Münsingen - Freie Wähler im freien Fall
Die Zukunft der Freien Wähler ist ungewiss. Nicht auszuschliessen ist, dass sie sich einer anderen Partei anschliessen. Damit ginge eine lange Geschichte zu Ende.
An Donnerstag trifft sich die Spitze der Freien Wähler Münsingen (FWM) zur Vorstandssitzung. Nach den Wahlen vom Sonntag ist klar: Es gibt eine Krisensitzung. Die FWM verloren im Parlament drei von fünf Sitzen. Innerhalb von zwölf Jahren erlebte die Partei also einen beispiellosen Niedergang (siehe Grafik). Auch im Gemeinderat verlor die Partei einen Sitz - was aber bereits mit der Rücktrittsankündigung von FWM-Gemeindepräsident Erich Feller quasi beschlossene Sache war.
Lange Geschichte
Ganz unerwartet kommt das Debakel im Parlament nicht. «Mit einem Sitzverlust haben wir gerechnet», sagt Präsident Urs Münger. Das Ausmass erstaunt ihn doch. «Jetzt müssen wir gründlich über die Bücher.» Die Partei stellt sich gar selbst infrage, der Anschluss an eine national aktive Partei wird diskutiert. «Wir haben schon im Vorfeld der Wahlen Gespräche mit der GLP geführt», sagt Münger. Dabei ist die Geschichte der Freien Wähler eine Erfolgsgeschichte, die fast hundert Jahre zurückreicht. Sie wurden 1926 als «unabhängige Wählergruppe» von Gewerbetreibenden gegründet, weiss Marianne Mägert. Sie war lange Jahre Parteipräsidentin und vorgestern Sonntag mit ihrer Wiederwahl in den Gemeinderat für den einzigen FWM-Lichtblick besorgt.
Beim Start gaben sich die Unabhängigen bescheiden. Sie hätten die «Absicht, nicht als Kampftruppe aufzutreten». Im Jahr 1945 stellten sie zum ersten Mal den Gemeindepräsidenten, wie man im Buch zur Ortsgeschichte von 2010 nachlesen kann. «Zeitweise verfügte die Gruppierung im neunköpfigen Gemeinderat über vier Sitze», sagt Mägert. 1967 kamen die Freien Wähler zum heutigen Namen.
Dominant im Parlament
Als in Münsingen 2002 das Gemeindeparlament eingeführt wurde, räumten die Freien Wähler gleich ab. Bei den ersten Wahlen holten sie neun von dreissig Sitzen. Und dank Erich Feller, dem Gemeindepräsidenten aus den eigenen Reihen, waren sie in den letzten zwölf Jahren auch im Gemeinderat stets die stärkste Kraft im Dorf.
Diese Zeiten sind passé. Gleich drei bisherige Parlamentarier wurden am Sonntag nicht mehr gewählt (das gleiche Schicksal ereilte übrigens die SP). Problemlos schaffte einzig Ueli Schweizer die Wahl.
Zusammengewürfelt
Schweizer, seit 2006 Mitglied des Parlaments, hat mehrere Erklärungen für die Wahlschlappe. Zum einen machten neue Mitteparteien den FWM das Leben schwer: 2009 kam die BDP hinzu, dieses Jahr die GLP. Zum anderen hätten die Freien Wähler kein scharfes Profil wie die nationalen Parteien. «Auch sind wir eine zusammengewürfelte Truppe.» Wie auch Mägert betont, werde die Meinung jedes Einzelnen hochgehalten. «Sonst wären wir ja nicht frei.» Schliesslich, so Schweizer, sei es nicht unbedingt ein Vorteil, dass die Partei zwölf Jahre lang den Gemeindepräsidenten gestellt habe. «Damit konnten wir nicht pointierte Oppositionspolitik betreiben wie jetzt etwa Reto Gertsch.» Der aufmüpfige SVP-ler wurde am Sonntag einem Spitzenresultat in den Gemeinderat gewählt. Vielleicht müssten die Freien Wähler 87 Jahre nach der Gründung doch noch zur «Kampftruppe» werden, um überleben zu können.