Maja Neuenschwander: Die Torte kommt später

Maja Neuenschwander ist die schnellste Marathonläuferin der Schweiz. Für eine Teamsportart war 
die 34-jährige Rubigerin zu ehrgeizig. Für die EM ging sie überschaubares Risiko ein.

Dieter Stamm, "Der Bund"

«Es ist immer eine Gratwanderung im Vorfeld von Grossanlässen. Probiert man neue Dinge aus, weiss man nicht, ob es am Ende gar schlechter wird. Macht man alles gleich, wird man nicht schneller. Also tut man etwas mit überschaubarem Risiko: Diesen Winter bin ich erstmals dem Trüben, Nassen und Kalten entflohen, nach Kenia. Das hat sich bewährt: Im Frühling bin ich in 
jedem Rennen Bestzeit gelaufen.

     

Der Marathon ist eine spezielle Disziplin. Jedes Rennen ist wie ein Gross­anlass, weil man eigentlich nur zwei
 davon pro Jahr bestreiten kann. Knapp vier Monate nimmt die Vorbereitungszeit in Anspruch, nach dem Wettkampf brauchen Kopf und Körper vier bis sechs Wochen Regenerationszeit. Läuft es also im Rennen nicht nach Wunsch, «verliere» ich ein halbes Jahr. 

    

Zum Glück habe ich nie das Gefühl, auf etwas verzichten zu müssen. Ich darf jeden Tag rennen, ich muss nicht. Es ist das, worauf ich Lust habe. In der Vorbereitung auf einen Marathon läuft bei mir ein Film ab. Dinge werden weniger wichtig, und man hat auch keine Energie mehr für anderes, wenn man wöchentlich 200 Kilometer läuft. Aber ich bin ja auch nicht mehr 20 und habe ständig das Gefühl, etwas zu verpassen. Ist der Marathon vorbei, verändern sich meine Bedürfnisse wieder: mit Freunden in den Ausgang gehen, ein Stück Torte
 essen oder einen Nachmittag lang mit einem Buch in der Badi liegen.      

 

«Das macht mich sauer»

     

 Man spürt früh, ob man eher der Typ Einzelkämpfer oder Teamplayer ist. Das begann bei mir in der Schule, als ich merkte, dass ich für ein Team zu ehr­geizig bin. Dass ich Mühe habe, wenn
 andere in der Mannschaft nicht den gleichen Einsatz aufbringen. Das machte mich sauer, und beliebt wird man damit natürlich nicht. Man wird als Ehrgeizling abgestempelt. Jetzt muss ich mich nur noch über mich selbst ärgern, wenn die Leistung nicht stimmt.

     

Es gibt viele Leute, die meine Leidenschaft für den Marathon nicht verstehen können. Das erwarte ich auch nicht. Das ist mein Ding, meine ganz persönliche Herausforderung: auszuloten, wie viel ich aus meinem Körper herausholen kann. Natürlich ist es schön, wenn das Umfeld Anteil nimmt und Freude hat an meinen Erfolgen. Aber am wichtigsten ist, dass ich selbst Freude habe. Ich bin es ja, die jeden Morgen raus geht, um zu trainieren und um mich zu quälen, damit ich meine Leistungen erreiche.

     

Ob ich denke beim Laufen? Irgend­etwas denke ich schon, aber nichts Nachhaltiges. Es sind mehr Momentaufnahmen, die ich wahrnehme, die aber schnell wieder weg sind. In einem Training, in dem ich nicht an meine Grenzen gehe, nehme ich oft die Umwelt wahr. Aber eher unbewusst. In einem Wettkampf ist das anders. Da denkt man: Habe ich eine Flasche bei der nächsten Verpflegungsstation? Sind meine Beine gut? Halte ich die richtige Geschwindigkeit?

     

Das Ziel für die Europameisterschaften kann ich noch nicht definieren. Es ist zu früh, weil ich noch gar nicht weiss, welche Athletinnen teilnehmen werden. Angst vor dem Versagen habe ich nicht. Das wäre keine gute Eigenschaft für eine Spitzensportlerin. Angst hätte ich nur, wenn ich das Gefühl hätte, in der Vorbereitung nicht alles getan zu haben. Klar, der Sport macht 50 Prozent meines
 Lebens aus, meines Einkommens (zur anderen Hälfte ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Bundesamt für Sport in Magglingen). Da kann ich nicht einfach sagen: Es ist nicht so wichtig.»
   


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Erstellt: 29.07.2014
Geändert: 29.07.2014
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