Münsingen - Ein "Terzo" meldet sich zu Wort

Der 22-jährige Patric Marino aus Münsingen liess sich zum Schriftsteller ausbilden. Sein erstes Buch erzählt Beobachtungen und Geschichten aus der Heimat seiner Grosseltern.

Christoph Hämmann / Berner Zeitung BZ
Als Maturaarbeit reichte Patric Marino ein literarisches Werk ein. Dann bewarb sich der Mann aus Münsingen erfolgreich am noch jungen Bieler Literaturinstitut. Letzten Sommer schloss er das Studium mit einem «Bachelor in Literarischem Schreiben» ab. Ist der 22-Jährige jetzt Schriftsteller?

Jedenfalls hat Patric Marino soeben seinen Erstling publiziert. «Nonno spricht» erzählt von den Besuchen des jungen Mannes bei den Grosseltern in deren kalabresischer Heimat, der Fussspitze Italiens. Das Werk sei sein Institutsbuch, sagt Patric Marino – er ist der erste Absolvent des Literaturinstituts, der seine Abschlussarbeit publiziert. Marinos Mentor in Biel, der Berner Schriftsteller Beat Sterchi, wiederum hält sich an die deutsche Übersetzung für Bachelor und spricht vom «Gesellenstück».

«Will ein zweites Standbein»

Publikation hin, Uniabschluss her: Patric Marino versteift sich nicht auf eine Schriftstellerexistenz. Die Ausbildung am Literaturinstitut sieht er pragmatisch: «Sie führt genauso wenig zu einem Beruf wie manche andere.» Er glaubt auch nicht, dass die Schweiz 15 Schriftsteller pro Jahr braucht. Er wolle nun nicht einen Tag pro Woche Gesuche schreiben – «ich mache lieber etwas, das jemandem etwas bringt». Stipendien kämen dann schon einmal, die müsse man sich verdienen.

So arbeitet Marino einen Tag pro Woche als Bürohilfe im Informatikgeschäft des Vaters. Im Sommer beginnt er in Lausanne ein Germanistikstudium, das ihm ein zweites Standbein geben soll. «Ich könnte dann vielleicht Lehrer und Schriftsteller sein», sagt er mit Blick in die Zukunft. «Oder Journalist und Schriftsteller.» Aber auch während des Master-studiums soll die Schriftstellerei nicht gänzlich ruhen: «Ich muss Zeit finden, um wieder einen Rhythmus aufbauen zu können», sagt Marino. Das Studium müsse unbedingt ein Zeitfenster für regelmässiges Schreiben offen lassen – «sonst kann ich nicht hinter dem Master stehen».

Zum Schreiben gehört für Marino, rauszugehen und nach Geschichten zu suchen. Bisher führten ihn seine Reisen oft nach Kalabrien. Von dort reiste der Nonno, der Grossvater, 1959 als Gastarbeiter in die Schweiz, arbeitete als Knecht und dann lange in Eggers Bierbrauerei in Worb. Als die Grosseltern für immer nach Italien heimkehren wollten, brach sich der Nonno beim Kesselputzen das Bein. Weil er so nicht reisen konnte, mussten sie in der Schweiz bleiben – und blieben bis heute.

Trotzdem bauten die Nonni über all die Jahre in Kalabrien, im Ort Guardavalle, an einem Haus, das heute der ganzen Familie als Ferienhaus dient. Als Kind verbrachte Patric Marino dort regelmässig die Ferien. Als 18-Jähriger fuhr er wieder hin, das erste Mal alleine mit den Grosseltern – und merkte: Kalabrien ist voller Geschichten. Um sie zu sammeln, fuhr er während des Studiums sechsmal hin. «Ich schrieb nie in Guardavalle», erzählt er. «Daheim hatte ich aber genug Stoff für ein halbes Jahr.»

Essen – und Nonno erzählt

Wie Secondos, Einwanderer der zweiten Generation, bewegte sich auch Patric Marino, einer der ersten «Terzos» mit einer literarischen Stimme, in seiner Kindheit zwischen zwei Sprachen. Mit den Eltern sprach er Deutsch, mit den Nonni Deutsch und Italienisch. Obwohl er sagt, er spreche ein «Kinderitalienisch», schleichen sich italienische Redewendungen in sein Deutsch. Wenn alle in der Schweiz sind, trifft sich die Familie sonntags oft bei den Grosseltern zum Essen. «Dann erzählt Nonno gerne Geschichten.»

Das Buch, das Patric Marino nicht zuletzt aus diesen Geschichten gemacht hat, ist vor zwei Wochen im ausverkauften Berner Café Kairo getauft worden. Das passte nicht nur, weil im Kairo regelmässig Lesungen stattfinden. Es wird dort auch kalabresischer Kaffee ausgeschenkt. «Die Vernissage sprengte meine Erwartungen, den Raum, die Freude», schwärmt der junge Schreiber. Nun liegt sein Gesellenstück in den Läden: weisse Schrift auf rotem Einband, garniert mit einem Basilikumblatt.

Patric Marino: «Nonno spricht». 80 Seiten, circa Fr. 21.80 (Lokwort). Erhältlich im Buchhandel und als E-Book.


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Erstellt: 12.04.2012
Geändert: 12.04.2012
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