Münsingen - Im Wasser fühlen sie sich frei
Die Stiftung Viva erhält den Sportpreis der Gemeinde – auch dank drei Schwimmern. Im Wasser spielen ihre Behinderungen keine Rolle.
«Haltet euch an mir fest», sagt Long Ly zu seinen beiden Kolleginnen, «dann gehen wir wenigstens zusammen unter.» Es ist Trainingsabend im Hallenbad von Grosshöchstetten. Susanne Egger und Sonja Zahler zappeln im Wasser mit Armen und Beinen, halten sich an Ly fest. Und gehen fast zusammen unter. Aber dann recken sie die Köpfe aus dem Wasser, holen tief Luft und lachen in die Kamera.
Egger, Zahler und Ly haben eine Behinderung. Alle werden sie von der Stiftung Viva in Münsingen betreut. Sie haben an den letztjährigen National Games in Bern teilgenommen. Und an diesen Wettkämpfen für Menschen mit geistiger Behinderung haben sie alle drei eine Medaille im Schwimmen gewonnen.
Gestern Abend erhielten sie noch eine weitere Auszeichnung: Die Gemeinde Münsingen verlieh den Sportpreis an die Stiftung Viva. Die Athleten dieser Institution holten an den Spielen acht Medaillen. «Wir haben allein die sportlichen Leistungen beurteilt», sagt Gemeinderat Christoph Maurer (Grüne). «Und die waren stark.»
Erfolg in Bern
Die Medaillen wie auch der Preis haben im Heim für grosse Freude gesorgt. «Das macht unsere Leute stolz», sagt Leiterin Yvonne Beuret. Viele hätten sich die Teilnahme an den Spielen zuerst gar nicht zugetraut. «Diese Erfolge sind gut für ihr Selbstvertrauen.» Die Stiftung betreut Menschen mit leichten bis mittelschweren Behinderungen und bietet 26 geschützte Arbeits- und Beschäftigungsplätze sowie 15 Wohnplätze an. Der finanzielle Spielraum für sportliche Aktivitäten sei zwar klein, sagt Beuret. «Aber wer Sport macht, wird unterstützt.»
So wie Ly. Er wird seit 1999 von Viva betreut. Zugleich ist er selbst ein Mitarbeiter, er gehört zum Team «Haus & Garten». Ins Hallenbad ist er darum nicht nur als Schwimmer gekommen, sondern auch als Betreuer. Beim Gehen merkt man ihm seine Behinderung an.
Der 38-Jährige ist halbseitig gelähmt. «Ich habe das schon seit dem ersten Lebensjahr», sagt Ly. «Ich habe gelernt, damit umzugehen.» Zusammen mit seiner Frau und zwei Kindern lebt er in Bolligen. Schwimmen ist seit über zehn Jahren sein Hobby. Dreimal in der Woche besucht er frühmorgens das Hallenbad am Hirschengraben. Er selbst wäre nicht auf die Idee gekommen, an den National Games mitzumachen. Doch als Bezüger einer IV-Rente war er berechtigt dazu – prompt holte er Silber im Freistil. «Es war ein wunderschönes Erlebnis», sagt Ly.
Getragen im Wasser
Susanne Egger ist mehrfach behindert, hat einen Rollstuhl, beim Gehen ist sie auf Hilfe angewiesen. Denn sie hat Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten. «Aber im Wasser merke ich davon nichts», sagt Egger, die in dieser Woche ihren 35. Geburtstag feierte. «Denn das Wasser trägt einen.»
Beim Wettkampf im Berner Wylerbad erreichte sie das Ziel als Zweite. Doch weil die Siegerin disqualifiziert wurde, gabs für sie am Ende Gold. «Es war so schön auf dem Podest», erinnert sie sich. Wie ihre Kollegen hatte sie auch eifrig für den Wettkampf trainiert. Neben dem gemeinsamen Montagsschwimmen erhielt sie während eines halben Jahres Einzelunterricht.
Auch Sonja Zahler, 34-jährig, sitzt im Rollstuhl. In der Stiftung arbeitet sie wie Egger in der Textilwerkstatt. Sie macht in der Viva-Band mit und schwimmt gerne. Allein kann sie aber nicht ins Wasser steigen. Darum setzt sie sich auf einen Stuhl und wird von einem Kran ins Bad gehievt. In Bern holte sie Bronze im Rückenschwimmen. «Sobald ich im Wasser bin», sagt sie, «bin ich frei.»
Ein grosses Ziel
In Grosshöchstetten sind die drei Schwimmer längst im Wasser, und so haben sie ihre Behinderungen schon fast vergessen. Long Ly pflügt sich im Crawl durchs Wasser. Sonja Zahler schwimmt Rücken.
Und Susanne Egger kommt noch einmal an den Beckenrand. Sie möchte noch etwas sagen. Sie strahlt. «Bei den nächsten Spielen will ich unbedingt wieder mitmachen.»