Mein Zuhause: "Wir leben hier fast wie im Paradies"
Stefan Kipfer, seine Lebenspartnerin Heidi Bürgin und deren Bruder Peter wohnen in Linden in einem ehemaligen Schulhaus. Das muntere Trio fühlt sich dort so richtig wohl.
Linden im Emmental? Das ist doch dort, wo der berüchtigte Sektenführer Paul Baumann alias «Vatti» sein Unwesen trieb. Aber auch dort, wo Töffrennfahrer Tom Lüthi heimisch ist. «Ja, ja», meint Heidi Bürgin mit einem Schmunzeln im Gesicht, «darauf werden wir regelmässig angesprochen, wenn wir Auswärtigen erklären, wir würden in Linden wohnen.»
Hier also ein wegen sexuellen Missbrauchs in den 1970er-Jahren verurteilter Pseudoguru und da ein international erfolgreicher Motorradcrack - unterschiedlicher könnten die Lebensläufe der beiden berühmtesten Lindener kaum sein. Doch das nur so am Rande. Seit 2007 ist Linden Heimat und Lebensmittelpunkt von Heidi Bürgin. Vor acht Jahren zog sie gemeinsam mit ihrem Lebenspartner Stefan Kipfer, Tochter Anaïs - sie ist unterdessen ausgezogen - und ihrem Bruder Peter ins ehemalige Schulhaus Otterbach. Peter ist wegen einer unfallbedingten Hirnverletzung schwer beeinträchtigt und muss rund um die Uhr betreut werden.
Heidi Bürgin (56) und Stefan Kipfer (45) waren zuvor jahrelang mit dem eigenen Kleinzirkus Stellina in der ganzen Schweiz unterwegs.
Früher im Wohnwagen gelebt
Sie trat unter anderem als Seiltänzerin und mit Schlangen auf, er war Feuerartist und verantwortlich für die Haustechnik des Zirkusunternehmens. Zudem betrieben sie auf dem Campingplatz in Erlach zwischenzeitlich einen Imbissstand. Wohnwagen waren ihr Zuhause. «Als wir uns entschieden, sesshaft zu werden, suchten wir ein Objekt, in dem wir Leben, Arbeiten und die Betreuung von Peter unter einen Hut bringen können», erzählt Heidi Bürgin. Auf das ehemalige Schulhaus in Linden stiessen Bürgin und Kipfer 2006 durch ein Inserat im Amtsanzeiger Konolfingen. Und nach einer ersten Besichtigung war für die beiden rasch klar: Hier wollen wir hin!
Man einigte sich mit der Gemeinde über den Kaufpreis und begann sogleich mit dem Umbau des 1893 erstellten Gebäudes. Nicht nur Geld, auch viel Eigenleistung und Herzblut wurden in das Wohnprojekt investiert. Und das Resultat kann sich mehr als sehen lassen. Aus dem früheren Schulzimmer im Parterre entstand ein 65 Quadratmeter grosser Wohnraum mit einer integrierten, offenen Küche, Parkettboden, zahlreichen Sitzgelegenheiten und mächtig viel Bewegungsfreiheit.
Die ehemalige Küche im ersten Stock wurde in ein romantisches Badezimmer umgewandelt, Schlafzimmer wurden hergerichtet, Nebenräume umgenutzt und neu gestaltet. «Es war eine ‹Mordsbüez› - aber es hat sich wirklich gelohnt», bilanziert Stefan Kipfer, der gelernte Feinmechaniker, sichtlich zufrieden.
«Das grosse Los gezogen»
Doch nicht nur das Haus ist ein Bijou. Auch der Aussenbereich mit Garten, grossem Rasen - und Kiesplatz sowie einem Pavillon ist schmuck gestaltet. Und dann erst die Aussicht, das Alpenpanorama - schlicht atemberaubend...
«Ich denke, wir haben hier wirklich das grosse Los gezogen. Wir leben fast ein wenig wie im Paradies», betont Heidi Bürgin. Die Absolventin der Dimitri-Zirkus- und -Theaterschule hat unterdessen einen Bewirtungs- und Kochservice aufgezogen, ihr Lebenspartner produziert in seinem Atelier im Haus kunsthandwerkliche Objekte. «Wir können hier die verschiedensten Projekte umsetzen, und auch die Betreuung meines 59-jährigen Bruders lässt sich in einem tollen Umfeld bewerkstelligen.»
Bestens integriert
Stefan Kipfer ist aufgewachsen in Worb, Heidi Bürgin kommt ursprünglich aus dem Kanton Aargau. Sie sind also keine «Hiesigen», sondern «Zugezogene» in dieser recht abgelegenen Gemeinde auf rund 1000 Metern Höhe. «Doch das spielte nie eine Rolle. Wir wurden hier ganz toll aufgenommen von der Bevölkerung, sind bestens integriert. Und das, obwohl wir ja nicht gerade dem Klischee einer Normfamilie entsprechen», betont die ausgebildete Artistin.
Wichtig sei halt, dass man als Zuzüger an einem Ort wie Linden auf die Menschen zugehe und sich nicht abschotte. «Dann klappts auch mit guten nachbarschaftlichen Beziehungen», sagt die quirlige Frau mit den langen blonden Haaren. Und ja, man glaubt ihr einfach.