Leichtathletik - «Jedes Jahr einige Zentimeter höher»
Die Worber Stabhochspringerin Nadine Rohr ist «zwäg» für die Leichtathletik- Europameisterschaften in München. Ihre Bestleistung liegt bei 4.15 Metern. Doch sie will noch höher hinaus.
Hans Estermann, Coopzeitung
Coopzeitung: Wie schafft man den Sprung in den Stabhochsprung-Sport?
Nadine Rohr: Am «Semer» in Thun hatte ich eine Super-Turnlehrerin: Claudia Battanta entdeckte für mich den Stabhochsprung und verstand es, mich für diese Sportart zu begeistern. Schon 1993 trat ich dem TV Länggasse bei - und konnte von den bestmöglichen Infrastrukturen profitieren. Im Laufe meiner beruflichen Ausbildung am Lehrerseminar in Thun wurde mir der 7-Kampf aber zu viel. Es war auch die Zeit, als sich die ersten Frauen im Stabhochsprung massen. Als diese Disziplin olympisch wurde, begann ich mich zu spezialisieren und auf diese Sparte zu konzentrieren.
Wie gross war der Einfluss von Ihrem Bruder Alain, der bereits die WM in Göteborg, Athen und Sevilla sowie die EM in Budapest und die Olympiade in Atlanta und Sydney aktiv miterlebt hat?
Wir haben uns gleichzeitig dem TV Länggasse angeschlossen und trainierten in der gleichen Gruppe, weil auch Alain ursprünglich Mehrkämpfer war. Unterdessen hat auch er sich spezialisiert, er läuft über 400 Meter Hürden und realisierte mit der 4 x 400-Meter-Staffel den noch heute gültigen Schweizerrekord.
Ausgerechnet am ersten internationalen Grossanlass Ihrer Karriere müssen Sie auf Ihren Bruder verzichten. Was ist passiert?
Alain hat eine Zerrung am Oberschenkel und eine Entzündung der Patella-Sehne. Diese Verletzungen hinderten ihn daran, die erforderlichen Limiten zu laufen. Es ist für mich jammerscha-de, dass ich an der Europameisterschaft in München nicht von seinen Erfahrungen profitieren kann. Auch ich litt im letzten Winter unter einer entzündeten Sehne und musste ein halbes Jahr lang pausieren.
Auch Ihre grösste nationale Rivalin, Petra Pechstein, kann nicht an die Europameisterschaft. Ist das für Sie ein Vor- oder ein Nachteil?
Petra Pechstein hatte doppeltes Pech: Erstens, weil sie am 1. Juni in Cottbus die Limite von 4,20 Metern schuf, ohne sich angemeldet zu haben. Es zählte somit nicht. Zweitens hat sie sich den Knöchel «vertrampt» und läuft seither ihrer Form hinterher. Ich bedaure es, dass Petra zu Hause bleiben muss. Wir hätten uns gegenseitig unterstützen und zu Höchstleistungen antreiben können.
Bis Sie internationales Niveau erreichten, haben Sie acht Jahre lang geübt. Ist der Stabhochsprung so schwierig?
Der Stabhochsprung ist eine koordinativ schwierige Disziplin. Einige Sportler kommen vom Geräteturnen, die andern vom Sprint. Gefordert sind in dieser Sparte Schnelligkeit, Kraft, Ausdauer und Technik. Das richtige Zusammenspiel aller Faktoren fordert jahrelange Geduld. Der Aufstieg erfolgt in der «Salamitaktik - Scheibchen für Scheibchen, Zentimeter um Zentimeter.
Wie viele Zentimeter waren es?
Im Jahre 1997 sprang ich über 3,30 Meter, ein Jahr später waren es 3,50 Meter. Die Höhe von 3,70 Metern erreichte ich 1999. Im Jahre 2000 warens 3,80 Meter;und im Jahr 2001 übertraf ich erstmals die «Schallmauer» von vier Metern. Am 16. Juni in Genf und am 22. Juni in Sevilla erfüllte ich zwei Mal die Limite von 4,15 Metern. Jetzt fehlen mir noch fünf Zentimeter zum Schweizerrekord.
Hatten Sie während dieser langen Zeit nie den Verleider?
Kleine Fortschritte sind Ansporn zur nächsten Stufe, auch wenn sie noch so langsam erfolgen. Ich war in der glücklichen Lage, dass ich mich seit acht Jahren ständig verbessern konnte. Das dürfte der psychologische Hauptgrund sein, dass ich immer vorwärts schaue und keinesfalls zurück.
Wie gross ist der Trainingsaufwand, um auf dem «Erfolgssprung» zu bleiben?
Sechs bis zu 3-stündige Trainings pro Woche sind Bedingung. Geübt werden Sprint, Kraft, Geräteturnen und natürlich die Technik.
Der Weltrekord der Amerikanerin Stacy Dragila liegt bei 4,81 Metern. Ist das nicht sehr ernüchternd?
Jeder internationale Wettkampf ist wertvoll, egal, ob man mit der Weltspitze rivalisieren kann oder nicht. Solche Auftritte sind gleichzeitig eine Kompensation für den riesigen Trainingsaufwand, den man sich jahrelang auferlegt hat. Die Reisen sind Belohnung für Beharrlichkeit und Durchhaltewillen. Letztes Jahr an der Universiade in Peking wurde ich mit einer Höhe von 3,80 Metern zwar nur 13.;ich habe aber zusätzlich dieses phan-tastische Land kennen gelernt. Das sind Eindrücke, die mir niemand nehmen kann und mein Leben bereichern.
Weshalb diese grossen Leistungsunterschiede?
Die Schweizerinnen haben die Entwicklung regelrecht verschlafen. Es braucht sicher acht Jahre, bis man die Technik einigermassen beherrscht. Zudem bieten die meisten Länder ihren Athleten ganz andere Voraussetzungen, um Spitzensport zu betreiben. Ich will aber nicht klagen, sondern bin glücklich und werde aus meinen Möglichkeiten das Beste herausholen.
Sind internationale Perspektiven der Grund, weshalb Sie Ihre Wohnung in Murten aufgegeben haben und wieder bei den Eltern in Worb wohnen werden?
Ich hatte bis jetzt als Primarlehrerin von Erst- und Zweitklässlern in Murten ein 80-Prozent-Pensum. Um sportlich vorwärts zu kommen, werde ich ab Herbst auf ein 60-Prozent-Pensum umstellen. Hätte ich die Wohnung in Murten behalten, wäre es finanziell eher knapp geworden. Ich bin in der glücklichen Lage, im Hotel Mama willkommen zu sein.
Woher nehmen Sie die tägliche Motivation, wenn die materielle Rechnung schon nicht aufgeht?
Enorme Freude an diesem Metier und die Aussichten auf eine Olympiade sind die eigentlichen Triebfedern, dem Spitzensport vorläufig treu zu bleiben - auch wenn das mit Entbehrungen verbunden ist.
Bekommt diese Entbehrungen auch Ihr Freund Markus zu spüren?
Natürlich muss er oft auf mich verzichten. Als Psychologie-Student, der sein Studium selber finanziert, ist er aber dermassen beschäftigt, dass er für diese Situation Verständnis aufbringt. Er arbeitet in einem Informatik-Geschäft, leidet unter Zeitnot und merkt es kaum, dass er vernachlässigt wird.
Was sagen Sie zur kleinsten Schweizer Europameisterschafts-Delegation aller Zeiten?
Ich bin froh, dass sich Simone Oberer für den Siebenkampf qualifizieren konnte. So bin ich nicht die einzige Frau, die nach München reist. Dass viele Athletinnen und Athleten von internationalem Spitzenformat nicht dabei sind, hängt grösstenteils mit Verletzungspech zusammen.
Steckbrief
Name: Nadine Rohr
Geburtsdatum: 29. Juni 1977
Zivilstand: ledig
Beruf: Primarlehrerin (1. und 2. Klasse)
Hobbys: Stabhochsprung, Kochen, «fein» Essen, Lesen, Snowbaord, Beach-Volleyball
Wohnort: Murten, ab Ende August Worb
Sportliche Erfolge: Elite-Schweizermeisterin 2000, Vize-Schweizermeisterin 2001, Doppel-Schweizermeisterin 2002 (Open und Halle)
Aktuell: Leichtathletik-Europameisterschaft in München, 6. bis 11. August.
Links zum Thema
www.swiss-athletics.ch/
Nadine Rohr: Am «Semer» in Thun hatte ich eine Super-Turnlehrerin: Claudia Battanta entdeckte für mich den Stabhochsprung und verstand es, mich für diese Sportart zu begeistern. Schon 1993 trat ich dem TV Länggasse bei - und konnte von den bestmöglichen Infrastrukturen profitieren. Im Laufe meiner beruflichen Ausbildung am Lehrerseminar in Thun wurde mir der 7-Kampf aber zu viel. Es war auch die Zeit, als sich die ersten Frauen im Stabhochsprung massen. Als diese Disziplin olympisch wurde, begann ich mich zu spezialisieren und auf diese Sparte zu konzentrieren.
Wie gross war der Einfluss von Ihrem Bruder Alain, der bereits die WM in Göteborg, Athen und Sevilla sowie die EM in Budapest und die Olympiade in Atlanta und Sydney aktiv miterlebt hat?
Wir haben uns gleichzeitig dem TV Länggasse angeschlossen und trainierten in der gleichen Gruppe, weil auch Alain ursprünglich Mehrkämpfer war. Unterdessen hat auch er sich spezialisiert, er läuft über 400 Meter Hürden und realisierte mit der 4 x 400-Meter-Staffel den noch heute gültigen Schweizerrekord.
Ausgerechnet am ersten internationalen Grossanlass Ihrer Karriere müssen Sie auf Ihren Bruder verzichten. Was ist passiert?
Alain hat eine Zerrung am Oberschenkel und eine Entzündung der Patella-Sehne. Diese Verletzungen hinderten ihn daran, die erforderlichen Limiten zu laufen. Es ist für mich jammerscha-de, dass ich an der Europameisterschaft in München nicht von seinen Erfahrungen profitieren kann. Auch ich litt im letzten Winter unter einer entzündeten Sehne und musste ein halbes Jahr lang pausieren.
Auch Ihre grösste nationale Rivalin, Petra Pechstein, kann nicht an die Europameisterschaft. Ist das für Sie ein Vor- oder ein Nachteil?
Petra Pechstein hatte doppeltes Pech: Erstens, weil sie am 1. Juni in Cottbus die Limite von 4,20 Metern schuf, ohne sich angemeldet zu haben. Es zählte somit nicht. Zweitens hat sie sich den Knöchel «vertrampt» und läuft seither ihrer Form hinterher. Ich bedaure es, dass Petra zu Hause bleiben muss. Wir hätten uns gegenseitig unterstützen und zu Höchstleistungen antreiben können.
Bis Sie internationales Niveau erreichten, haben Sie acht Jahre lang geübt. Ist der Stabhochsprung so schwierig?
Der Stabhochsprung ist eine koordinativ schwierige Disziplin. Einige Sportler kommen vom Geräteturnen, die andern vom Sprint. Gefordert sind in dieser Sparte Schnelligkeit, Kraft, Ausdauer und Technik. Das richtige Zusammenspiel aller Faktoren fordert jahrelange Geduld. Der Aufstieg erfolgt in der «Salamitaktik - Scheibchen für Scheibchen, Zentimeter um Zentimeter.
Wie viele Zentimeter waren es?
Im Jahre 1997 sprang ich über 3,30 Meter, ein Jahr später waren es 3,50 Meter. Die Höhe von 3,70 Metern erreichte ich 1999. Im Jahre 2000 warens 3,80 Meter;und im Jahr 2001 übertraf ich erstmals die «Schallmauer» von vier Metern. Am 16. Juni in Genf und am 22. Juni in Sevilla erfüllte ich zwei Mal die Limite von 4,15 Metern. Jetzt fehlen mir noch fünf Zentimeter zum Schweizerrekord.
Hatten Sie während dieser langen Zeit nie den Verleider?
Kleine Fortschritte sind Ansporn zur nächsten Stufe, auch wenn sie noch so langsam erfolgen. Ich war in der glücklichen Lage, dass ich mich seit acht Jahren ständig verbessern konnte. Das dürfte der psychologische Hauptgrund sein, dass ich immer vorwärts schaue und keinesfalls zurück.
Wie gross ist der Trainingsaufwand, um auf dem «Erfolgssprung» zu bleiben?
Sechs bis zu 3-stündige Trainings pro Woche sind Bedingung. Geübt werden Sprint, Kraft, Geräteturnen und natürlich die Technik.
Der Weltrekord der Amerikanerin Stacy Dragila liegt bei 4,81 Metern. Ist das nicht sehr ernüchternd?
Jeder internationale Wettkampf ist wertvoll, egal, ob man mit der Weltspitze rivalisieren kann oder nicht. Solche Auftritte sind gleichzeitig eine Kompensation für den riesigen Trainingsaufwand, den man sich jahrelang auferlegt hat. Die Reisen sind Belohnung für Beharrlichkeit und Durchhaltewillen. Letztes Jahr an der Universiade in Peking wurde ich mit einer Höhe von 3,80 Metern zwar nur 13.;ich habe aber zusätzlich dieses phan-tastische Land kennen gelernt. Das sind Eindrücke, die mir niemand nehmen kann und mein Leben bereichern.
Weshalb diese grossen Leistungsunterschiede?
Die Schweizerinnen haben die Entwicklung regelrecht verschlafen. Es braucht sicher acht Jahre, bis man die Technik einigermassen beherrscht. Zudem bieten die meisten Länder ihren Athleten ganz andere Voraussetzungen, um Spitzensport zu betreiben. Ich will aber nicht klagen, sondern bin glücklich und werde aus meinen Möglichkeiten das Beste herausholen.
Sind internationale Perspektiven der Grund, weshalb Sie Ihre Wohnung in Murten aufgegeben haben und wieder bei den Eltern in Worb wohnen werden?
Ich hatte bis jetzt als Primarlehrerin von Erst- und Zweitklässlern in Murten ein 80-Prozent-Pensum. Um sportlich vorwärts zu kommen, werde ich ab Herbst auf ein 60-Prozent-Pensum umstellen. Hätte ich die Wohnung in Murten behalten, wäre es finanziell eher knapp geworden. Ich bin in der glücklichen Lage, im Hotel Mama willkommen zu sein.
Woher nehmen Sie die tägliche Motivation, wenn die materielle Rechnung schon nicht aufgeht?
Enorme Freude an diesem Metier und die Aussichten auf eine Olympiade sind die eigentlichen Triebfedern, dem Spitzensport vorläufig treu zu bleiben - auch wenn das mit Entbehrungen verbunden ist.
Bekommt diese Entbehrungen auch Ihr Freund Markus zu spüren?
Natürlich muss er oft auf mich verzichten. Als Psychologie-Student, der sein Studium selber finanziert, ist er aber dermassen beschäftigt, dass er für diese Situation Verständnis aufbringt. Er arbeitet in einem Informatik-Geschäft, leidet unter Zeitnot und merkt es kaum, dass er vernachlässigt wird.
Was sagen Sie zur kleinsten Schweizer Europameisterschafts-Delegation aller Zeiten?
Ich bin froh, dass sich Simone Oberer für den Siebenkampf qualifizieren konnte. So bin ich nicht die einzige Frau, die nach München reist. Dass viele Athletinnen und Athleten von internationalem Spitzenformat nicht dabei sind, hängt grösstenteils mit Verletzungspech zusammen.
Steckbrief
Name: Nadine Rohr
Geburtsdatum: 29. Juni 1977
Zivilstand: ledig
Beruf: Primarlehrerin (1. und 2. Klasse)
Hobbys: Stabhochsprung, Kochen, «fein» Essen, Lesen, Snowbaord, Beach-Volleyball
Wohnort: Murten, ab Ende August Worb
Sportliche Erfolge: Elite-Schweizermeisterin 2000, Vize-Schweizermeisterin 2001, Doppel-Schweizermeisterin 2002 (Open und Halle)
Aktuell: Leichtathletik-Europameisterschaft in München, 6. bis 11. August.
Links zum Thema
www.swiss-athletics.ch/