Michael Frey: "Ich brauche zum Glücklichsein nur einen Ball"
Ein Spaziergang mit Michael Frey durch Lille, wo der ehemalige YB-Fussballer aus Münsingen seit knapp drei Monaten spielt.
Adrian Ruch, Berner Zeitung BZ
Obwohl seit seinem Transfer von den Young Boys zum Lille OSC schon fast drei Monate vergangen sind, erlebt Michael Frey am Treffpunkt eine Überraschung. Auf dem Grande Place in der Altstadt steht vor dem Brunnen ein Riesenrad und ein fast so hoher Tannenbaum.
Es ist früher Samstagnachmittag, und dem Berner, der nach zwei Partien mit dem U-21-Nationalteam und einer Stippvisite im Elternhaus erst am Vortag zurückgekehrt ist, fällt sofort auf, dass ungewöhnlich viele Menschen durch die Gassen strömen. «Und man hört viel Schweizerdeutsch», sagt er strahlend. Die helvetischen Besucher sind wegen des Davis-Cup-Finals in den französischen Norden gepilgert.
Erkannt wird der eine blau-weisse Daunenjacke und eine Skimütze tragende Frey nicht – weder von den Touristen aus der Heimat noch von den Einheimischen. Das war auch schon anders. «Als mir im Spiel gegen St.Etienne vor fast 40'000 Zuschauern ein Tor gelungen war, musste ich am nächsten Tag in der Stadt 30 bis 40 Autogramme schreiben», erzählt er.
Fussballerisch hat sich Frey in Lille sofort zurechtgefunden, doch in Bezug auf die Lebensumstände war die Umstellung gross. Zuvor hatte er im beschaulichen Münsingen bei seinen Eltern gelebt, von einem Tag auf den anderen musste sich der 20-Jährige nahe der belgischen Grenze in einer Stadt, in deren Grossraum eine Million Leute leben, zurechtfinden. «Das Alleinsein ist das Schlimmste», erzählt er während eines Spaziergangs durch das Zentrum.
Und wie geht es mit dem Französisch? «Das ist das Zweitschwierigste», antwortet er entwaffnend ehrlich. Doch Frey hat sprachlich schon erhebliche Fortschritte gemacht, einerseits durch die Alltagskommunikation, anderseits durch die Privatlektionen, die ihm ein pensionierter Professor jeden Dienstagnachmittag im Trainingszentrum seines Arbeitgebers erteilt. Und auch mit der Einsamkeit ist es bald vorbei. Freys Mentor und Physiotherapeut, Hanspeter Sterchi, wird künftig zeitweise bei ihm in Lille wohnen.
Michael Frey führt den Besucher zum Place Gilleson. Die moderne Kathedrale Notre Dame de la Treille dominiert das Bild, doch sie ist nicht der Grund, weshalb der Fussballprofi gern herkommt. Am Platz hat es diverse kleine Restaurants mit Tischen im Freien. Hier kann man in Ruhe etwas trinken und das emsige Treiben beobachten.
Zuerst wurde Frey vom Lille OSC im Luxushotel L’Hermitage Gantois einquartiert. Gleichenorts wohnte während des Davis-Cups das Schweizer Team. «Ich hatte ein winziges Zimmer, darin hätten sie höchstens Roger Federers Hund einquartiert», scherzt er. Er beklagt sich deswegen nicht, der junge Berner ist trotz einem geschätzten Marktwert von drei Millionen Euro bescheiden und unkompliziert geblieben. «Ich brauche zum Glücklichsein nur einen Ball.» Er habe jeweils sogar im Korridor des edlen Hotels gekickt und jongliert – jedenfalls, bis er getadelt worden sei.
Frey ist die Schweizer Version eines Strassenfussballers. Tagelang spielte er einst mit seinem Bruder und dem Grossvater hinter dem Haus Fussball. «Und wenn der Vater von der Arbeit kam, musste er auch noch helfen», erzählt er schmunzelnd. Die Begeisterung und Leidenschaft für seinen Sport haben seither nicht abgenommen. Er sagt Sätze wie: «Du kannst eigentlich immer trainieren.» Und: «Hier habe ich nur den Fussball.» Und: «Ich denke fast jede Sekunde an Fussball – wie ein Kranker.»
Seit gut drei Wochen wohnt der Münsinger in einer 3-Zimmer-Wohnung im Quartier Marcq-en-Baroeul. Die Aussicht vom Balkon aus sei herrlich, schwärmt er, «man sieht direkt auf einen Fussballplatz». Allerdings ist dieser eingezäunt. Er werde sich demnächst einen Schlüssel besorgen, versichert er glaubhaft.
Der Umzug war für Michael Frey ein Abenteuer. «Anfangs funktionierte das Licht nur im Gang. Es hatte noch keine Möbel. Am Boden lag eine Matratze mit einem Kissen und einer Decke. Zwei Nächte habe ich so geschlafen.» Bei Ikea besorgte er sich dann die nötige Einrichtung, wobei ihm ein Mannschaftsbetreuer zur Seite stand. «Es war streng; gemeinsam mit ihm musste ich alle Möbelstücke in den 7. Stock tragen.»
Mittlerweile ist er gut eingerichtet. Zweimal pro Woche nimmt er die Hilfe einer Haushälterin in Anspruch, die putzt, Kleider wäscht und aus gesunden Zutaten Menüs zum Aufwärmen zubereitet. Manchmal kocht Frey auch selber. «Fleisch, Teigwaren und Salat kann ich mittlerweile gut machen.»
Während er erzählt, trinkt Michael Frey Mineralwasser ohne Kohlensäure. Der junge Berner lebt seriös. Er ernährt sich gesund und achtet darauf, genügend Schlaf zu bekommen. Er gehört auch nicht zu jenen, die stundenlang Videogames spielen. In der Freizeit geht er in einem der schönen Parks spazieren, oder er zeichnet. Wenn er zeichne, sei es, als würde die Zeit stillstehen.
«Ich war schon immer sehr diszipliniert», sagt er. Schliesslich verfolgt er hohe Ziele. Zwei hat er mit den Einsätzen bei YB und dem Transfer zum LOSC bereits erreicht. Lille soll nicht die Endstation sein. Doch vorerst will er hier «zum Stürmer Nummer 1 werden und Goal um Goal schiessen. Wenn ich hart und diszipliniert arbeite, wird das so kommen.» Bei anderen würde dieser Satz arrogant klingen, bei Michael Frey nicht. Er zeugt von einem tief verankerten Selbstvertrauen und der Bereitschaft, für den Erfolg Opfer zu bringen.
Obdachlose säumen den Weg zum Gare de Lille Flandres. «Das ist ein grosser Unterschied zu Bern, hier sieht man überall Penner», meint Frey. Er meint das nicht abschätzig und verspürt durchaus Mitleid. «Ich gebe fast jedem etwas Geld.» Auf der Fahrt nach Villeneuve d’Ascq, wo die moderne Heimstätte des Lille OSC steht, steigt eine junge, hübsche Frau in die Metro ein. Michael Frey mustert sie ausgiebig. «Eine Freundin, das wäre schon etwas», sagt er mehr zu sich selber, verwirft den Gedanken aber sogleich wieder. «Das ist etwas für später.» Die Gegenwart bedeutet für ihn Fussball, nur Fussball.
Unruhe – wie bei YB
Lille OSC hat bisher dreimal den französischen Meistertitel gewonnen, letztmals 2011. Der 1944 gegründete Verein verfügt über das 50'186 Zuschauer fassende Pierre-Mauroy-Stadion, wo der Davis-Cup-Final stattfand, sowie über das hochmoderne Trainingszentrum Domaine de Luchin.
Laut Michael Frey ist beim LOSC alles noch etwas grösser und besser als bei den Young Boys. «Im Training ist das Tempo ein wenig höher, der Konkurrenzkampf ist noch härter», berichtet der 20-Jährige. YB-Trainer Uli Forte habe mehr Wert auf die taktische Ausbildung gelegt, unter René Girard werde fast ausschliesslich mit dem Ball trainiert. «Technisch bin ich definitiv besser geworden.»
Für das YB-Fanionteam gelangen Frey in 92 Einsätzen 24 Tore sowie 14 Assists. Für Lille buchte er bisher je 1 Treffer und 1 Assist. Eigentlich spiele er gut, erzählt er, «aber ich muss vor dem Tor ein Killer werden». Obwohl der Münsinger im Kader einer der Jüngsten ist, kommt er bisher regelmässig zum Einsatz. «Der Trainer setzt auf mich, aber letztlich liegt es allein an mir, wie viel ich spiele», meint er pragmatisch.
Derzeit belegen die Nordfranzosen, die am Donnerstagabend in Krasnodar (Russ) einen Europa-League-Match bestreiten, in der Ligue 1 nur den 14. Platz. Daher herrscht im Umfeld des Vereins Unruhe, was Frey freilich nicht stresst. «Das bin ich mir von YB gewohnt. Zudem: In den schwierigsten Phasen lernt man am meisten.»
Es ist früher Samstagnachmittag, und dem Berner, der nach zwei Partien mit dem U-21-Nationalteam und einer Stippvisite im Elternhaus erst am Vortag zurückgekehrt ist, fällt sofort auf, dass ungewöhnlich viele Menschen durch die Gassen strömen. «Und man hört viel Schweizerdeutsch», sagt er strahlend. Die helvetischen Besucher sind wegen des Davis-Cup-Finals in den französischen Norden gepilgert.
Erkannt wird der eine blau-weisse Daunenjacke und eine Skimütze tragende Frey nicht – weder von den Touristen aus der Heimat noch von den Einheimischen. Das war auch schon anders. «Als mir im Spiel gegen St.Etienne vor fast 40'000 Zuschauern ein Tor gelungen war, musste ich am nächsten Tag in der Stadt 30 bis 40 Autogramme schreiben», erzählt er.
Fussballerisch hat sich Frey in Lille sofort zurechtgefunden, doch in Bezug auf die Lebensumstände war die Umstellung gross. Zuvor hatte er im beschaulichen Münsingen bei seinen Eltern gelebt, von einem Tag auf den anderen musste sich der 20-Jährige nahe der belgischen Grenze in einer Stadt, in deren Grossraum eine Million Leute leben, zurechtfinden. «Das Alleinsein ist das Schlimmste», erzählt er während eines Spaziergangs durch das Zentrum.
Und wie geht es mit dem Französisch? «Das ist das Zweitschwierigste», antwortet er entwaffnend ehrlich. Doch Frey hat sprachlich schon erhebliche Fortschritte gemacht, einerseits durch die Alltagskommunikation, anderseits durch die Privatlektionen, die ihm ein pensionierter Professor jeden Dienstagnachmittag im Trainingszentrum seines Arbeitgebers erteilt. Und auch mit der Einsamkeit ist es bald vorbei. Freys Mentor und Physiotherapeut, Hanspeter Sterchi, wird künftig zeitweise bei ihm in Lille wohnen.
Michael Frey führt den Besucher zum Place Gilleson. Die moderne Kathedrale Notre Dame de la Treille dominiert das Bild, doch sie ist nicht der Grund, weshalb der Fussballprofi gern herkommt. Am Platz hat es diverse kleine Restaurants mit Tischen im Freien. Hier kann man in Ruhe etwas trinken und das emsige Treiben beobachten.
Zuerst wurde Frey vom Lille OSC im Luxushotel L’Hermitage Gantois einquartiert. Gleichenorts wohnte während des Davis-Cups das Schweizer Team. «Ich hatte ein winziges Zimmer, darin hätten sie höchstens Roger Federers Hund einquartiert», scherzt er. Er beklagt sich deswegen nicht, der junge Berner ist trotz einem geschätzten Marktwert von drei Millionen Euro bescheiden und unkompliziert geblieben. «Ich brauche zum Glücklichsein nur einen Ball.» Er habe jeweils sogar im Korridor des edlen Hotels gekickt und jongliert – jedenfalls, bis er getadelt worden sei.
Frey ist die Schweizer Version eines Strassenfussballers. Tagelang spielte er einst mit seinem Bruder und dem Grossvater hinter dem Haus Fussball. «Und wenn der Vater von der Arbeit kam, musste er auch noch helfen», erzählt er schmunzelnd. Die Begeisterung und Leidenschaft für seinen Sport haben seither nicht abgenommen. Er sagt Sätze wie: «Du kannst eigentlich immer trainieren.» Und: «Hier habe ich nur den Fussball.» Und: «Ich denke fast jede Sekunde an Fussball – wie ein Kranker.»
Seit gut drei Wochen wohnt der Münsinger in einer 3-Zimmer-Wohnung im Quartier Marcq-en-Baroeul. Die Aussicht vom Balkon aus sei herrlich, schwärmt er, «man sieht direkt auf einen Fussballplatz». Allerdings ist dieser eingezäunt. Er werde sich demnächst einen Schlüssel besorgen, versichert er glaubhaft.
Der Umzug war für Michael Frey ein Abenteuer. «Anfangs funktionierte das Licht nur im Gang. Es hatte noch keine Möbel. Am Boden lag eine Matratze mit einem Kissen und einer Decke. Zwei Nächte habe ich so geschlafen.» Bei Ikea besorgte er sich dann die nötige Einrichtung, wobei ihm ein Mannschaftsbetreuer zur Seite stand. «Es war streng; gemeinsam mit ihm musste ich alle Möbelstücke in den 7. Stock tragen.»
Mittlerweile ist er gut eingerichtet. Zweimal pro Woche nimmt er die Hilfe einer Haushälterin in Anspruch, die putzt, Kleider wäscht und aus gesunden Zutaten Menüs zum Aufwärmen zubereitet. Manchmal kocht Frey auch selber. «Fleisch, Teigwaren und Salat kann ich mittlerweile gut machen.»
Während er erzählt, trinkt Michael Frey Mineralwasser ohne Kohlensäure. Der junge Berner lebt seriös. Er ernährt sich gesund und achtet darauf, genügend Schlaf zu bekommen. Er gehört auch nicht zu jenen, die stundenlang Videogames spielen. In der Freizeit geht er in einem der schönen Parks spazieren, oder er zeichnet. Wenn er zeichne, sei es, als würde die Zeit stillstehen.
«Ich war schon immer sehr diszipliniert», sagt er. Schliesslich verfolgt er hohe Ziele. Zwei hat er mit den Einsätzen bei YB und dem Transfer zum LOSC bereits erreicht. Lille soll nicht die Endstation sein. Doch vorerst will er hier «zum Stürmer Nummer 1 werden und Goal um Goal schiessen. Wenn ich hart und diszipliniert arbeite, wird das so kommen.» Bei anderen würde dieser Satz arrogant klingen, bei Michael Frey nicht. Er zeugt von einem tief verankerten Selbstvertrauen und der Bereitschaft, für den Erfolg Opfer zu bringen.
Obdachlose säumen den Weg zum Gare de Lille Flandres. «Das ist ein grosser Unterschied zu Bern, hier sieht man überall Penner», meint Frey. Er meint das nicht abschätzig und verspürt durchaus Mitleid. «Ich gebe fast jedem etwas Geld.» Auf der Fahrt nach Villeneuve d’Ascq, wo die moderne Heimstätte des Lille OSC steht, steigt eine junge, hübsche Frau in die Metro ein. Michael Frey mustert sie ausgiebig. «Eine Freundin, das wäre schon etwas», sagt er mehr zu sich selber, verwirft den Gedanken aber sogleich wieder. «Das ist etwas für später.» Die Gegenwart bedeutet für ihn Fussball, nur Fussball.
Unruhe – wie bei YB
Lille OSC hat bisher dreimal den französischen Meistertitel gewonnen, letztmals 2011. Der 1944 gegründete Verein verfügt über das 50'186 Zuschauer fassende Pierre-Mauroy-Stadion, wo der Davis-Cup-Final stattfand, sowie über das hochmoderne Trainingszentrum Domaine de Luchin.
Laut Michael Frey ist beim LOSC alles noch etwas grösser und besser als bei den Young Boys. «Im Training ist das Tempo ein wenig höher, der Konkurrenzkampf ist noch härter», berichtet der 20-Jährige. YB-Trainer Uli Forte habe mehr Wert auf die taktische Ausbildung gelegt, unter René Girard werde fast ausschliesslich mit dem Ball trainiert. «Technisch bin ich definitiv besser geworden.»
Für das YB-Fanionteam gelangen Frey in 92 Einsätzen 24 Tore sowie 14 Assists. Für Lille buchte er bisher je 1 Treffer und 1 Assist. Eigentlich spiele er gut, erzählt er, «aber ich muss vor dem Tor ein Killer werden». Obwohl der Münsinger im Kader einer der Jüngsten ist, kommt er bisher regelmässig zum Einsatz. «Der Trainer setzt auf mich, aber letztlich liegt es allein an mir, wie viel ich spiele», meint er pragmatisch.
Derzeit belegen die Nordfranzosen, die am Donnerstagabend in Krasnodar (Russ) einen Europa-League-Match bestreiten, in der Ligue 1 nur den 14. Platz. Daher herrscht im Umfeld des Vereins Unruhe, was Frey freilich nicht stresst. «Das bin ich mir von YB gewohnt. Zudem: In den schwierigsten Phasen lernt man am meisten.»