die Industrie zu produzieren, ist aber finanziell wenig attraktiv, daher werden entsprechende Sorten hierzulande kaum gepflanzt. Gerne würde man häufiger auf regionale Rohstoffe zurückgreifen, sagt Saurer, aber die meisten Rohstoffe müssten aus dem Ausland importiert werden, aus Osteuropa oder Italien.

Im Ort kennt sie kaum jemand

Der Geschäftsführer ist kein Schönfärber. Er räumt ein, dass man vieles besser machen könnte. Biomilk wurde als eine Art Selbsthilfeorganisation vom Biohandel und von Bauern gegründet. Zehn Bauern beliefern den Kleinbetrieb heute, alle arbeiten nach den Richtlinien von Bio Suisse und Demeter. Den Bauern werden fixe Milchpreise garantiert. Vor eineinhalb Jahren musste dieser auf 1.05 Franken gesenkt werden - nachdem er sechs Jahre stabil gewesen war. Zum Vergleich: Emmi bezahlt pro Liter Milch 64 Rappen. Gespart wurde auch beim Personal: «Wir rasselten Vollgas auf den Abgrund zu.» Inzwischen habe man sich wieder gefangen, doch sei stetig ein leichtes Wachstum nötig, um überleben zu können.

Daher versucht Saurer neue Absatzkanäle zu finden: Biomilk produziert inzwischen für Coop (Fine-Food-Panna-cotta) und Manor (Bio-Joghurts). Das seien aber Brosamen, welche die Grossen übrig liessen. Und obwohl Biomilk regional stark verankert sei, spiele man diesen Trumpf kaum aus. «In Münsingen wissen die wenigsten Leute, dass es uns gibt.» Bei der Werbung für regionale Produkte seien Migros und Coop paradoxerweise viel besser, stellt Saurer selbstkritisch fest. Allerdings muss dort in der Marketingabteilung niemand die Stimme verstellen.

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Erstellt: 22.11.2012
Geändert: 22.11.2012
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