Leichtathletik - Bitte nicht stören
Für die Vorbereitung auf den EM- Marathon hat Maja Neuenschwander auf einige Annehmlichkeiten verzichtet. Am Samstag will die als nationale Nummer 1 startende Rubigerin ihre Haut so teuer wie möglich verkaufen.
Wer heute an Maja Neuenschwanders Zimmertüre klopfen will, sollte sich dies zweimal überlegen. Die Ruhestörung könnte womöglich Konsequenzen haben. «Ich werde langsam ranzig gegenüber meinen Mitmenschen, das ist ein gutes Zeichen», sagt die Marathonläuferin aus Rubigen, und ihr Gesichtsausdruck verrät, dass dies durchaus ernst gemeint ist. Jeweils zwei Tage vor dem Wettkampf pflegt sie sich von der Aussenwelt zurückzuziehen, das gilt auch hinsichtlich des samstäglichen Auftritts in Zürich, «denn mit diesem Vorgehen bin ich gut gefahren».
«Lebt in einer eigenen Welt»
Neuenschwander geht als Leaderin der sechsköpfigen Schweizer Equipe in diesen EM-Marathon. Mit ihrer persönlichen Bestzeit von 2:29:42, aufgestellt letzten Oktober in Frankfurt, gehört sie zur erweiterten europäischen Spitze. Dass sie deshalb in Zürich als Nummer 10 der Meldeliste antritt, gefällt ihr nicht sonderlich: «Diese Liste sollte man mit Vorsicht geniessen, es gibt sehr starke Läuferinnen, die in den letzten zwei Jahren keinen Marathon bestritten haben. Am Samstag werden wir sehen, wie viel dieses Papier wert ist.» Solche Sätze passen in das Bild, das die 1,68 m grosse Athletin von sich gibt. Sie ist äusserst geradlinig, verfolgt ihre Pläne kompromisslos. Seit spätestens acht Monaten liegt der Fokus der 34-Jährigen ganz auf dem EM-Marathon, pro Woche ist sie dafür zwischen 150 und 230 km gelaufen. Um einen zusätzlichen Reiz zu setzen, hat die passionierte Kaffeetrinkerin seit Anfang Juli keine Tasse mehr getrunken. Sie hat dieses Vorgehen von der Deutschen Irina Mikitenko abgeschaut, die damit erfolgreich war. «Die letzten Wochen vor der EM lebt man in einer eigenen Welt», beschrieb Neuenschwander die Vorbereitung auf den Marathon jüngst in einem Interview mit der «Sonntagszeitung». Dazu gehört auch die Schweden-Diät, bei welcher kurz vor dem Wettkampf fast ganz auf Kohlehydrate verzichtet wird. Der Sinn liegt darin, vor dem Rennen mehr Kohlehydrate zu speichern, die man dann als Energiereserve einsetzen kann. Der Hunger und die daraus resultierende üble Laune gehören zu den negativen Begleiterscheinungen dieser Diät.
«Auf und Ab gespeichert»
Auch deshalb ist Neuenschwander froh, dass am Samstag um 9 Uhr die Erlösung in Form des Startschusses auf der Quaibrücke erfolgt. Obwohl im Team antretend, laufen die Schweizerinnen ohne taktische Vorgaben. «Im Rennen sind alle Konkurrentinnen, da will ich einfach die Beste sein», betont Neuenschwander. In diesen Tagen hat sie jedoch die Vorteile einer intakten Gruppe im Teamhotel in Regensdorf schätzen gelernt. «Man fiebert mit den anderen mit, der Spirit ist positiv.» Vorab dank Mujinga Kambundji ist die Euphorie rund um die Schweizer Athleten grösser als zu Beginn erwartet. Neuenschwander hofft, am Samstag von «diesen positiven Schwingungen» profitieren zu können. Unterstützung von den Zuschauern kann die 34-Jährige gebrauchen, denn die Strecke wird sie zweifelsohne an ihre Grenzen bringen. Viermal müssen die Athleten den Aufstieg zur Polyterrasse gefolgt vom Abstieg Richtung Bellevue bewältigen. Neuenschwander hat sich für die Vorbereitung entsprechend coupierte Strecken rund um Rubigen herausgesucht, «ich habe dieses Auf und Ab gespeichert.» Es gelte, den Motor nicht zu überdrehen, hält sie fest: «Du musst spüren, was es braucht, um auf der vierten Runde nochmals Gas geben zu können.» Ihre angestrebte Platzierung nennt Neuenschwander nicht. Aber: «Ich will meine Haut so teuer wie möglich verkaufen.» Geht ihr Plan auf, dürfte der Kaffee danach doppelt gut schmecken.