Landiswil - Vor 50 Jahren kam Landiswil mit List und Tatkraft zur eigenen Kirche

Fünfzig Jahre sind vergangen, seit Landiswil seine eigene Kirche einweihen konnte. Weit herum sorgte das Bauwerk damals für Aufsehen. Nicht die Architektur war das Spezielle, sondern die Tatkraft der Dorfbevölkerung: In freiwilliger Arbeit

Manfred Joss, Wochen-Zeitung
«Unnötig» – so lautete vor gut 50 Jahren das Urteil der obersten Pfarrherren im Staate Bern, wenn vom Plan und Wunsch einer Kirche in der Gemeinde Landiswil die Rede war. Denn selbstverständlich verfügte die Kirchgemeinde Biglen, der Landiswil zusammen mit Arni angehört, bereits über ein Gotteshaus: die altehrwürdige Kirche Biglen. Über ein Hilfspfarramt verfügte Landiswil schon; der Predigtsaal befand sich im Schulhaus, das neue Pfarrhaus von 1947 auf dem Hügel zwischen den Dörfern Landiswil und Obergoldbach.

Mit List zum Segen der Kirchenoberen

Ein Kirchen-Neubau für die weniger als 900 Seelen zählende Gemeinde schien in den Augen der bernischen Kirchenoberen dann doch ein zu kühnes und überrissenes Unterfangen zu sein. Diese Ansicht vertrat vorerst auch der Präsident des bernischen Synodalrats, Pfarrer Walter Matter aus Schüpfen. Durch eine kleine List liess er sich allerdings vom Gegenteil überzeugen. Matter wurde von der Kirchgemeinde eingeladen, sich persönlich ein Bild der Lage zu machen. An einem heissen Sommertag traf er am Bahnhof Biglen ein und wurde von Kirchgemeindepräsident Fritz Bütikofer vorerst zum Mittagessen auf dessen Bauernhof im Hasli bei Biglen eingeladen. Der schwergewichtige, selbstsichere Synodalratspräsident nahm daraufhin den Vorschlag Bütikofers an, den Weg auf den vorgesehenen Bauplatz in Landiswil zu Fuss zurückzulegen. Er wusste nichts von den fast acht Kilometern und dem Hügelzug zwischen Biglen und Landiswil, aber auf diese Weise erfuhr er am eigenen Leib, welchen Aufwand die Landiswiler seit Jahrhunderten auf sich nehmen mussten, um zur Kirche Biglen zu gelangen. Nach fast drei Stunden Wanderung, die gegen Schluss mehr und mehr schleppendem Spazieren glich, kam die Delegation auf dem Hügel zwischen Landiswil und Obergoldbach an, woraufhin der völlig erschöpfte und verschwitzte Synodalratspräsident gestöhnt haben soll: «Hier muss eine Kirche gebaut werden, dieser Weg ist keinem Menschen zuzumuten!» So berichtet es der ehemalige Landiswiler Pfarrer Reinhard C. Müller – und wenn die Geschichte fast zu schön tönt, um wahr zu sein, so ist sie zumindest gut erzählt.

Arbeitskraft statt Bargeld

Mit dem Segen der Kirchenmächtigen war das grösste Problem nicht gelöst: Woher das Geld nehmen? Der Bau wurde auf 200'000 Franken veranschlagt, Glocken und Orgel auf zusätzliche 50'000 Franken. Die Kirchgemeinde schwamm aber genauso wenig im Geld wie die zutiefst bäuerliche Gemeinde Landiswil. Deren Steuereinnahmen beliefen sich auf wenige zehntausend Franken jährlich. In dieser Situation blieb nur eines: Alle mussten anpacken und mit ihrer Arbeitskraft oder mit Naturalspenden das fehlende Bargeld ersetzen. Niemand war gezwungen, mitzuhelfen, aber alle handelten solidarisch und im Rahmen dessen, was ihnen möglich war. Es war im wahrsten Sinne ein «Gemeinwerk». Die Waldbesitzer lieferten das Holz, Frauen und Kinder übernahmen Arbeiten auf den heimischen Bauernhöfen, so dass die Männer unter Anleitung der wenigen Facharbeiter auf dem Bauplatz zu Werke gehen konnten. Auch Kirchgemeindepräsident Bütikofer, Pfarrer Stettler und die Landiswiler Schulmeister waren sich nicht zu schade, auf dem Bauplatz Hand anzulegen. Um die 15'000 Gratis-Arbeitsstunden wurden geleistet. Dieser schon vor 50 Jahren nicht alltägliche Gemeinsinn löste in den regionalen und zum Teil sogar in nationalen Zeitungen ein reges Echo aus.

Sammeln für die Glocken

Die 50'000 Franken für die drei Glocken und die Orgel mussten wohl oder übel in bar aufgebracht werden, was von neuem Anstrengungen nötig machte. Der örtliche Landfrauenverein schrieb alle Landiswiler Bürger mit auswärtigem Wohnsitz an, etwa 6000 an der Zahl, und in der ganzen Kirchgemeinde gingen Sammelbüchsen um. Aufrufe in der Presse brachten Spenden aus der ganzen Schweiz, so dass unter anderem die grösste Glocke mit diesem Geld bezahlt werden konnte. Deren Inschrift «Bürger und Burger der Gemeinde Landiswil, Mitchristen und Gönner vom ganzen Lande. Landfrauen Landiswil. Einigkeit macht stark» zeugt davon. Die mittlere Glocke stiftete die Kirchgemeinde, während die kleinste Glocke überraschend von Gottfried Schütz aus der Buchi, einem Einheimischen, berappt wurde. Am 10. Juli 1954 fand in einem Volksfest der Glockenaufzug statt, nachdem das Geläut mit Pferd und Wagen von Biglen über die Tanne auf den Kirchenhügel gefahren worden war. 2000 Personen wohnten dem Aufzug bei. Die offizielle Kirchen-Einweihung feierten Bevölkerung und Würdenträger schliesslich am 12. September 1954.

Sechs prächtige Kirchenfenster zieren seit dem Jahre 1975 die Landiswiler Kirche, auf Initiative des damals neuen Pfarrers Müller. Sie zeigen die vier Evangelisten und zwei Darstellungen der Christusfigur. Gemalt wurden sie vom Berner Glasmaler Fred Stauffer, dessen Werke auch in anderen Kirchen, etwa Eggiwil und Trubschachen, zu sehen sind. Stauffer war schon 82-jährig, als er die Fenster malte; er arbeitete für ein symbolisches Honorar. Firmen und Privatpersonen – beispielsweise alt Kirchgemeindepräsident Fritz Bütikofer, spendeten die einzelnen Fenster; eines bezahlte die Schmiedezunft zu Bern.

Ein Wahrzeichen

Das Kirchlein ist mittlerweile das Wahrzeichen der Gemeinde. Der Standort mitten zwischen Landiswil und Obergoldbach entbehrte seinerzeit nicht einer gewissen Symbolik, denn der Hügel zwischen Landiswil und Obergoldbach trennte nicht nur topographisch, sondern auch in den Köpfen der Bewohner: «Wie Katz und Maus» sollen sich die Dörfer lange Zeit gegenüber gestanden haben. Der Standort zwischen den beiden Dörfern war damit gewissermassen logisch, damit «die Kirche im Dorf blieb». Mittlerweile hat sich das Verhältnis entspannt, wofür das gemeinsame Gotteshaus sicher seinen Beitrag geleistet hat. Vielleicht haben sich die Leute auch an häufigen Gästen ein Beispiel genommen: Die Kirche Landiswil ist bei Hochzeitspaaren sehr beliebt.

[i] Am Samstag, 3. Juli 2004, findet in der Mehrzweckhalle Obergoldbach die Feier des 50-jährigen Bestehens der Kirche Landiswil statt. Mitwirkung: Jodlerklub Obergoldbach und Musikgesellschaft Landiswil.
Am Sonntag, 29. August 2004, wird in der Kirche Landiswil der Festgottesdienst abgehalten, mit dem Jodlerchörli Moosegg und einer Bläsergruppe der Musikgesellschaft.

www.wochen-zeitung.ch
www.be.ref.ch/biglen-landiswil

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Erstellt: 01.07.2004
Geändert: 01.07.2004
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