Mehari Mengstab aus Tägertschi: „Ich lebe lieber auf dem Land“
Als Mehari Mengstab mit knapp 17 Jahren in die Schweiz kam, fand er die Leute hier erstmal alle freundlich. „Ich hatte viel Unterstützung von Schweizern“, sagt er. Er findet aber auch, dass es nicht einfach ist, in der Schweiz Freundschaften zu schliessen. BERN-OST hat er erzählt, wie es war, als Jugendlicher aus Afrika in der Schweiz anzukommen und wie er in Tägertschi und Wichtrach seinen Platz gefunden hat.
„Ich könnte mir nicht vorstellen, in der Stadt zu leben“, sagt Mehari Mengstab. Zu laut sei es, zu hektisch und ausserdem schätze er die Aussicht ins Grüne, die er aus seinem Zimmer in Tägertschi hat. Auch in Eritrea, wo er geboren ist, lebte er eher ländlich.
Seine Familie und sein Zuhause verliess der heute 21-jährige Mengstab mit knapp 16, bevor er in den Militärdienst hätte eintreten müssen. Der Militärdienst in Eritrea hat eine unbegrenzte Dauer, was viele seiner Landsleute in die Flucht treibt. Fast ein Jahr war er unterwegs. Die Fluchtroute führte ihn durch den Sudan, durch Libyen, über das Mittelmeer nach Italien und schliesslich in die Schweiz. Was er unterwegs alles erlebt hat, darüber möchte er lieber nicht sprechen, und darum geht es auch nicht in dem Gespräch in einem Café in Bern. BERN-OST wollte der Frage nachgehen, wie es so ist, als Jugendlicher aus Afrika in der Schweiz anzukommen.
Erst französisch, dann deutsch
Die erste Station in der Schweiz war ein Durchgangszentrum (DZ) in Tramelan im Berner Jura. Den Empfang habe er von allen Seiten als freundlich empfunden, sagt er. Das Leben im DZ sei aber sehr trostlos gewesen. „Ich hatte viermal in der Woche eine Stunde Schule und sonst absolut nichts zu tun.“ Als unbegleiteter Minderjähriger Asylsuchender (UMA) wurde er nach vier Monaten in ein Wohnzentrum in Belp verlegt, wo er zusammen mit anderen Jugendlichen betreut wurde. “Da war es viel besser", sagt er heute. Vorallem, weil er täglich Sprach- und Schulunterricht hatte. Allerdings musste er bei ersterem wieder bei Null anfangen, in Tramelan hatte er noch französisch gelernt.
In Belp war es auch, dass er seine „Pflegemutter“ kennenlernte. Kathrin Rudolf arbeitete im Heim als Betreuerin. Regelmässig begleitete sie eine Gruppe Jugendlicher mit dem Velo beim Joggen. So entstand ein enger Kontakt, der auch immer noch besteht. Die Münsingerin hat heute keine offizielle Funktion mehr im Leben von Mengstab. "Ich sage Pflegemutter, weil es das passendste Wort ist", erklärt Mengstab. Sie hilft ihm und einigen anderen ehemaligen UMAs, sich in der Schweiz zurechtzufinden. Sie war es, die ihm später half, in Toffen ein WG-Zimmer zu finden. Und auch das Zimmer in Tägertschi fand er dank ihrer Vermittlung. Inzwischen hatte er einen positiven Asylentscheid bekommen und darf als vorläufig Aufgenommener in der Schweiz bleiben. Joggen gehe er kaum mehr, weil ihm die Zeit nebst Arbeit und Schule fehle. "Ich mache aber noch die Läufe", sagt er. Mehrmals ist er etwa den Grand Prix von Bern und den Münsinger Lauf gelaufen.
Lehre in Wichtrach
Mengstab Mehari spricht gut deutsch. Nach einem 10. Schuljahr an der BFF absolvierte er bei Steiner Wichtrach Haustechnik zuerst eine einjährige Vorlehre und ist nun im zweiten Jahr der Attestlehre als Haustechnikpraktiker Sanitär. Das scheint recht gut zu laufen, immerhin ist sein Ziel ein guter Abschluss. „Eine fünf wäre schön“, sagt er. Ausserdem hofft er, bei Steiner auch noch eine „richtige“ Lehre anzuhängen.
Auf die Frage, ob er sich als gut integriert sieht, zögert er. Defizite sehe er noch bei der Sprache. Zum Glück gebe ihm seine Mitbewohnerin einmal wöchentlich Deutschunterricht und spreche im Alltag konsequent Hochdeutsch mit ihm. Auch habe er zwar regelmässigen Kontakt mit seiner „Pflegemutter“ und ehemaligen WG-Gspändli, seine Freunde seien aber vorwiegend Eritreer. „Es ist nicht einfach, in der Schweiz Freunde zu finden. Die Leute sind eher verschlossen.“ Er selber habe, vor allem dank seiner „Pflegemutter“, viel Unterstützung erhalten beim zurechtfinden, das gelte aber nicht für alle.
Manches sei heute aber bereits sehr anders als bei seiner Ankunft vor rund vier Jahren. „Ich wusste vieles nicht. Technisch ist die Schweiz Eritrea viele Jahre voraus. Ich wusste zum Beispiel nicht, wie eine Toilettenspülung funktioniert.“ Auch die modernen Züge hätten ihn anfangs sehr beeindruckt. Inzwischen habe er sich an vieles gewöhnt. Auch durch die Arbeit fühle er sich gut integriert.
Die Schweizer: Man schaut für sich, ist aber interessiert
Danach gefragt, was ihm in der Schweiz nicht gefalle, meint er: „Darüber denke ich nicht nach.“ Vielleicht, dass jeder eher für sich schaue und dass man weniger familienorientiert sei. „Hier zieht man mit 18 von zuhause aus. In Eritrea bleibt man auch als Erwachsener oft bei der Familie“. Über die guten Seiten seiner neuen Heimat muss er hingegen nicht lange nachdenken. „Dass hier jeder eine Ausbildung macht und diese auch selber wählen kann. In Eritrea übernimmt man meistens einfach den Beruf des Vaters und lernt diesen auch von ihm.“ Anders und positiv sei auch, dass die Leute, wenn man denn mal im Gespräch sei, interessiert seien und Fragen stellten.
Dass am nächsten Wochenende im Kanton Bern über den Kredit für die Unterbringung von UMAs abgestimmt wird, weiss er. Zur Abstimmung könne er nicht viel sagen, meint er. Was seine eigene Erfahrungen angeht, hat er hingegen eine klare Meinung: „Ohne Belp [Das Wohnheim für UMAs, Anm. BERN-OST] wäre ich heute ein anderer Mensch. Vor allem, dass ich wieder in die Schule konnte, war sehr wichtig.“