Münsingen - Mutter und Sohn müssen gehen

Heute müssen Julia Bondarenko und ihr Sohn Artur die Schweiz verlassen. Fast zehn Jahre haben sie in der Schweiz verbracht.

Johannes Reichen, Berner Zeitung BZ
Eine grosse graue Tasche steht in der Ecke der Wohnung. Sie ist vollgepackt mit einem alten Leben in der Schweiz. Mit dem, was davon eben Platz hat in einer Reisetasche. Mit dem, was bleiben wird von diesem Leben.

Die Tasche gehört Julia Bondarenko. Ihr Leben in der Schweiz dauerte rund zehn Jahre. Heute, so sieht es aus, wird es zu Ende gehen. Nach einem Flug wird Julia Bondarenko die Tasche am Flughafen in Moskau in Empfang nehmen. Was dann geschieht, das weiss sie noch nicht. Und ohnehin hofft sie noch, dass es nicht so weit kommt. «Diese Hoffnung stirbt zuletzt», sagt sie.

Am Freitagmittag sitzt sie in ihrer Wohnung in Münsingen und erzählt in schnellen, energischen Worten ihre Geschichte. Es ist auch diejenige ihres Sohnes. Artur stammt aus ihrer ersten Ehe, er ist 15 Jahre alt und lebt seit acht Jahren in der Schweiz. Auch er muss nun nach Russland zurückkehren. Beide haben sie nur noch ihre russischen Pässe. «Wir sind illegal hier», sagt sie. «Aber ich bin keine Kriminelle, ich bin keine Gefahr für die Schweiz.»

Ab 2000 arbeitete Bondarenko als Tänzerin in der Schweiz. 2003 heiratete sie einen Schweizer und holte kurz darauf ihren Sohn in die Schweiz. Doch sie sei an den falschen Mann geraten, sagt sie. Der Mann begann Drogen zu konsumieren – und dann mit Thai-Pillen zu handeln. Es wurde ein grosses Geschäft daraus, es wurde in den eigenen vier Wänden in Münsingen abgewickelt.

2005 beschlagnahmte die Polizei in der Familienwohnung in Münsingen mehrere Tausend Pillen. Sie nahm das Ehepaar fest. Ihr damaliger Mann sitzt noch heute eine mehrjährige Gefängnisstrafe ab. Ende 2011 habe sie sich von ihm geschieden, sagt Bondarenko. Aber auch sie wurde verurteilt. Darum sieht sie sich nicht nur als Opfer ihres damaligen Mannes, sondern auch als Opfer der Justiz.

«Ich war von meinem Mann abhängig», sagt sie, sie habe sich nicht gegen ihn wehren können. «Er war aggressiv.» Zeitweise lebte sie in einem Frauenhaus. Und dann habe sie für seine Taten büssen müssen.

Das Kreisgericht Konolfingen verurteilte sie 2007 wegen Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz und Geldwäscherei, auch «teilweise bandenmässig», zu einer bedingten Gefängnisstrafe von zwei Jahren. Das Obergericht erhöhte diese Strafe später, wurde dann vom Bundesgericht zurückgepfiffen. Es blieb bei zwei Jahren. Und sie verlor die Aufenthaltsbewilligung. Das bernische Amt für Migration und Personenstand verfügte 2009 die Wegweisung aus der Schweiz.

Kein Härtefall

Gegen dieses Urteil wehrt sie sich seither mit ihrem Anwalt Thomas Marfurt. «Wir sind von Pontius zu Pilatus gelangt», sagt er. «Aber man will die Bondarenkos einfach nicht als Härtefall betrachten.»

Sein Verständnis dafür endet insbesondere bei Artur, der für eine Tat bestraft wird, «für die er gar nichts kann». Aber auch für die Frau sei es ein harter Schlag. «Sie hat sich aus eigener Kraft aus der Sozialhilfe befreit», sagt Marfurt, «sie arbeitet und hat sich sonst nie etwas zuschulden kommen lassen.» Doch das Migrationsamt erteilte keine Härtefallbewilligung und lehnte im Februar auch eine aufschiebende Wirkung der Wegweisung ab. Es nahm gestern keine Stellung zu dem Fall.

Support aus Münsingen

Bondarenkos scheinen sich sehr gut integriert zu haben. Aus Münsingen erhalten sie Unterstützung. Die Leitung und Lehrerschaft von Arturs Schule setzte sich mit einem Brief an den Regierungsrat ein: «Er hat sich mit grossem Eifer und Elan in die hiesige Gesellschaft eingefügt. Zielstrebig hat er sich die deutsche und berndeutsche Sprache zu Eigen gemacht», schrieben die Schulbehörden.

«Das Verfahren dauerte viel zu lange», sagt Willi Hermann, Leiter der Sekundarstufe im Schulzentrum Rebacker, «das ist unglücklich.» Der Junge müsse nun in eine Gesellschaft zurück, die er nicht kenne. Und Artur sagt, er spreche kaum Russisch.

Selbst die Ex-Präsidentin der SVP Münsingen, Monika Heinis, sagt: «Menschlich ist das einfach falsch.»

Fehler gefunden?
Statistik

Erstellt: 31.08.2012
Geändert: 31.08.2012
Klicks heute:
Klicks total: