Münsingen - Eine Tat im Wahn

Das Regionalgericht Bern-Mittelland spricht den Mann frei, der letztes Jahr im Psychiatriezentrum Münsingen eine Pflegerin mit Wasser verbrühte: Der 40-Jährige ist wegen seiner Schizophrenie nicht schuldfähig. Er wird weiter therapiert.

mm, Berner Zeitung BZ

Es ist ein Freispruch aus formellen Gründen: Weil das Regionalgericht Bern-Mittelland zum Schluss kommt, dass ein Mann wegen seiner schwerwiegenden psychischen Krankheit vollständig schuldunfähig ist, sprach es ihn gestern vom Vorwurf der schweren Körperverletzung frei. Angeordnet hat das Gericht dafür eine stationäre Massnahme, eine sogenannte kleine Verwahrung, in einer geschlossenen Einrichtung. Der 40-Jährige hatte am 19. Januar 2015 im Psychiatriezentrum Münsingen eine Pflegerin mit kochend heissem Wasser im Gesicht und am Oberkörper verbrüht.

«Diese schreckliche Tat basiert vor allem auf seiner jahrelangen psychischen Erkrankung», sagte Gerichtspräsident Martin Müller gestern bei der Urteilseröffnung. Ohne die schizophrene Erkrankung des Mannes wäre es nicht zu dieser Tat gekommen – so lautet zusammengefasst auch das Fazit des psychiatrischen Gutachters, auf das sich das Gericht unter anderem stützte. Es konnte sich während der Hauptverhandlung aber auch selber ein Bild des Beschuldigten machen. Der Mann erzählte mit zitternder Stimme von einer unbekannten Macht, die ihn mittels Radiowellen kontrolliere (Ausgabe von gestern).

Er lebt seit längerem in der Psychiatrie


Der Mann lebt seit längerer Zeit im Psychiatriezentrum. Was ihn an jenem Tag dazu brachte, eine der Pflegerinnen anzugreifen, ist schwer zu sagen. Es scheinen Kleinigkeiten gewesen zu sein, die ihn ärgerten. Er füllte einen 2-Liter-Metallkrug an der Kaffeemaschine mit 85 Grad heissem Wasser und marschierte ins Stationszimmer. Dort schüttete er es ohne Vorwarnung über eine Pflegerin. Die Frau erlitt Verbrennungen zweiten Grades. Dank rascher und guter medizinischer Versorgung sind im Gesicht keine Narben zurückgeblieben.

Trotz der Attacke hegt die Frau keinen Groll gegen den Täter. «Ich weiss, dass er krank ist», sagte sie. Sie wolle aber endlich einen Schlussstrich ziehen. Als Privatklägerin verlangt die Frau eine Genugtuung von 34 000 Franken. Für ihre Klage verwies das Regionalgericht sie ans Zivilgericht. Da der Täter als vollständig schuldunfähig gilt, wäre es möglich, dass seine Haftpflichtversicherung die Kosten übernehmen muss.

«Sonnenklar» war für das Regionalgericht, dass der Mann in einer Klinik therapiert werden muss. Dort müssten seine Medikamente gut eingestellt und er müsse eng begleitet werden, sagte Gerichtspräsident Müller. Als ungeeignet sieht das Gericht für den Täter einen Aufenthalt im Strafvollzug. «So wie wir ihn erlebt haben, wäre das unmöglich.»


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Erstellt: 02.11.2016
Geändert: 02.11.2016
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