Martin Sutter: "Etwas von unserem Überfluss weitergeben"
Generationen von Worber Kindern hat er behandelt. Jetzt engagiert sich der Pädiater und Anästhesist in Drittweltländern.
Artur K. Vogel, der Bund
Soeben ist er von einem dreiwöchigen Einsatz am Albert-Schweitzer-Spital in Deschapelles, Haiti, zurückgekehrt. Und vielleicht liegt es in seiner Biografie begründet, dass er gerne reist und ferne Länder besucht: Martin Sutter ist vor 66 Jahren in Karachi geboren worden, das damals zur britischen Kolonie Indien gehörte und heute zu Pakistan. «Mein Vater arbeitete von 1935 bis 1950 für das Handelshaus Volkart in Indien», erzählt Sutter; das war damals eine ziemlich abenteuerliche Existenz, allerdings mit angenehmen Erinnerungen verbunden.
In der Schweiz absolvierte Martin Sutter eine bürgerliche Karriere: Er studierte Medizin an der Universität Bern, liess sich zum Facharzt für Kinderheilkunde ausbilden, war fünf Jahre am Kantonsspital Luzern tätig - allerdings nicht auf seinem Gebiet, sondern als Anästhesist, was ihm später für seine Auslandeinsätze zustattenkam - und acht Jahre in der Intensivmedizin am Kinderspital Bern.
Generationen von jungen Worberinnen und Worbern ist Martin Sutter als väterlicher Kinderarzt in Erinnerung, denn in Worb hat er vor 25 Jahren seine Praxis eröffnet. Daneben war er als Anästhesist in der Klinik Siloah in Gümligen tätig und musste deshalb seine Praxis schon früh mit zusätzlichen Mitarbeitern auf eine breitere Basis stellen, damit die kleinen Patientinnen und Patienten auch in seiner Abwesenheit betreut werden konnten.
Das wird jetzt wichtiger, denn seit einiger Zeit hat Martin Sutter eine neue Leidenschaft: Im Sommer 2011 war er erstmals im Einsatz in Kambodscha. «Nicht in den Kliniken von Beat Richner», wie er betont, sondern in der südlichen Provinz Takeo an der Grenze zu Vietnam. Noch im selben Jahr, im November 2011, arbeitete er vier Wochen im Albert-Schweitzer-Spital von Deschappelles in Zentral-Haiti (siehe Kasten rechts), dieses Jahr im Juli und August wieder drei Wochen. Und der nächste Auslandaufenthalt kommt bestimmt: «Afrika würde mich interessieren», sagt Sutter, zum Beispiel Ruanda. Demnächst wird Martin Sutter mehr Zeit für solche Engagements haben: Sein Sohn hat die Ausbildung zum Pädiater abgeschlossen und wird in absehbarer Zeit die väterliche Praxis übernehmen.
Doktor Sutters haitianisches Tagebuch ist stellenweise schwer zu ertragen, dort, wo Kinder nachts sterben, weil es für 50 Betten auf der Kinderstation nur zwei Monitore gibt; dort, wo ein Mädchen nach einem Autounfall mit schweren Kopfverletzungen eingeliefert wird, für deren Behandlung im ganzen Land kein Neurochirurg zur Verfügung steht; dort, wo junge Frauen fast verbluten, weil sie versucht haben, selber eine Schwangerschaft zu beenden; dort, wo ein Knabe mit schwersten Verbrennungen eingeliefert wird, weil ein lokaler Heiler ihn zur «Therapie» mit Alkohol befeuchtet und angezündet hat.
Die Einsätze sind aufreibend, vor allem die Pikettdienste an Wochenenden. Da «muss man auch schwierige Situationen allein meistern». Zur prekären medizinischen Lage kommt die Armut. Wie hält man da die nötige Distanz? Er sei auch schon in der Schweiz mit schweren Fällen konfrontiert gewesen, vor allem in der Kinder-Intensivmedizin, sagt Martin Sutter: «Man muss die richtige Balance finden zwischen Mitgefühl und Professionalität.»
Was aber bewegt einen etablierten, gut verdienenden Schweizer Arzt dazu, unter erschwerten Bedingungen in Drittwelt-Spitälern zu arbeiten, ohne Bezahlung, mit öder Freizeit, weil es absolut keine kulturellen Angebote gibt, und sogar noch die Reisespesen selber zu tragen? Martin Sutter hat sich diese Frage offensichtlich schon gestellt, denn die Antworten kommen rasch und präzise: «Erstens versuche ich, etwas von unserem Überfluss jenen weiterzugeben, die davon nicht profitieren können. Zweitens ist es die Neugier. Und drittens habe ich ganz einfach die Menschen gern.»
Am Ende des Gesprächs hat Martin Sutter ein Anliegen: «Ich bin kein Einzelfall. Es gibt Unzählige, die solche Einsätze leisten.» Und dann will er auch die lokalen Ärzte loben, welche, anders als viele ihrer Kollegen, im Land geblieben sind. «Einheimische Ärzte schuften bis zum Umfallen.» Ihm nimmt man auch diese Bescheidenheit ohne weiteres ab.
Das Albert-Schweitzer-Spital
Das Albert-Schweitzer-Spital von Deschapelles in Zentral-Haiti wurde 1956 von Gwen und Larry Mellon gegründet. Sie waren Grossfarmer in Arizona, und Larry Mellon begann, nachdem er sich von den Ideen Albert Schweitzers hatte anstecken lassen, mit 37 Jahren ein Medizinstudium mit dem Ziel, in einer besonders armen Region Haitis nach Schweitzers Vorbild zu wirken. Larry Mellon starb 1989, Gwen Mellon 2000.
Schweizer Organisationen und Persönlichkeiten spielen eine wichtige Rolle: Rolf Maibach war jahrelang medizinischer Direktor; er wurde dafür als «Schweizer des Jahres 2010» ausgezeichnet, zusammen mit Marianne Barthelmy-Kaufmann, die zwei Jahre als Pflegefachfrau in Deschapelles gearbeitet hatte. Vor zwei Jahren übernahm die Schweizer Ärztin Silvia Ernst die medizinische Leitung; Rolf Maibach sitzt noch immer im internationalen Stiftungsrat. Das Jahresbudget von 6 Mio. Dollar wird weitgehend durch Spenden gedeckt.
Verein Partnerschaft Kinderspitäler Biel-Haiti. Postcheckkonto: 25-14357-3.Bündner Partnerschaft Hôpital Albert Schweitzer Haiti: Postkonto: 90-180966-3.
Wieder Montag - Begegnungen mit Menschen: www.montag.derbund.ch
In der Schweiz absolvierte Martin Sutter eine bürgerliche Karriere: Er studierte Medizin an der Universität Bern, liess sich zum Facharzt für Kinderheilkunde ausbilden, war fünf Jahre am Kantonsspital Luzern tätig - allerdings nicht auf seinem Gebiet, sondern als Anästhesist, was ihm später für seine Auslandeinsätze zustattenkam - und acht Jahre in der Intensivmedizin am Kinderspital Bern.
Generationen von jungen Worberinnen und Worbern ist Martin Sutter als väterlicher Kinderarzt in Erinnerung, denn in Worb hat er vor 25 Jahren seine Praxis eröffnet. Daneben war er als Anästhesist in der Klinik Siloah in Gümligen tätig und musste deshalb seine Praxis schon früh mit zusätzlichen Mitarbeitern auf eine breitere Basis stellen, damit die kleinen Patientinnen und Patienten auch in seiner Abwesenheit betreut werden konnten.
Das wird jetzt wichtiger, denn seit einiger Zeit hat Martin Sutter eine neue Leidenschaft: Im Sommer 2011 war er erstmals im Einsatz in Kambodscha. «Nicht in den Kliniken von Beat Richner», wie er betont, sondern in der südlichen Provinz Takeo an der Grenze zu Vietnam. Noch im selben Jahr, im November 2011, arbeitete er vier Wochen im Albert-Schweitzer-Spital von Deschappelles in Zentral-Haiti (siehe Kasten rechts), dieses Jahr im Juli und August wieder drei Wochen. Und der nächste Auslandaufenthalt kommt bestimmt: «Afrika würde mich interessieren», sagt Sutter, zum Beispiel Ruanda. Demnächst wird Martin Sutter mehr Zeit für solche Engagements haben: Sein Sohn hat die Ausbildung zum Pädiater abgeschlossen und wird in absehbarer Zeit die väterliche Praxis übernehmen.
Doktor Sutters haitianisches Tagebuch ist stellenweise schwer zu ertragen, dort, wo Kinder nachts sterben, weil es für 50 Betten auf der Kinderstation nur zwei Monitore gibt; dort, wo ein Mädchen nach einem Autounfall mit schweren Kopfverletzungen eingeliefert wird, für deren Behandlung im ganzen Land kein Neurochirurg zur Verfügung steht; dort, wo junge Frauen fast verbluten, weil sie versucht haben, selber eine Schwangerschaft zu beenden; dort, wo ein Knabe mit schwersten Verbrennungen eingeliefert wird, weil ein lokaler Heiler ihn zur «Therapie» mit Alkohol befeuchtet und angezündet hat.
Die Einsätze sind aufreibend, vor allem die Pikettdienste an Wochenenden. Da «muss man auch schwierige Situationen allein meistern». Zur prekären medizinischen Lage kommt die Armut. Wie hält man da die nötige Distanz? Er sei auch schon in der Schweiz mit schweren Fällen konfrontiert gewesen, vor allem in der Kinder-Intensivmedizin, sagt Martin Sutter: «Man muss die richtige Balance finden zwischen Mitgefühl und Professionalität.»
Was aber bewegt einen etablierten, gut verdienenden Schweizer Arzt dazu, unter erschwerten Bedingungen in Drittwelt-Spitälern zu arbeiten, ohne Bezahlung, mit öder Freizeit, weil es absolut keine kulturellen Angebote gibt, und sogar noch die Reisespesen selber zu tragen? Martin Sutter hat sich diese Frage offensichtlich schon gestellt, denn die Antworten kommen rasch und präzise: «Erstens versuche ich, etwas von unserem Überfluss jenen weiterzugeben, die davon nicht profitieren können. Zweitens ist es die Neugier. Und drittens habe ich ganz einfach die Menschen gern.»
Am Ende des Gesprächs hat Martin Sutter ein Anliegen: «Ich bin kein Einzelfall. Es gibt Unzählige, die solche Einsätze leisten.» Und dann will er auch die lokalen Ärzte loben, welche, anders als viele ihrer Kollegen, im Land geblieben sind. «Einheimische Ärzte schuften bis zum Umfallen.» Ihm nimmt man auch diese Bescheidenheit ohne weiteres ab.
Das Albert-Schweitzer-Spital
Das Albert-Schweitzer-Spital von Deschapelles in Zentral-Haiti wurde 1956 von Gwen und Larry Mellon gegründet. Sie waren Grossfarmer in Arizona, und Larry Mellon begann, nachdem er sich von den Ideen Albert Schweitzers hatte anstecken lassen, mit 37 Jahren ein Medizinstudium mit dem Ziel, in einer besonders armen Region Haitis nach Schweitzers Vorbild zu wirken. Larry Mellon starb 1989, Gwen Mellon 2000.
Schweizer Organisationen und Persönlichkeiten spielen eine wichtige Rolle: Rolf Maibach war jahrelang medizinischer Direktor; er wurde dafür als «Schweizer des Jahres 2010» ausgezeichnet, zusammen mit Marianne Barthelmy-Kaufmann, die zwei Jahre als Pflegefachfrau in Deschapelles gearbeitet hatte. Vor zwei Jahren übernahm die Schweizer Ärztin Silvia Ernst die medizinische Leitung; Rolf Maibach sitzt noch immer im internationalen Stiftungsrat. Das Jahresbudget von 6 Mio. Dollar wird weitgehend durch Spenden gedeckt.
Verein Partnerschaft Kinderspitäler Biel-Haiti. Postcheckkonto: 25-14357-3.Bündner Partnerschaft Hôpital Albert Schweitzer Haiti: Postkonto: 90-180966-3.
Wieder Montag - Begegnungen mit Menschen: www.montag.derbund.ch