Münsingen - Aufbruch im Abbruchquartier

Das Höhenackerquartier wird zur Hälfte saniert, zur Hälfte neu gebaut. Viele Bewohner flüchten vor einer ungewissen Zukunft.

Johannes Reichen, Berner Zeitung BZ

Im Höhenacker in Münsingen herrscht Aufbruchstimmung. «Viele Wohnungen stehen leer», sagt Sepp Zink, der hier seit 30 Jahren wohnt. «Es ist wie in einem Geisterquartier.» Zink ist die gute Seele in der Siedlung. Kein Kind, das hier aufgewachsen ist, kennt ihn nicht.

Doch jetzt stirbt das Quartier allmählich aus. Der Grund für den Exodus: eine unsichere Zukunft. Die eine Hälfte der Wohnungen im Quartier wird saniert, die andere abgerissen. In dem Haus, das Zink bewohnt, sind drei Wohnungen leer, andernorts sind es noch mehr. «Das ist ein komisches Gefühl», sagt er.

«Unklar, wie es weitergeht»

Im letzten Sommer fegte ein Sturm der Entrüstung durch den Höhenacker. Die Liegenschaftsbesitzerin Berintra und die Verwalterin Livit eröffneten den 300 Bewohnern, dass die unteren fünf Blöcke mit 66 Wohnungen saniert und die oberen drei Gebäude mit 65 Wohnungen abgerissen und neu gebaut würden. Sie erwiesen damit auch dem Münsinger Gemeinderat einen Gefallen, der im Höhenacker Verdichtungspotenzial geortet hatte.

Die Empörung war umso grösser, als die Gemeinde stets vom «Stutz» sprach und nicht vom «Höhenacker», wie die Bewohner ihr Quartier nennen. So wussten sie lange nicht, dass die Verdichtung ihrem Quartier gilt. Mehr als ein halbes Jahr später hat sich im Quartier die Empörung gelegt – und ist der Resignation gewichen.

«Wie es weitergeht, ist unklar», sagt Elisabeth Striffeler, SP-Grossrätin und Gemeindeparlamentarierin. Problematisch findet sie auch, dass nicht bekannt ist, wie stark die Mietzinsen mit der Sanierung beziehungsweise dem Neubau steigen werden. «Sicher ist, dass viele die Erhöhung nicht tragen können», sagt Striffeler.

Von der Verwaltung gebe es keine Auskunft, heisst es verschiedentlich im Quartier. Zwar seien wegen der vielen Auszüge immer wieder Liegenschaftsverwalter im Quartier anzutreffen – wer sie aber auf das Bauprojekt anspreche, bekomme keine befriedigende Antwort. Die Livit war gestern auch für diese Zeitung nicht zu sprechen.

Immerhin: Anfang Januar erhielten die Bewohner einen Brief von der Livit. Damals wurde das Baugesuch für die Sanierungsarbeiten publiziert. Die Livit kündigte an, dass sich die Sanierungsarbeiten verzögerten und vier Monate vor Baustart eine Mieterversammlung stattfinden werde. Nähere Angaben machte sie nicht.

«Brandbeschleuniger»

Vielleicht erhalten die Bewohner in den nächsten Tagen etwas Klarheit. Seit gestern liegt auch die Überbauungsordnung «Am Stutz» öffentlich auf (siehe unten). Am Dienstagabend lädt die Gemeinde zu einem Informationsanlass.

Hartmut Oltmanns interessiert all das nicht mehr. Der Lehrer – kürzlich von der Gemeinde mit dem Sportpreis ausgezeichnet – ist mit seiner Frau im Januar nach Grosshöchstetten gezügelt. «Vielleicht wären wir früher oder später ohnehin weggezogen», sagt er. «Aber die Sanierungspläne waren der Brandbeschleuniger.»

Information: 10. März, 19.30 Uhr, Aula Schlossmatt, Münsingen.


80 neue Wohnungen
Seit gestern liegt die Überbauungsordnung "Am Stutz" öffentlich auf. An der Stelle von drei dreigeschossigen Blöcken mit 63 Wohnungen, die abgerissen werden, sollen drei winkelförmige Blöcke gebaut werden. Sie verfügen über drei Geschosse sowie ein Attikageschoss. Insgesamt sollen 80 Wohnungen mit 2,5 bis 5,5 Zimmern entstehen. Gemäss dem Erläuterungsbericht fügen sich die Neubauten in der Siedlung ein, "ohne die Altbauten zu konkurrieren". Fünf Blöcke mit 66 Wohnungen werden in den nächsten Jahren saniert. Auch der Aussenraum wird neu gestaltet. Heute wirkten die Freiflächen "nicht mehr zeitgemäss und etwas vernachlässigt", so der Bericht. Die Einsprachefrist endet am 6. April.

Fehler gefunden?
Statistik

Erstellt: 07.03.2015
Geändert: 07.03.2015
Klicks heute:
Klicks total: