Konolfingen - Diplomat mit Maschinenpistole
Der Verein Alter Bären widmet seine aktuelle Ausstellung dem Konolfinger Ehrenbürger Walter Stucki. Dieser war Schweizer Gesandter im Zweiten Weltkrieg, galt als arrogantes Genie, ignorierte Briefe vom Bundesrat und spielte einst als Torwart für YB.
Eine Maschinenpistole MP 41 lag im Dienst-Mercedes, geladen, dazu vier Magazine Munition. Am Auto war eine grosse Schweizer Fahne befestigt, als Walter Stucki damals, im Jahr 1944, durch das umkämpfte Frankreich fuhr. Stucki versuchte gar nicht erst zu verbergen, dass er Gesandter der Schweiz war, unterwegs in einer gefährlichen diplomatischen Mission zu den Alliierten, zu den Deutschen und den Widerstandstruppen Frankreichs.
Stucki gelang ein Glanzstück seiner Karriere. Er rettete die Stadt Vichy vor den Bomben der Deutschen. Der Schweizer Gesandte war einer der letzten Vertrauten von Philippe Pétain, dem Präsidenten des «freien» Vichy-Frankreichs. Er überzeugte Pétain, sich beim Vormarsch der Alliierten von den Deutschen kampflos verhaften zu lassen. Dank Stuckis Verhandlungen übernahmen die Alliierten Vichy ohne Gefecht, Attentate der Widerstandstruppen blieben aus.
Er wohnte in der Villa Stucki
Das Maschinengewehr, das damals neben Stucki im Auto lag, steht heute in Konolfingen, im Dorfmuseum Alter Bären. Gestern Abend feierte dort eine Ausstellung über Stuckis Leben Vernissage, für Besucher ist sie morgen zum ersten Mal geöffnet. Walter Stucki ist Ehrenbürger von Konolfingen. Seine Eltern stammten aus Ursellen, Stucki selber wuchs jedoch in Bern, am Muristalden, auf. Lange wohnte er in der Villa Stucki, die ihren Namen jedoch erst später erhielt. Stucki war in jungen Jahren übrigens im Verwaltungsrat von YB. Zudem spielte er als Torwart in der ersten Mannschaft – bis er gegen den FC Bern vier Töpfe kassierte und in die zweite Equipe abgeschoben wurde.
Das Gewehr steht in der Ausstellung dank Konrad Stamm, dem ehemaligen Chefredaktor vom «Bund». Stamm hat die Ausstellung zusammen mit Andreas Maurer, Präsident des Vereins Alter Bären, gestaltet. Präsentiert wird dort auch die Biografie «Der grosse Stucki», die Stamm kürzlich fertiggeschrieben hat.
Er ignorierte den Bundesrat
Konrad Stamm hält Walter Stucki für eine Persönlichkeit, wie es sie nur selten gibt. Ein Workaholic sei er gewesen, alles habe er seinem Auftrag untergeordnet und seiner Bürgerpflicht. «Stucki hatte ein Flair für öffentliche Auftritte», sagt Stamm. In seiner Zeit als Nationalrat habe er den ganzen Saal mit anderthalbstündigen Reden gefesselt. Dazu komme Stuckis physische Präsenz. Mit seinen 187 Zentimetern Körpergrösse liess er viele Verhandlungspartner aussehen wie kleine Schulbuben. Doch Stucki galt auch als arrogant, als selbstherrlich. Einer seiner Mitarbeiter sagte einmal: «Stucki ist hochintelligent und ausserordentlich erfolgreich. Wenn er das nicht wüsste, wäre er auch noch ungemein sympathisch.»
«Viele hatten diesen Eindruck wohl, weil Stucki hingestanden ist und gesagt hat, was er will», so Stamm. «Stucki hat sich zudem nicht immer an die Vorgaben von Vorgesetzten gehalten. Da ist schon mal ein Brief vom Bundesrat in einem Stapel Papier verschwunden.» In Bundesbern habe er deshalb nicht nur Freunde gehabt. Trotzdem: Verzichten wollte man auf dieses Genie nicht. Er habe auch mit Mächten wie den USA immer auf Augenhöhe verhandelt, sagt Stamm. «Wenn es schwierig wurde, schickte man Stucki hin.»
Er verhandelte um Nazigeld
Schwierig wurde es zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg. Das Image der Schweiz war im Eimer, die Alliierten warfen den Eidgenossen vor, sie hätten mit den Deutschen kooperiert, besässen deutsche Gelder und «Judengold». Davon wollten die Siegermächte etwas abhaben, um den Krieg zu bezahlen. Bis sie Geld bekamen, froren die USA mehr als 5 Milliarden Franken Schweizer Guthaben ein. Stucki feilschte – und die Schweiz zahlte im sogenannten Washingtoner Abkommen am Ende 250 Millionen Franken.
Den wichtigsten Erfolg habe Walter Stucki jedoch schon vor dem Weltkrieg geschafft, findet Konrad Stamm. Stucki war Direktor der Handelsabteilung beim Bund, also zuständig für Handelsabkommen mit dem Ausland. Eine schwierige Aufgabe, so Stamm, denn in dieser Zeit hätten viele Länder hohe Hürden für Importwaren geschaffen. Stucki habe ein Abkommen nach dem anderen ausgehandelt und so die Schweiz vor einem wirtschaftlichen Desaster bewahrt. Damals sei der Berner oft als «achter Bundesrat» bezeichnet worden, so Stamm. Doch Stucki habe darauf nur geantwortet: «Wenn ich Bundesrat wäre, wäre ich nicht der achte.»
[i] Das Dorfmuseum ist an jedem 1. und 3. Sonntag des Monats von 14 bis 17 Uhr geöffnet. Infos zur Biografie «Der grosse Stucki» von Konrad Stamm finden Sie unter: www.nzz-libero.ch.