Mühle Hunziken - Weltverbessern mit Müslüm

Was ist dieser Müslüm, Humorist oder Humanist? Ein plumper Gaudibursche oder ein ehrgeiziger Musiker mit einer prima Band? Sein neues Album und ein Besuch zum Tour-Auftakt in der Mühle Hunziken haben einiges erhellt.

Ane Hebeisen, Der Bund

Unter Hobbypsychologen ist man sich einig, dass dem Mann von heute ein bisschen viel zugemutet wird. Ganz gerne wird hierzu eine Auflistung von Bürden und Pflichten bemüht, die auch den kantigsten Kerl zum zaudernden Ihmchen machen sollen. Ein guter Lover müsse er sein, Ernährer und Humorist, Versteher und Macker, Bungee-Springer und Tierpsychologe, und prima wäre es zudem, wenn er noch die eine oder andere komplexe Maschine kompetent bedienen könnte. Klar, dass da haufenweise gescheitert wird, sagen die Psychologen, klar, dass da verunsicherte Männer produziert würden.

Schwer hat es auch Müslüm. Sein Erfinder, der Berner Musiker und Entertainer Semih Yavsaner, bürdet auch ihm so etliches auf. Begonnen hat es mit einem ziemlich einfach gestrickten telefonscherzenden Immigranten-Tunichtgut mit unberechenbarem Hormonhaushalt. Schlagfertig und charmant war dieser türkisch-schweizerische Gigolo. Doch der Müslüm von heute hat mit ihm nicht mehr viel zu tun. Der soll nämlich Popstar sein (und zwar ein ernsthafter), Show-Immigrant, Politaktivist, Tänzer (bis zum Rückenschaden), Humanist und Spassmacher mit Anspruch. Und neuerdings werden ihm offensichtlich auch noch sachdienliche Beträge zur Verbesserung der Welt erwartet. Sein Auftritt zum Tourneestart in der ausverkauften Mühle Hunziken in Rubigen gibt Zeugnis davon ab, dass ein solcher Massnahmenkatalog selbst ein währschaftes Türken-Mannsbild leicht überfordern kann. Bosporus-Testosteron und Hippie-Gebaren, das ist nicht so einfach in Einklang zu bringen. Doch wenns gelingt, dann ists fulminant.

Müslüm als Moralist

Es gelingt zunächst nicht. Müslüms Anzug ist neuerdings in – für seine Begriffe fast schon dezentem – Gelb gehalten, er sinniert zwischen den Liedern über Frauen, die sich einem Schönheitsideal unterwerfen (er findet das schlecht), er geisselt die ständige Verfügbarkeit von Information und Telekommunikation, und er wettert über das Böse an sich, das da draussen die Welt schikaniert. Müslüm als Moralist? Lustig ist das höchstens wegen seines Türkendialekts. Nein, dieser Mann wirkt im ersten Teil seines Auftritts sonderbar angeschlagen – als hadere er mit der Welt, ohne deren Unzulänglichkeiten in Humor transponieren zu können.

Dass Semih Yavsaner seinen Müslüm derart überfrachtet, könnte auch damit zusammenhängen, dass dieser einen Ruf – oder besser gesagt gleich mehrere Rufe – zu verteidigen hat: Müslümm war nicht nur für den weit herum überschätzten Swiss Music Award nominiert, nein, vom Kanton Bern gab es einen Anerkennungspreis für «innovatives musikalisches Wirken», von der Abteilung Bildung, Soziales und Sport der Stadt Bern wurde ihm der Integrationspreis verliehen (für innovative Engagements im Integrationsbereich). Und sein letztes Album hielt sich 28 Wochen in den Top 100 der Schweizer Hitparade.

Ziemlich traurig

In die Mühle Hunziken haben Müslüm und seine Band geladen, um das baldige Erscheinen ihres zweiten Albums «Apochalüpt» zu feiern. Ein Werk, das ziemlich nahtlos dort anknüpft, wo das erste aufgehört hat.

Der Vorgänger «Süpervitamin» wollte kein Comedy-Album sein, sondern ein anspruchsvolles Immigranten-Popalbum, wie Semih Yavsaner einmal erklärte. Während der CD-Produktion gebe es in keiner Phase jene Intimität, die er brauche, um den spontanen Humor des Müslüm zum Leben zu erwecken. Das war auch fürs neue Tonwerk nicht der Anspruch. Es soll primär musikalisch überzeugen. Und das tut es durchaus. Da wurmt sich so einiges ins Ohr, da vermengt sich auf ganz organische Weise Orientalisches mit Jamaikanischem. Das ist Ethno-Pop von der süffigeren Sorte. In der Türkei hat man sich dafür eigens das Orchester Istanbul Strings ins Studio geholt, in Bern hat Produzent Ben Mühlethaler den Pop-Guss angerührt, er ist der Mann, dem die Ehre zuteil wurde, das letzte Album von Prince abzumischen. Er klingt gut, dieser «Apochalüpt», aber eben: Richtig lustig ist er nicht. Müslüm singt vom Brückenbauen zwischen den Kulturen, hinterfragt in einem orientalischen Sunshine-Reggae Redewendungen auf ihren Wahrheitsgehalt («Glaub nicht alles»), oder er trauert seinem Schätzeli nach («Dünamit»), was sogar ziemlich traurig ist.

Mehr als ein lustiger Sänger

In der Mühle Hunziken offenbart sich erst im zweiten Set, was in diesem Müslüm so stecken würde. Auf einmal gelingt ihm der Spagat zwischen Weltschmerz und Weltaufwiegelung spielend. Und auf einmal wird auch klar, was den Herrn mit dem üppigen Haarwuchs so bedrückt. Er erzählt davon, wie er es genossen habe, wenn ihm früher die Leute auf der Strasse nachriefen. Wenn aber heute einer Müslüm rufe, dann gebe es Panik: «Dann meinen die Leute, der fliegt gleich in die Luft.» Er erzählt vom Gastarbeiter-Chromosom, das zu einer gewissen Schwermut führe, wenn er sich mit Reinigungsgerätschaften konfrontiert sehe, und dass er sich manchmal selber dabei ertappe, wie er im Bus die Fenster zu putzen beginne. Und die Welt, die wolle er zu mehr Liebe aufwiegeln. Zudem plädiere er für eine Umwandlung der Cumulus-Punkte in Schweizer Franken.

Dann stimmt er mit seiner grossartigen Band die Patent-Ochsner-Hymne «Venus vo Bümpliz» an, und so untermalt mit Darbuka und osmanischen Synthesizerstreichern wird aus der Schönheit mit den Kirchenfensteraugen tatsächlich eine stolze Türken-Dame, die mit einer Karawane aus hundert Kindern durch die Strassen von Bern-West zieht.

Ja es wird ihm viel zugemutet, diesem Müslüm. Er wird nicht alles prästieren können. Mit der Weltverbesserung wirds schwer. Und als CD-Künstler geniesst er zu wenig Entfaltungsspielraum, um wirklich umwerfend zu sein. Man muss ihn live erleben, um ihm einigermassen auf die Schliche zu kommen. Wenn er einen guten Abend er­wischt, dann ist er weit mehr als der singende Typ mit dem lustigen Anzug.

Müslüm: «Apochalüpt» (Musikvertrieb). Das Album erscheint am 6. Februar.


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Erstellt: 02.02.2015
Geändert: 02.02.2015
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