Münsingen - Am Tropf des Aktienkurses
Theaterleute zwischen Thun und Bern haben sich zu einem einmaligen Projekt zusammengefunden. In der Psychiatrischen Klinik Münsingen spielen sie das Stück «Lenin». Es geht um Reichtum und Armut.
Wenn Grossräte, der Leiter des Direktionsstabs der Oberzolldirektion sowie weitere bestens vernetzte Personen zusammen essen gehen – dann wird über die Schauspielerei gesprochen. Zumindest zwischen Thun und Bern. Denn dort grassiert der Theatervirus. Wer davon befallen ist, macht bei den Schlossspielen Thun ebenso mit wie bei der Aaretaler Volksbühne oder der Mundartbühne Uetendorf.
Selbst das reichte einigen begeisterten Laiendarstellern nicht. «Wir wollten einmal ein Stück für die Altmännerrunde suchen», sagt Samuel Kobel, Präsident der Aaretaler Volksbühne. Gemeint sind die ehemaligen Darsteller der Freilichttheater-Inszenierung «Der Besuch der alten Dame» in Uetendorf. Ganz auf Frauen wollte die Männerrunde schliesslich doch nicht verzichten. So entstand die Produktion «Lenin» von Autor Markus Köbeli. Als Bühne dient die Casino-Kapelle der Psychiatrischen Klinik Münsingen.
Der Sohn des Kommunisten
Hier, unter der Regie des GLP-Politikers Hannes Zaugg-Graf, spielt der SP-Mann Peter Siegenthaler im gleichen Team wie der SVP-Exponent Heinz Bercher. Und wie in der Realpolitik geht es auch im Theaterstück ums Geld. Genauer gesagt um Reichtum und Armut. Um einen Arbeiter auch, der gerne einmal auf der «anderen Seite» stehen möchte und dafür ein ganzes Leben jeden Rappen zusammengespart hat. Lenin Alpsteg heisst der Mann, meisterhaft gespielt von Jörg Kocher. Sein Vater sei ein Kommunist gewesen, zu einer Zeit, als man noch Kommunist sein durfte, sagt Lenin.
Jetzt trifft er in der luxuriösen Seniorenresidenz auf seinen ehemaligen Arbeitgeber Karl-Heinz Riegler, dargestellt von Heinz Bercher. Für 149 Tage reiche das ersparte Geld von Lenin, hat ein weiterer Mitbewohner, Professor Lars Sörensen (Peter Siegenthaler), ausgerechnet. Dann ist Schluss. Bis dann muss Lenin einen definitiven Abgang aus dieser Welt gefunden haben. Denn eines können sich die vom Reichtum verwöhnten Mitbewohner nicht vorstellen: den gesellschaftlichen Abstieg in ein einfacheres Leben. Sie erfassen die Welt in Geldnoten, allerhöchstens noch in Aktien.
Den Tod vor Augen
Doch plötzlich schleichen sich im letzten Lebensabschnitt andere Fragen ein, die nach der Gesundheit, der Sterbebegleitung, Sex im Alter und das Gespräch mit den Angehörigen über den bevorstehenden Tod. «Entschuldigung, ich wollte hier nicht stören», sagt Lenin, als in der Seniorenresidenz Aufruhr entsteht. «Nein, es war nichts, was sollte schon gewesen sein?», lautet der Standardsatz der Mitbewohner. Um vier Uhr gibt es Tee. Danach kommt der Sensenmann, irgendeinmal.
Die Leistung überzeugt
Nicht auf Frauen zu verzichten, war die richtige Entscheidung der Männerrunde. Irene Müller-Flück und Rosita Zwahlen überzeugen in den Hauptrollen als Irmgard Glanz und Hannelore Riegler. Ohne sie würde der Inszenierung ein grosses Stück Würze fehlen. Auch sonst fällt das Ensemble durch eine bemerkenswerte Gesamtleistung aus. Die grosse Erfahrung der Laiendarsteller ist spürbar.
Das Schauspielensemble Ah-Plus sei ein einmaliges Projekt, sagte Samuel Kobel als Mitinitiant vor der Premiere. Nach der gelungenen Aufführung spricht er von einem wahrscheinlich einmaligen Projekt. Sicher ist, dass einzelne Laiendarsteller bereits wieder mit Leseproben für Inszenierungen ihrer Heimatvereine beschäftigt sind. Der Theatervirus hält die Region weiterhin fest im Griff.[i] «Lenin»: Bis 24. April im Casino PZM Münsingen, www.ah-plus.ch.