Münsingen - Der Mann der vielen Berufe

Ein Unfall änderte das Leben von Luis Garrido. Seinen Beruf als Gärtner musste er aufgeben, heute arbeitet er als Sozialpädagoge im Loryheim. Schon früher hatte er immer wieder mal den Beruf gewechselt.

Johannes Reichen, Berner Zeitung BZ

In seiner schlimmsten Stunde tat Landschaftsgärtner Luis Garrido das, was er noch tun konnte. Er zog das Handy aus der Tasche, rief im Geschäft an und organisierte einen Transport für seinen Mitarbeitenden. Dann wartete er auf die Ambulanz. Es war der 11. März 2009. Luis Garrido, ein gebürtiger Chilene, arbeitete damals als Landschaftsgärtner in Wohlen. An diesem Morgen bediente er einen Raupentransporter. Er stand hinten auf der Maschine, vorne war die grosse Schaufel mit Erde gefüllt. Er fuhr eine Böschung hinunter. «Das war wohl etwas dumm von mir», sagt er. Auf einmal standen die Raupen still, die Maschine überschlug sich, Garrido wurde wegkatapultiert. «Vielleicht fünf Meter weiter landete ich stehend in einer Böschung.» Garrido wurde mit schweren Verletzungen ins Spital gebracht. Er erlitt einen komplizierten Schienbeinbruch. 

Neue Aufgabe im Heim

Sechs Jahre nach dem Unfall sitzt Luis Garrido im grossen Garten des Jugendheims Lory in Münsingen und ist zufrieden mit sich und der Welt. Ein heisser, träger Freitagnachmittag. «Es ist selten so ruhig», sagt Garrido. Er arbeitet hier seit zwei Jahren als Sozialpädagoge. Vom Unfall hat er sich nie vollständig erholt, er konnte nicht mehr als Gärtner tätig sein. «Vor allem Wetterwechsel machen mir zu schaffen.» Das Jugendheim wird vom kantonalen Amt für Freiheitsentzug und Betreuung betrieben. Hier leben junge Frauen zwischen 14 und 22 Jahren. Sie werden hier platziert, verbringen mehrere Monate bis Jahre im Jugendheim. Mögliche Gründe sind gemäss der Heim-Website «Ausreissen, Schul- und Lernschwierigkeiten, Drogenkonsum, Delinquenz, Prostitution, Selbst- oder Fremdgefährdung». Das Heim hat 28 Plätze in vier verschiedenen Abteilungen. Sie sind auf verschiedene Stockwerke verteilt. Die vielen Treppen sind für Garrido ein gutes Training. «Joggen kann ich nicht mehr», sagt er. Ums Heim verläuft ein zwei Meter hoher Zaun.

Luis Garrido ist in einem abgeschiedenen Dorf im Süden Chiles aufgewachsen. Diese kleine Welt war aber nichts für ihn. Er schaffte den Sprung an die Uni, studierte Journalismus, arbeitete als Fernsehproduzent. In Chile lernte er seine Frau kennen, eine Schweizerin. Seit vielen Jahren leben sie nun in der Schweiz und haben zwei Kinder. Da fühlt er sich besser aufgehoben als in Südamerika. Das merkte er während eines zweijährigen Aufenthalts in seiner alten Heimat besonders. «Ich habe mich verändert, und die Chilenen auch.» Als Einwanderer musste sich Garrido neu orientieren. «Als Migrant ist das nicht so leicht.» Zuerst arbeitete er in der Blindenschule Zollikofen und machte Videoreportagen, zudem war er als Dolmetscher beim Gericht tätig. Doch das war nicht genug. Er wurde Landschaftsgärtner. Bis zum Unfall 2009 und der Frage: «Wie weiter?»

Von allen Berufen etwas

Er habe viel Unterstützung von der Suva erhalten, sagt Garrido. Die Invalidenversicherung bewilligte die Ausbildung, vor zwei Jahren schloss er sie erfolgreich ab. Der Beruf des Sozialpädagogen habe sowohl seinem Interesse wie auch seinem Lebenslauf am besten entsprochen. Die Ausbildung sei eine «Reise zu mir selbst» gewesen. Jetzt ist nicht die Schaufel oder die Videokamera sein wichtigstes Hilfsmittel. «Ich selbst bin das Werkzeug.» Ob er seine früheren Berufe vermisst? «Nein», sagt Luis Garrido. Er sei im Loryheim auch Gärtner, auf Exkursionen erzählt er den Bewohnerinnen von Bäumen und Pflanzen. Er sei aber ebenso Journalist, er schreibt Berichte und produziert Videos. «Hier habe ich von allen Berufen etwas.»


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Erstellt: 21.07.2015
Geändert: 21.07.2015
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