Münsingen - "Es geht auch um eine menschliche Aufgabe"
Viele Orchester kämpfen ums Überleben. Anders das Orchester Münsingen: Am Samstag feiert es bei bester Gesundheit seinen 100. Geburtstag. Was ist das Geheimnis des langen Atems? Ein Probenbesuch vor dem Galakonzert.
Oliver Meier, Berner Zeitung BZ
Stolze 50 Jahre leitet Hans Gafner nun schon das Orchester Münsingen. Nichts könnte ihn davon abhalten, am Samstag das Galakonzert zum 100. Geburtstag des Orchesters zu dirigieren. Gar nichts? Gafner (78) eröffnet die Probe in der Aula Schlossmatt. Der Dirigent sitzt auf einem Stuhl, die Krücken hat er beiseitegelegt. Gafner hält eine kurze Eröffnungsrede. «Diskushernie», sagt er, «Bandscheibenvorfall», drei Wochen ist es her. Eine üble Sache. Gafner indes hat den (Galgen-)Humor nicht verloren. Man habe, sagt er, im Vorstand mit dem Gedanken gespielt, ersatzweise den Chef der Berliner Philharmoniker einzufliegen. Schliesslich habe man aber davon abgesehen.
Viele Lehrer im Orchester
Ein weiser Entscheid. Gafner ist das Herz dieses Orchesters. Und mindestens schon die halbe Antwort auf die Frage, weshalb es diesen Klangkörper noch immer gibt, während andere zu kämpfen haben, nicht nur Profiorchester im In- und Ausland, auch und gerade Laienensembles, wie das Orchester Münsingen eines ist.
22 Streicherinnen, 10 Streicher spielen mit, nur die Stimmführer sind Profis. Die meisten arbeiten als Lehrerinnen und Lehrer, andere als Sozialarbeiter, Architekten, Therapeuten. Auch ein Arzt ist dabei. Immerhin. Schliesslich galt das Münsinger in den ersten Jahren als «Doktorenorchester»: Sechs Ärzte, drei Lehrer, ein Fürsprecher und die Frau Pfarrer hielten die Hochkultur in Ehren – und schlugen sich mit schnöden Finanzen herum. «Die Einnahmen betragen 21.40, die Ausgaben dagegen 21.80», hiess es besorgt im Protokoll der ersten Hauptversammlung. Umgehend wurden Massnahmen ergriffen. Der Mitgliederbeitrag stieg von 40 auf 50 Rappen.
Heute steht das Orchester auf solidem Grund. Rund ein Drittel der Mittel stammt aus Mitgliederbeiträgen und Spenden. Seit einigen Jahren gibt es einen Leistungsvertrag mit der Gemeinde, und auch die Kirchgemeinde zahlt mit. Hinzu kommen die Konzerteinnahmen: Drei Auftritte pro Jahr sind die Regel, das Abokonzert im Schlossgutsaal lockt bis zu 450 Leute an. «Die Zuhörer sind ebenso treu wie die Musizierenden», so Gafner. Nachwuchsprobleme? «Kennen wir kaum.» Die Verbindungen zur lokalen Musikschule sind ebenso eng wie zur Kantorei. Gafner, der frühere Musiklehrer, Organist und Kirchenchorleiter ist in Münsingen bestens vernetzt.
Opernglanz am Gala-Abend
Gafner hebt jetzt den Dirigentenstab, blickt zu den Solisten. Rebekka Maeder (Sopran) und Wolf Latzel (Bariton) sollen dem Galaabend Opernglanz verleihen. Noch stehen sie nun aber in der recht glanzfreien Aula Schlossmatt. Geübt wird das Duett «Dunque io son» aus Rossinis «Il barbiere di Siviglia». Ein Wagnis. Noch nie hat das Orchester Opernmusik gespielt. Und es gibt Einfacheres als Rossini. Doch auch das gehört zu Gafner. «Man darf», sagt der gewiefte Pädagoge, «die Laienmusiker weder überfordern noch unterfordern.» Das sei stets eines der Hauptprobleme gewesen: «Werke zu finden, die funktionieren.» Letzten Herbst wagten sich die Münsinger an Beethovens fünfte Sinfonie. «50 Jahre dachte ich: Das geht nicht. Am Ende war es ein unglaublicher Gewinn für alle.»
Noch passt nicht alles zusammen an diesem Abend. Immer wieder wird diskutiert. Gafners Anweisungen sind bodenständig. Er verlangt kein «Ritardando» oder «Ritenuto» wie bei den Profis, er spricht von «bremsen» oder von einer «Bremsspur». Und er lässt sich auch mal überzeugen, wenn die Argumente aus den Orchesterreihen gut sind.
Nachfolge ist offen
Es gebe, sagt Gafner, kein Rezept für ein erfolgreiches Laienorchester. «Es ist die Summe einzelner Parameter, die stimmen müssen.» Und natürlich sei der Dirigent entscheidend. «Es geht nicht nur um eine musikalische Aufgabe, auch um eine menschliche. Man muss den richtigen Ton finden. Sind ja alle freiwillig hier.» Letztes Jahr noch hielt Gafner fest, er wolle «sicher bis 2015» weitermachen. Und jetzt? «Die Konzerte bis Ende Jahr mache ich auf jeden Fall noch», sagt er. Über seine Nachfolge habe man im Vorstand noch gar nicht gesprochen. Nur über das Galakonzert. Ob Gafner mit seinem Bandscheibenvorfall wirklich in der Lage ist zu dirigieren? «Natürlich», sagt er, «notfalls nehme ich halt einen Stuhl. Herbert von Karajan hat in seinen letzten Jahren auch im Sitzen dirigiert.»
[i] Galakonzert: Sa, 2. Mai, 19.30 Uhr, Schlossgutsaal.
www.orchester-muensingen.ch
Viele Lehrer im Orchester
Ein weiser Entscheid. Gafner ist das Herz dieses Orchesters. Und mindestens schon die halbe Antwort auf die Frage, weshalb es diesen Klangkörper noch immer gibt, während andere zu kämpfen haben, nicht nur Profiorchester im In- und Ausland, auch und gerade Laienensembles, wie das Orchester Münsingen eines ist.
22 Streicherinnen, 10 Streicher spielen mit, nur die Stimmführer sind Profis. Die meisten arbeiten als Lehrerinnen und Lehrer, andere als Sozialarbeiter, Architekten, Therapeuten. Auch ein Arzt ist dabei. Immerhin. Schliesslich galt das Münsinger in den ersten Jahren als «Doktorenorchester»: Sechs Ärzte, drei Lehrer, ein Fürsprecher und die Frau Pfarrer hielten die Hochkultur in Ehren – und schlugen sich mit schnöden Finanzen herum. «Die Einnahmen betragen 21.40, die Ausgaben dagegen 21.80», hiess es besorgt im Protokoll der ersten Hauptversammlung. Umgehend wurden Massnahmen ergriffen. Der Mitgliederbeitrag stieg von 40 auf 50 Rappen.
Heute steht das Orchester auf solidem Grund. Rund ein Drittel der Mittel stammt aus Mitgliederbeiträgen und Spenden. Seit einigen Jahren gibt es einen Leistungsvertrag mit der Gemeinde, und auch die Kirchgemeinde zahlt mit. Hinzu kommen die Konzerteinnahmen: Drei Auftritte pro Jahr sind die Regel, das Abokonzert im Schlossgutsaal lockt bis zu 450 Leute an. «Die Zuhörer sind ebenso treu wie die Musizierenden», so Gafner. Nachwuchsprobleme? «Kennen wir kaum.» Die Verbindungen zur lokalen Musikschule sind ebenso eng wie zur Kantorei. Gafner, der frühere Musiklehrer, Organist und Kirchenchorleiter ist in Münsingen bestens vernetzt.
Opernglanz am Gala-Abend
Gafner hebt jetzt den Dirigentenstab, blickt zu den Solisten. Rebekka Maeder (Sopran) und Wolf Latzel (Bariton) sollen dem Galaabend Opernglanz verleihen. Noch stehen sie nun aber in der recht glanzfreien Aula Schlossmatt. Geübt wird das Duett «Dunque io son» aus Rossinis «Il barbiere di Siviglia». Ein Wagnis. Noch nie hat das Orchester Opernmusik gespielt. Und es gibt Einfacheres als Rossini. Doch auch das gehört zu Gafner. «Man darf», sagt der gewiefte Pädagoge, «die Laienmusiker weder überfordern noch unterfordern.» Das sei stets eines der Hauptprobleme gewesen: «Werke zu finden, die funktionieren.» Letzten Herbst wagten sich die Münsinger an Beethovens fünfte Sinfonie. «50 Jahre dachte ich: Das geht nicht. Am Ende war es ein unglaublicher Gewinn für alle.»
Noch passt nicht alles zusammen an diesem Abend. Immer wieder wird diskutiert. Gafners Anweisungen sind bodenständig. Er verlangt kein «Ritardando» oder «Ritenuto» wie bei den Profis, er spricht von «bremsen» oder von einer «Bremsspur». Und er lässt sich auch mal überzeugen, wenn die Argumente aus den Orchesterreihen gut sind.
Nachfolge ist offen
Es gebe, sagt Gafner, kein Rezept für ein erfolgreiches Laienorchester. «Es ist die Summe einzelner Parameter, die stimmen müssen.» Und natürlich sei der Dirigent entscheidend. «Es geht nicht nur um eine musikalische Aufgabe, auch um eine menschliche. Man muss den richtigen Ton finden. Sind ja alle freiwillig hier.» Letztes Jahr noch hielt Gafner fest, er wolle «sicher bis 2015» weitermachen. Und jetzt? «Die Konzerte bis Ende Jahr mache ich auf jeden Fall noch», sagt er. Über seine Nachfolge habe man im Vorstand noch gar nicht gesprochen. Nur über das Galakonzert. Ob Gafner mit seinem Bandscheibenvorfall wirklich in der Lage ist zu dirigieren? «Natürlich», sagt er, «notfalls nehme ich halt einen Stuhl. Herbert von Karajan hat in seinen letzten Jahren auch im Sitzen dirigiert.»
[i] Galakonzert: Sa, 2. Mai, 19.30 Uhr, Schlossgutsaal.
www.orchester-muensingen.ch