Mühle Hunziken: Die Wurstbrotrevolution

Der Streit um das Kulturlokal tobt weiter. Beim Saisonauftakt mit Polo Hofer hoffen die Gäste auf eine Schlichtung - und bangen um die Existenz ihres Heiligtums.

Christoph Lenz, Der Bund
Sie ist weg, so viel steht fest. Und das genügt, damit Janine aus Bern jetzt ganz betrübt ins nackte Gebälk der Mühle Hunziken blickt. Die Flugsau müsse zurückkommen, sagt sie, an ihren angestammten Platz über der Bühne, wo sie die letzten Jahrzehnte das nationale und internationale Musizieren überwachte. Aber Heimkehren wird die Sau wohl nicht so bald. Entführt? Befreit? Abgemurkst? - Beim Saisonauftakt vom Donnerstagabend werden etliche Theorien zum Verbleib des dekorativen Schweins herumgeboten. Alle fügen sich ein in dieses Urgefühl, dass sich das regionale Kulturheiligtum Mühle Hunziken in einem Umbruch befindet. Wie tief greifend er ist, das ist unsere Frage an diesem Abend. Die erste Erkenntnis: Unter Thomas Burkhart und Philipp Fankhauser, den neuen Betreibern, gibt es keine heilige Kuh - pardon, Sau mehr. Dafür ein eigens gebrautes «Mülibier», frisch designte Merchandise-Artikel und «Choripan», ein Brot mit grilliertem Chorizo.

Kurz nach 19.30 Uhr schiebt sich Thomas Burkhart vor der Mühle ein solches Wurstbrot in den Mund. Vor einem Jahr übergab Patron Peter Burkhart seinem Sohn und dem Bluesmusiker Philipp Fankhauser feierlich die Mühle. Nur wenige Monate später überwarf sich die neue Crew mit Mühli-Pesche. Was mit gegenseitigen Beschuldigungen begann, mündete bald in Diffamierungen, Klagen und Gegenklagen. Es geht um gebrochene Versprechungen, Familieninterna und um viel Geld. Aussenstehende blicken da längst nicht mehr durch. Umso mehr ärgern sie sich. Bruno aus Bern und Heidi aus Worb, die an einem Tischchen auf den Konzertbeginn warten, sind da keine Ausnahme. Sie wollen nichts mehr hören von diesem Gschtürm. «Die sollen das unter sich ausmachen. Möglichst schnell und vor allem ohne Presse», sagt Heidi. Wenn es so weitergehe, werde es kein gutes Ende nehmen. «Ja, wir haben Angst um die Mühle», sagen sie. Bruno hat jetzt seine Konsequenzen gezogen: Erstmals seit zwanzig Jahren hat er seine Mühle-Hunziken-Mitgliedschaft nicht erneuert. «Ich bezahle meinen Beitrag erst wieder, wenn der Streit geklärt ist», sagt er. «Sonst geht mein Geld noch für die Anwälte drauf.»

Eine rasche Lösung ist jedoch nicht in Sicht. Im Gegenteil. Man nehme etwa das Wurstbrot. Es ist ein Symbol. Seit eh und je werden in der Mühle Hunziken nur Crêpes aufgetischt, zubereitet von Thomas Burkharts Schwester Catherine, die mit den Einkünften aus der Crêperie ihren Lebensunterhalt bestreitet. Aber nun ist das Tischtuch zwischen den Geschwistern zerschnitten und die Wurstbrote von Thomas Burkhart hebeln das Verpflegungsmonopol seiner Schwester aus. Seit Frühling werden Besucher auf der von Thomas Burkharts Crew betreuten Mühle-Homepage zudem ermuntert, ihren Hunger auswärts zu stillen. Es gebe in der Umgebung «zahlreiche gute Restaurants».

Ein Wirt, der seine Gäste zu den Nachbarn schickt? Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um zu erkennen: Es ist die Verlängerung eines Familienzwists mit wirtschaftlichen Mitteln.

Thomas Burkhart will jetzt essen, nicht reden. «Ich gebe keine Interviews», faucht er. «Ruf bei der Effingerstrasse an.» Dort befindet sich die Kanzlei seines Anwalts. Keine Frage: Die Nerven liegen blank.

Aber wie wirkt sich das auf die Mühle aus? Welche Stimmung finden die Besucher vor? Um es kurz zu machen: Die Mühle ist immer noch die Mühle. Krempelpalast und Spunten. Puppenstube und Bruchbude. Kleinod und Kneipe. Spukschloss und - später, als es gegen Mitternacht geht und ein launiger Polo Hofer sein «Alperose» anstimmt - Hexenkessel.

Auch das Publikum ist dasselbe geblieben. Philipp Fankhauser hat keine Weinkenner, Whiskey-Connaisseurs und Zigarren-Aficionados angeschleppt, wie manche befürchteten. Das Lokal füllt sich stattdessen wie schon früher mit Mittdreissigern bis Mittfünfzigern aus der weiteren Region, die pünktlich anreisen in ihren Mittelklassewagen, die Jeans tragen, bunte Hemden oder T-Shirts von Rockbands aus den Siebzigern und die ihr Getränk direkt aus der Flasche trinken. Von etepetete keine Spur.

Es sind Leute wie Hanna und German, die in der Konzertpause neben der Feuerschale auf dem Vorplatz stehen. Sie sind erstmals hier, seit die neuen Betreiber am Ruder sind. «Wir hatten Angst, dass die Mühle biederer geworden ist», sagt German. «Das ist zum Glück nicht der Fall.» Hanna und German wollen jetzt wieder öfter kommen - «wenn das Programm stimmt».

So oder ähnlich äussern sich viele Besucher. Sie schätzen das Musikprogramm (siehe Kasten). Sie erkennen ihre Mühle wieder, auch ohne Flugsau. Und sie lassen sich vom Streit in der Familie Burkhart das Vergnügen nicht nehmen, ihren Feierabend in dieser Ambiance zu geniessen. Jürg aus Düdingen sagt: «Die Burkharts sind mir egal. Ich komme wegen der Mühle und der Künstler.»

So ist es die ironische Pointe dieses munteren Abends, dass ausgerechnet jene das Publikum an die leidige Familiensache erinnern, die stets den Neuanfang beschwören. Thomas Burkhart freut sich nicht auf eine neue Saison, sondern auf «meine Zweite als Chef, hähähä.» Philipp Fankhauser berichtet zum wiederholten Mal, dass er in Pesches Mühle achtzehn Jahre lang unerwünscht war. Da muss Polo Hofer natürlich nachziehen und das ihm widerfahrene Unrecht von neun Jahren Hausverbot beklagen. Urplötzlich scheint es da, als seien sich auch die Herren auf der Bühne ihrer Motive nicht mehr ganz sicher. Sind sie nun die Helden, die den bösen Drachen aus seiner Höhle gejagt haben? Oder die Lausbuben, die nach Schulschluss ins Lehrerzimmer schlichen, nur um eine alte Rechnung zu begleichen?

Adrian, Anfang fünfzig, steht später rauchend beim Bart-Simpson-Brunnen. Er ist seit Jahren ein regelmässiger Gast und blickt doch ganz pragmatisch auf die Mühle: «Es brauchte einen Spinner wie Mühli-Pesche, um etwas so Grossartiges aufzubauen. Aber es braucht keinen Spinner, um die Mühle von hier an weiterzuführen.»

Vielleicht sollten sich die Streitparteien mal mit Hanna, German, Bruno, Heidi, Adrian oder Jürg unterhalten. Sie könnten einiges von ihnen lernen.

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Erstellt: 08.09.2012
Geändert: 08.09.2012
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