Motorrad: "Vielleicht will ich manchmal zu viel"

Tom Lüthi hat ereignisreiche Wochen hinter sich. Er stürzte schwer, gewann das nächste Rennen, wurde 30 Jahre alt. Darüber und über seine Saison, seine Pläne und den Traum von der Moto-GP-Kategorie spricht er im Interview. Er sagt: «Ich fühle mich nicht alt. Ich will noch lange fahren.»

Fabian Ruch

Wie stufen Sie Ihre Saison auf einer Skala von 1 bis 10 ein?

Tom Lüthi: 10 ist perfekt, was? Das ist sie nicht. Ich bin nach dem Sieg in Silverstone wieder auf dem dritten WM-Zwischenrang, deshalb würde ich sagen: eine 8!

Glauben Sie noch an den Titel?

Es sind fünf Rennen zu fahren. Johann Zarco und Alex Rins sind 50 Punkte und mehr vor mir, sie fahren stark, sehr konstant, da muss ich realistisch bleiben. Ich hatte leider drei Nuller, zweimal stürzte ich, einmal konnte ich nach einem Unfall nicht starten.

Gibt es etwas, worüber Sie sich besonders ärgern?
Vielleicht will ich manchmal zu viel. Auf dem Sachsenring etwa war es schwierig, es regnete, aber ich war schnell, griff an, weil ich das Gefühl hatte, es liege mehr drin, und stürzte. Sonst hätte ich Rang 5 erreicht. Aber das wollen wir nicht, wir wollen gewinnen. Das ist ein wenig das Bild der Saison. Ich gehe viel Risiko ein.

 

Ob Sie Erster sind oder Dritter macht für Sie einen gewaltigen Unterschied auf der medialen und finanziellen Seite...

... schon zwischen Rang 1 und 2 ist das so. Allerdings wäre ich glücklich, würde ich nach dieser Saison Dritter. Zumal ich in der Moto 2 noch nie auf dem Podest stand.

Und wie zufrieden sind Sie mit dem Team und Ihrer Crew?

Ausgezeichnet, wir haben uns viel aufgebaut in dieser Struktur, der neue Cheftechniker Gilles Bigot macht einen sehr guten Job. Und ich bin keiner, der im Fahrerlager rumläuft und sich anbietet. Es gab mit KTM Verhandlungen, aber ich setze auf Kontinuität.

Dominique Aegerter läuft es weniger gut. Warum?

Er hat zu kämpfen, er sagt, er finde das Vorderrad nicht immer, zuletzt musste er wegen einer Trainingsverletzung zweimal aussetzen. Es gibt solche schwierigeren Phasen, wenn zwei, drei Details nicht passen.

Sie stürzten kürzlich in Brünn im Training ebenfalls schwer. Reagieren Sie mit 30 Jahren anders als früher auf solche Unfälle?

Nein. Die Hirnerschütterung war heftig, aber ich wollte das Rennen unbedingt bestreiten. Als Fahrer will man sofort wieder auf die Maschine steigen. Am wichtigsten für mich ist die Ursache eines Unfalls. War es das Material, welche Fehler liegen bei mir, was kann ich anders machen?

Sie siegten dann gleich im nächsten Rennen in Silverstone.

Das war speziell. Als ich dort ankam, fühlte ich mich nicht gut, konnte mich nicht vorbereiten, die Motivation war tief, wir konnten wegen des schlechten Wetters kaum trainieren. Das kam mir entgegen, weil ich mich zuerst noch schonen durfte.

Sie starteten von Position 10 aus. Ist Tom Lüthi stärker, wenn man von ihm weniger erwartet?

(schmunzelt) Das ist eine sehr gute Frage, die ich mir auch stelle. Keiner erwartete etwas von mir nach dem Sturz in Brünn. Es ist auch so, dass ich mich sehr auf die Überseerennen freue. Dort liefere ich oft gute Resultate, es ist ruhiger, wir haben kaum Gäste, ich habe den vollen Fokus auf die Rennen. In Europa ist das Business grösser, ich habe deutlich mehr Termine. Vielleicht spielt das eine Rolle. Daran muss ich arbeiten. In Silverstone war fast niemand da, ich hatte keinen grossen Druck.

Sie sagten mal, der grösste Druck komme von Ihnen selber.

Klar, das ist immer noch so. Doch nach diesem Unfall ging ich Silverstone ohne Erwartungen an. Es ist nicht ganz so einfach, den Druck zu steuern. Ich kann ja nicht mit der Einstellung in ein Wochenende steigen, es sei völlig egal, wie ich abschneide.

Was sagt es über Sie aus, nach einem derart heftigen Unfall das nächste Rennen zu gewinnen?

Das hat viel mit Willen zu tun. Die anderen Fahrer waren beeindruckt, es gab viele Gratulationen.

Schauen Sie einen Sturz eigentlich in Superzeitlupe an?

Ja, intensiv, die Daten der Maschine sind gespeichert, wir vergleichen das mit dem TV-Bild, wir analysieren die Schräglage, mein Fahrverhalten, einfach alles. Es war ein neuer Reifen drauf, ich war wohl zu aggressiv, das wäre ein dummer Fehler, den ich mir fast nicht zutraue. Aber das Problem ist sowieso, dass mir die Erinnerung total fehlt zwischen dem letzten Boxenstopp und dem Erwachen im Helikopter.

War das eigentlich Ihr bisher schwerster Sturz?

Von der Verletzung her nicht, aber er war heftig, die Bilder sind krass. Meine Eltern waren dabei, sie waren geschockt, aber solche Sachen thematisieren wir nicht lange. Es geht weiter. Ich flog mit dem Kopf auf den Asphalt und war etwa eine Minute bewusstlos. Der Körper schaltete auf Notmodus. Aber es war zum Glück erst meine zweite Hirnerschütterung nach einem Unfall in Indianapolis 2008. Und mir ist wichtig, dass im Kopf alles stimmt, da gab es viele Untersuchungen.

Kürzlich wurden Sie 30 Jahre alt, in ihrem Sport gehört man da schon fast zum alten Eisen. Sie bezeichneten stets Superstar Valentino Rossi als grosses Vorbild. Das dürfte er immer noch sein, schliesslich fährt er auch mit 37 Jahren in der Moto-GP-Kategorie noch ganz vorne mit.

Klar. Als ich ein Kind war, hingen seine Poster in meinem Zimmer, heute ist er nach 20 Jahren immer noch einer der besten Fahrer. Das ist schwer beeindruckend. Rossi war wohl das Vorbild aller Fahrer, die jünger sind als er, zumal er wirklich ein cooler Typ ist.

Wie äussert sich das?

Er hat zum Beispiel eine eigene Strecke in der Nähe von Misano, wo er herkommt, da züchtet er in der «Rossi Academy» starke junge Fahrer heran. Er bot mir an, mal vorbeizuschauen. Das werde ich ganz bestimmt machen.

Wir sprachen schon oft darüber, ob und wie das Alter einen Rennfahrer verändert. Es heisst, Kinder würden einen auf der Strecke schon ein wenig vorsichtiger werden lassen. Und das Alter?

(lacht) Das mit den Kindern kann ich nicht beurteilen. Und, wirklich, ich denke nicht anders als früher, da ist kein Zögern festzustellen. Ich wollte gleich wieder racen, ich gewann ja dann auch in Silverstone. Selbstverständlich bin ich ein anderer Fahrer als mit 20, ich habe mehr Erfahrung und bin kompletter. Dennoch gibt es Situationen, wo es besser wäre, den jugendlichen Leichtsinn noch ein wenig zu haben. (lacht erneut)

Und den Moto-GP-Traum haben Sie nicht aufgegeben?

Nein! Nein, sicher nicht. Es ist extrem schwierig, in ein Werkteam zu kommen, da ist der Jugendwahn ausgebrochen, seit Marc Marquez durchmarschiert ist. Das nervt sehr. Ich kann auch mit 30 oder eben 37 Jahren noch 20-Jährige schlagen. Und als Schweizer ist es leider besonders schwierig, weil unser Markt sehr klein ist.

Wo würden Sie denn in der Moto GP stehen, wenn Sie in einem Werkteam fahren könnten?

Das ist schwierig. Ich lebe dort, wo ich stehe, und so schlecht ist das nicht, wir fahren an der Weltspitze in der Moto 2. Für mich war es in diesem Sommer ein unfassbar geiles Erlebnis, Moto-GP-Testfahrten zu absolvieren.

Beschreiben Sie.

Der erste Test war in Mugello, das war wahnsinnig, da hat es eine lange Gerade, dann kommt eine Schikane, und man fährt da mit weit über 300 km/h auf die Kurve zu, bremst spät ab, die Kräfte, die auf einen wirken, sind unbeschreiblich. Es hebt einem ständig das Vorderrad, das kann man sich nicht vorstellen, wenn man es nicht erlebt hat. Die gewaltige Power mit weit über 200 PS ist der grösste Unterschied zur Moto 2. Das ist eine Waffe.

Wie war denn Ihre Spitzengeschwindigkeit?

Das kann ich nicht sagen, weil KTM, wo ich testen durfte, erst nächste Saison einsteigt. Ich darf keine Daten rausgeben. Ducati stellte mal einen Rekord mit 353 km/h auf. Ich fuhr schnelle Runden, die Leute von KTM waren begeistert. Sie haben leider schon Fahrer mit Moto-GP-Erfahrung unter Vertrag genommen. Aber der Kontakt ist da, wir werden sehen, was sich daraus ergibt.

Wie sieht Ihre Planung aus?

Ich will noch lange fahren, nun habe ich einen neuen Zweijahresvertrag unterschrieben mit der Option, Ende nächster Saison auszusteigen, wenn sich die Möglichkeit ergibt, Moto GP zu fahren. Ich fühle mich nicht alt. Kürzlich, als ich in Assen Trainingsschnellster war, erzählte ich an der Pressekonferenz von diesem Jugendwahn, und Rossi sass hinter mir mit Journalisten. Ich zeigte auf ihn, er sei ja viel älter als ich und gewinne Rennen. Rossi erkundigte sich, um was es gehe, lachte und sagte, ich könne noch lange vorne mitfahren.

Wie stark ist eigentlich die Konkurrenz durch andere Sportarten?

Der Fussball ist zu gross für andere Sportler. Aber das ist in anderen Ländern viel krasser. In Deutschland wird der Sieg eines Motorradfahrers kaum vermeldet.

Und was fehlt noch, damit Sie später einmal sagen würden, Sie hätten als Fahrer eine ausgezeichnete Karriere erlebt?

Ich möchte noch einmal Weltmeister werden. Derzeit bin ich ja nicht weit weg. Wichtig sind Kopf, Körper, Motivation, und da sehe ich bei mir keine Probleme.

Sie erwähnen die Moto GP nicht.

Weil das alles zusammenhängt. Wenn ich Moto-2-Weltmeister werde, ist die Chance viel, viel grösser, dass ich oben fahren darf. Und das bleibt mein Traum.

 

 

Tom Lüthi - Mit mehr Muskeln auf dem WM-Podest

Tom Lüthi bittet zum Gesprächstermin im Fitnesscenter seines Vertrauens in Lützelflüh. Er wirkt austrainiert – und deutlich muskulöser als vor einem Jahr. «Wir haben viel Wert darauf gelegt, dass ich noch robuster und fitter werde», sagt der Motorradfahrer, «weil mich das widerstandsfähiger macht.»

Tom Lüthi ist Anfang Monat 30 Jahre alt geworden. Das war für ihn kein Grund zum Feiern, zumal er sowieso keiner ist, der Geburtstage mit grossen Festen begeht. «Ich war zu Hause in Oberdiessbach», sagt Lüthi. «Ich feiere lieber, wenn ich gewonnen habe.» So wie zwei Tage vor seinem Geburtstag in Silverstone, als er im ersten Rennen nach seinem heftigen Sturz in Brünn sensationell triumphierte. Es war der 12. Sieg in der langen, erfolgreichen, aber auch sturzreichen Karriere Lüthis, der 2005 in der 125er-Kategorie Weltmeister geworden war. In der aktuellen Moto2Saison liegt der Berner fünf Rennen vor Schluss auf Rang 3, allerdings weit hinter Johann Zarco und Alex Rins. Am Sonntag geht es mit dem GP von Aragonien weiter. Gestern fuhr Lüthi am ersten Trainingstag auf Rang 3. 


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Erstellt: 24.09.2016
Geändert: 24.09.2016
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