Münsingen - Nun sind psychisch Kranke im Visier
Statt bei Behinderten und Spitex-Leistungen will die Finanzkommission des Parlaments mehr bei der Psychiatrie sparen. Die Klinik Münsingen droht nun, Langzeitpatienten auf die Strasse stellen zu müssen.
Matthias Raaflaub, Der Bund
Es sei unverantwortbar, bei Behinderten zu sparen, hiess es vor einer Woche fast unisono von den bernischen Kantonsparlamentariern. Die Aussicht, dass Heime erwachsene Schwerstbehinderte «vor die Tür setzen» müssten, weil deren Pflege nicht mehr zu finanzieren sei, schreckte die Politik auf. Das sei nicht verantwortbar, denn es gehe um die Schwächsten im Kanton Bern, mahnten plötzlich auch die Bürgerlichen.
Die Finanzkommission des Parlaments (Fiko), die sich vor der Beratung in der Novembersession über das kantonale Sparpaket ASP gebeugt hat, nimmt die sensiblen Bereiche im Sozialbereich denn nun auch von der Sparübung aus. Vergangene Woche präsentierte sie ihren Vorschlag: Die Heime werden von Kürzungen im Umfang von 27,7 Millionen verschont. Auch die Pflegeleistungen der Spitex werden verschont. Weil dieses Geld nun anderswo eingespart werden muss, greift die Fiko aber zu jenen Sparmassnahmen, von welchen die Regierung dringend abgeraten hat, weil sie nicht vertretbar seien.
6,6 Millionen Franken pro Jahr sollen jetzt zusätzlich bei der Psychiatrie geholt werden. «Keine Mitfinanzierung des Aufenthalts nicht spitalbedürftiger Personen» heisst die Sparmassnahme sperrig auf dem Papier. «Sparen bei den Schwächsten der Schwachen», nennt es Rolf Ineichen, Direktor des Psychiatriezentrums Münsingen (PZM).
Psychisch Kranke statt Behinderte
Ineichen skizziert die Folgen des neuen Sparvorhabens auf Anfrage ähnlich, wie es zuvor bei Behinderten- und Pflegeheimen getönt hat. Jetzt drohe, dass chronisch psychisch kranke Menschen ihr Zuhause verlören. Sie würden ihre Plätze in den psychiatrischen Institutionen wie dem PZM verlieren. «Ich habe den Ansatz der Fiko sehr begrüsst, nicht bei den Schwächsten zu sparen», sagt Ineichen. Genau das drohe jetzt aber.
Betroffen sind psychiatrische Langzeitpatienten. Laut Ineichen geht es nur in der Klinik in Münsingen um 52 Personen. Es ist eine besondere Gruppe von Patienten. «Diese Gruppe hat meist eine lange Geschichte», sagt Ineichen. Die Patienten sind meist älter, und sie haben schon 15, 20 oder sogar 60 Jahre in der Psychiatrie verbracht. Der älteste Langzeitpatient in Münsingen ist 99 Jahre alt. Diese Personen kommen aus dem ganzen Kanton. Was ihnen gemein ist: Es wäre besser, wenn sie nicht in der Akut-Klinik untergebracht wären. Doch Alternativen gibt es im Kanton für sie derzeit nicht. «Man ist seit langem daran, Anschlusslösungen für diese Personen zu suchen», sagt Klinikdirektor Ineichen.
Allerdings seien bei den meisten von ihnen mehrere Versuche gescheitert, sie von der Klinik in ein offeneres Angebot zu übergeben. Die Langzeitpatienten sind nicht auf einen stationären Aufenthalt angewiesen, also etwa nicht wegen einer Krise lebensgefährlich bedroht. Allerdings benötigten sie psychiatrische Pflege, da sie gemäss Ineichen häufig chronisch an Wahn litten, «sehr leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen» und zum Teil gewalttätig seien.
2,3 Millionen würden fehlen
Doch wer zahlt für die lange Unterbringung? Der Kanton füllte hier bis jetzt eine Lücke aus. Die Versicherungen bezahlen für 60 Tage Akutbehandlung. Danach sinken die Beiträge. Wenn die Unterbringung in der Klinik nicht mehr als medizinisch notwendig gilt, kommen nur noch Anteile für die Langzeitpflege zum Tragen. Die Kosten verteilen sich dann auf Versicherung, Patient und Kanton. Bisher leistet der Kanton Bern 200 Franken pro Tag und Patient an diese ungedeckten Kosten, 120 davon will die Fiko nun streichen.
Würde der Sparvorschlag umgesetzt, fehlten im Psychiatriezentrum Münsingen 2,3 Millionen Franken pro Jahr, sagt Ineichen. Unter diesen Bedingungen könne das PZM Langzeitpatienten nicht mehr behalten oder aufnehmen, sagt Ineichen. Offen sei auch, was dann mit ihnen geschähe. Im Kanton Bern gibt es keine nicht klinischen Pflegeinstitutionen, welche die Patienten aufnehmen könnten. Höchstens Heime springen in manchen Fällen in die Bresche. Unter dem Spardruck wird aber auch dort die Aufnahme der zeitintensiven Patienten schwieriger. Irgendjemand müsse aber für deren Versorgung aufkommen, sagt Ineichen. Dieses Sparvorhaben würde darum nur funktionieren, «wenn sich diese Patienten in Luft auflösen», sagt er. Darum wollen die Psychiatriekliniken des Kantons die Parlamentarier vor den Konsequenzen warnen. Sie werden die Fraktionen vor der entscheidenden Spardebatte anschreiben.
Keine detaillierten Abklärungen
Die Kantonsregierung behält ihren Standpunkt. Jean-Philippe Jeannerat, Sprecher der Gesundheits- und Fürsorgedirektion, sagt auf Anfrage, die Massnahme sei von der Regierung als «zwar technisch machbar, aber wegen der möglicherweise schweren Folgen als nicht vertretbar» eingeschätzt worden. Die Mehrheit der Kommission sah das aber anders. SVP, BDB, FDP, EVP und GLP stehen hinter dem Sparvorschlag.
Verträgliche Massnahmen gebe es beim aktuellen Stand der Spardebatte mittlerweile nirgendwo mehr, sagt EVP-Mitglied Hans Kipfer. «Jede neue Massnahme aus dem Spartopf 2 hat Konsequenzen und tut weh, das ist uns völlig klar», sagt auch Mathias Tromp (BDP). Es sei aber nicht Kernaufgabe der Kliniken, jene Patienten, für die man offensichtlich günstigere Lösungen finden könne, auf Dauer bei sich aufzunehmen. Die Kommission habe sich vom Grundsatz «ambulant vor stationär» leiten lassen und deshalb, wenn schon, im stationären Bereich der laut ASP ohnehin überdurchschnittlich teuren Psychiatrie sparen wollen, sagt SVP-Grossrat Jürg Iseli, Präsident der Fiko.
Gleich tönt es bei den Freisinnigen. Man habe gewusst, worum es bei diesen Massnahmen gehe, heisst es von bürgerlichen Kommissionsmitgliedern, «für genauere Abklärungen haben wir zu wenig Zeit gehabt», schränkt Fiko-Chef Iseli aber ein. Die GLP legt den Finger auf die fehlenden Angebote. Franziska Schöni-Affolter sagt: «Für diese Langzeitpatienten hätte die Regierung Plätze finden müssen. Wir müssen jetzt mehr Druck machen, damit etwas geht.»
Gegen die Massnahme sind SP und Grüne. Die Folgen für die Patienten seien nicht reflektiert worden, sagt Roland Näf (SP). Er hält den Sparvorschlag, wie alle anderen Vorschläge in der Psychiatrie, für inakzeptabel. Die SP will daher den Vorschlag noch mit einem Antrag im Parlament bodigen. Natalie Imboden (Grüne) spricht von einer «willkürlichen und zu einem gewissen Grad fahrlässigen Massnahme». Die Psychiatrie-Kranken gehörten wie Behinderte zu den verletzlichsten Personengruppen. Die Verschiebung der Einsparung sei daher nicht nachvollziehbar.
Die Finanzkommission des Parlaments (Fiko), die sich vor der Beratung in der Novembersession über das kantonale Sparpaket ASP gebeugt hat, nimmt die sensiblen Bereiche im Sozialbereich denn nun auch von der Sparübung aus. Vergangene Woche präsentierte sie ihren Vorschlag: Die Heime werden von Kürzungen im Umfang von 27,7 Millionen verschont. Auch die Pflegeleistungen der Spitex werden verschont. Weil dieses Geld nun anderswo eingespart werden muss, greift die Fiko aber zu jenen Sparmassnahmen, von welchen die Regierung dringend abgeraten hat, weil sie nicht vertretbar seien.
6,6 Millionen Franken pro Jahr sollen jetzt zusätzlich bei der Psychiatrie geholt werden. «Keine Mitfinanzierung des Aufenthalts nicht spitalbedürftiger Personen» heisst die Sparmassnahme sperrig auf dem Papier. «Sparen bei den Schwächsten der Schwachen», nennt es Rolf Ineichen, Direktor des Psychiatriezentrums Münsingen (PZM).
Psychisch Kranke statt Behinderte
Ineichen skizziert die Folgen des neuen Sparvorhabens auf Anfrage ähnlich, wie es zuvor bei Behinderten- und Pflegeheimen getönt hat. Jetzt drohe, dass chronisch psychisch kranke Menschen ihr Zuhause verlören. Sie würden ihre Plätze in den psychiatrischen Institutionen wie dem PZM verlieren. «Ich habe den Ansatz der Fiko sehr begrüsst, nicht bei den Schwächsten zu sparen», sagt Ineichen. Genau das drohe jetzt aber.
Betroffen sind psychiatrische Langzeitpatienten. Laut Ineichen geht es nur in der Klinik in Münsingen um 52 Personen. Es ist eine besondere Gruppe von Patienten. «Diese Gruppe hat meist eine lange Geschichte», sagt Ineichen. Die Patienten sind meist älter, und sie haben schon 15, 20 oder sogar 60 Jahre in der Psychiatrie verbracht. Der älteste Langzeitpatient in Münsingen ist 99 Jahre alt. Diese Personen kommen aus dem ganzen Kanton. Was ihnen gemein ist: Es wäre besser, wenn sie nicht in der Akut-Klinik untergebracht wären. Doch Alternativen gibt es im Kanton für sie derzeit nicht. «Man ist seit langem daran, Anschlusslösungen für diese Personen zu suchen», sagt Klinikdirektor Ineichen.
Allerdings seien bei den meisten von ihnen mehrere Versuche gescheitert, sie von der Klinik in ein offeneres Angebot zu übergeben. Die Langzeitpatienten sind nicht auf einen stationären Aufenthalt angewiesen, also etwa nicht wegen einer Krise lebensgefährlich bedroht. Allerdings benötigten sie psychiatrische Pflege, da sie gemäss Ineichen häufig chronisch an Wahn litten, «sehr leicht aus dem Gleichgewicht zu bringen» und zum Teil gewalttätig seien.
2,3 Millionen würden fehlen
Doch wer zahlt für die lange Unterbringung? Der Kanton füllte hier bis jetzt eine Lücke aus. Die Versicherungen bezahlen für 60 Tage Akutbehandlung. Danach sinken die Beiträge. Wenn die Unterbringung in der Klinik nicht mehr als medizinisch notwendig gilt, kommen nur noch Anteile für die Langzeitpflege zum Tragen. Die Kosten verteilen sich dann auf Versicherung, Patient und Kanton. Bisher leistet der Kanton Bern 200 Franken pro Tag und Patient an diese ungedeckten Kosten, 120 davon will die Fiko nun streichen.
Würde der Sparvorschlag umgesetzt, fehlten im Psychiatriezentrum Münsingen 2,3 Millionen Franken pro Jahr, sagt Ineichen. Unter diesen Bedingungen könne das PZM Langzeitpatienten nicht mehr behalten oder aufnehmen, sagt Ineichen. Offen sei auch, was dann mit ihnen geschähe. Im Kanton Bern gibt es keine nicht klinischen Pflegeinstitutionen, welche die Patienten aufnehmen könnten. Höchstens Heime springen in manchen Fällen in die Bresche. Unter dem Spardruck wird aber auch dort die Aufnahme der zeitintensiven Patienten schwieriger. Irgendjemand müsse aber für deren Versorgung aufkommen, sagt Ineichen. Dieses Sparvorhaben würde darum nur funktionieren, «wenn sich diese Patienten in Luft auflösen», sagt er. Darum wollen die Psychiatriekliniken des Kantons die Parlamentarier vor den Konsequenzen warnen. Sie werden die Fraktionen vor der entscheidenden Spardebatte anschreiben.
Keine detaillierten Abklärungen
Die Kantonsregierung behält ihren Standpunkt. Jean-Philippe Jeannerat, Sprecher der Gesundheits- und Fürsorgedirektion, sagt auf Anfrage, die Massnahme sei von der Regierung als «zwar technisch machbar, aber wegen der möglicherweise schweren Folgen als nicht vertretbar» eingeschätzt worden. Die Mehrheit der Kommission sah das aber anders. SVP, BDB, FDP, EVP und GLP stehen hinter dem Sparvorschlag.
Verträgliche Massnahmen gebe es beim aktuellen Stand der Spardebatte mittlerweile nirgendwo mehr, sagt EVP-Mitglied Hans Kipfer. «Jede neue Massnahme aus dem Spartopf 2 hat Konsequenzen und tut weh, das ist uns völlig klar», sagt auch Mathias Tromp (BDP). Es sei aber nicht Kernaufgabe der Kliniken, jene Patienten, für die man offensichtlich günstigere Lösungen finden könne, auf Dauer bei sich aufzunehmen. Die Kommission habe sich vom Grundsatz «ambulant vor stationär» leiten lassen und deshalb, wenn schon, im stationären Bereich der laut ASP ohnehin überdurchschnittlich teuren Psychiatrie sparen wollen, sagt SVP-Grossrat Jürg Iseli, Präsident der Fiko.
Gleich tönt es bei den Freisinnigen. Man habe gewusst, worum es bei diesen Massnahmen gehe, heisst es von bürgerlichen Kommissionsmitgliedern, «für genauere Abklärungen haben wir zu wenig Zeit gehabt», schränkt Fiko-Chef Iseli aber ein. Die GLP legt den Finger auf die fehlenden Angebote. Franziska Schöni-Affolter sagt: «Für diese Langzeitpatienten hätte die Regierung Plätze finden müssen. Wir müssen jetzt mehr Druck machen, damit etwas geht.»
Gegen die Massnahme sind SP und Grüne. Die Folgen für die Patienten seien nicht reflektiert worden, sagt Roland Näf (SP). Er hält den Sparvorschlag, wie alle anderen Vorschläge in der Psychiatrie, für inakzeptabel. Die SP will daher den Vorschlag noch mit einem Antrag im Parlament bodigen. Natalie Imboden (Grüne) spricht von einer «willkürlichen und zu einem gewissen Grad fahrlässigen Massnahme». Die Psychiatrie-Kranken gehörten wie Behinderte zu den verletzlichsten Personengruppen. Die Verschiebung der Einsparung sei daher nicht nachvollziehbar.