Konolfingen - Die Tochter muss nicht ins Heim

Brigitte Egli leidet an cerebraler Bewegungsstörung. Sie sollte verbeiständet und in ein Heim eingewiesen werden. Zusammen mit ihren Eltern hat sich die 20-Jährige dagegen gewehrt. Mit Erfolg.

Laura Fehlmann, Berner Zeitung BZ
Die blonden Haare zu einem Rossschwänzchen gebunden, die Fingernägel pink lackiert, sitzt Brigitte Egli am Küchentisch ihres Elternhauses in Konolfingen. Die Beine stecken in Jeans, die Füsse in Turnschuhen mit Glitzersteinen. Auf den ersten Blick wirkt sie wie eine ganz normale, etwas schüchterne 20-Jährige. In die Stadt zum Shoppen fahren ist für sie allerdings schwieriger als für ihre Altersgenossinnen. Im Dorf einen Kaffee trinken oder mit einer Freundin ein Konzert besuchen traut sie sich hingegen hie und da zu.

Aber die Ereignisse, die bald ein Jahr zurückliegen, sitzen ihr noch in den Knochen. Bis vor kurzem plagten sie Albträume, denn beinahe wäre sie gegen ihren Willen in einem Heim gelandet und hätte einen Beistand erhalten. Gegen diese sogenannte fürsorgerische Unterbringung und Bevormundung hat sich die junge Frau mit ihren Eltern Doris und Paul Egli gewehrt.

Das Obergericht hiess Brigitte Eglis Beschwerde gegen die von der Kesb (Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde) gut. Der Weg bis dahin war steinig. «Ein Heim kommt für mich nicht infrage», sagt Brigitte Egli dezidiert. Sie hofft, dass sie einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz findet, dem sie gewachsen ist, denn ihre physischen Möglichkeiten sind stark behindert: Dass sie auf den Rollstuhl und bei fast allen täglichen Verrichtungen auf Hilfe angewiesen ist, ist das eine. Das andere: Brigitte Egli kann bloss ihre linke Hand benützen und auch das nur eingeschränkt. Smartphone und Computertastatur bedient sie allerdings problemlos, schreibt SMS, E-Mails und chattet.

Gefährdungsmeldung statt konkrete Hilfe

Die obligatorische Schulzeit hat Brigitte Egli im Schulheim für Körperbehinderte der Berner Stiftung Rossfeld absolviert. Danach zog sie in ein Heim im Kanton Luzern um. Dort ging es eine Weile gut, dann häuften sich die Schwierigkeiten. Gleichzeitig kam es zu Konflikten zwischen dem Heim und den Eltern. Diese bemängelten die mangelnde Pflege ihrer Tochter. Kurz vor den Sommerferien 2013 kam es zum Zerwürfnis, und die junge Frau verlor ihren Platz im Heim und lebte von da an wieder im Elternhaus.

Nachdem sich die Mutter Doris Egli beim Hausarzt über fehlende Unterstützung durch Fachpersonen beklagt hatte, informierte dieser den Regionalen Sozialdienst Konolfingen über die Situation seiner Patientin Brigitte Egli. Die Mutter sei überfordert mit der Pflege der Schwerstbehinderten. Eine Sozialarbeiterin besuchte die Familie und kam zum gleichen Schluss wie der Arzt. «Wir ersuchten sie um Beratung. Sie versprach uns Hilfe, stattdessen erstattete sie eine Gefährdungsmeldung», ärgert sich Vater Paul Egli, der sich hintergangen fühlt. Er ist auf die Sozialbehörden schlecht zu sprechen. Gemäss Entscheid der Kesb, der dieser Zeitung vorliegt, hätte eine Beistandschaft errichtet werden sollen, dies, weil die Mutter überfordert und erschöpft, der Vater destruktiv sei.

Mit Anwalt bis zum Obergericht

Die Familie sei «mit der Aufgabe, das Erwachsenenleben von Brigitte Egli neu zu strukturieren, massiv überfordert», steht in einem Schreiben der Kesb. Die Familie nahm sich einen Anwalt und reichte gegen den Kesb-Entscheid Beschwerde ein.

Jetzt begann für Brigitte Egli ein Leidensweg. Die Eltern erzählen, dass die Behörden versucht hätten, ihre Tochter abzuschotten. Diese wurde nach einer Behandlung im Inselspital ins Psychiatrische Zentrum Münsingen überführt. Die Begründung: «Psychosoziale Dekompensation. Mutter lehnt weitere pflegerische Besorgung der schwergradig körperlich behinderten Patientin ab.» Das sei eine Unterstellung, sagt die Mutter und beteuert, dass sie zu keiner Zeit abgelehnt habe, ihre Tochter zu pflegen. Diese wiederum erinnert sich: «Ich war verzweifelt, wusste nicht, was mit mir geschah, und wollte nur noch heim.» Bis dahin sollte es aber noch dauern. Von Münsingen wurde Brigitte Egli in ein Heim nach Tschugg zur Rehabilitation überführt. Dank einer Verfügung des Obergerichts wurde sie aber schon nach einer Woche entlassen. «Die Geschichte hat uns über ein Jahr den Schlaf geraubt», sagt der Vater.

Die Verbeiständungabgewendet

Die junge Frau erinnert sich mit Schrecken an ihre Odyssee durch Heim und Psychiatrie. Schlecht sei es ihr gegangen. «Ich wollte heim. Es ging mir dort ja nicht besser», sagte sie und setzt sich im Rollstuhl zurecht. Der Anwalt habe ihr damals geraten, keinerlei Papiere zu unterzeichnen. Als man ihr ein Dokument vorlegte, mit dessen Unterschrift sie ihre Verbeiständung besiegelt hätte, blieb sie hart und unterschrieb nicht.

Das Obergericht hat die Beschwerde gegen die fürsorgerische Unterbringung von Brigitte Egli gutgeheissen, weil «das Verhalten der Kesb nicht gänzlich frei von Widerspruch sei». Eine Verwahrlosung, wie sie die Kesb befürchte, sei nicht festzustellen. Auch hätten die Eltern, insbesondere die Mutter, die notwendige Pflege der Patientin zugesichert und sich verpflichtet, externe Hilfsangebote wahrzunehmen, schreiben die Richter. Die Familie besucht gemeinsam eine Therapie, zu der sie sich verpflichtet hat, damit die Tochter selbstständiger wird. Diese erhält bis anhin eine Hilflosenentschädigung. Vor kurzem beantragte sie eine IV-Rente und hofft, in absehbarer Zeit einen Arbeits- oder Ausbildungsplatz in einem Büro zu finden.
 
 
Eine Einweisung kommt erst infrage, wenn andere Massnahmen nicht greifen

Adrian Brand, Präsident der Kesb Mittelland-Süd, erklärt, unter welchen Umständen jemand in eine Institution eingewiesen werden kann. Zum Fall von Brigitte Egli äussert er sich nicht.

Was braucht es, damit jemand gegen seinen Willen in eine Institution untergebracht werden kann?

Adrian Brand: Das ist im Zivilgesetzbuch genau geregelt: Eine Person, die an einer psychischen Störung oder einer körperlichen Behinderung leidet oder schwer verwahrlost ist, darf in einer geeigneten Einrichtung untergebracht werden, wenn die nötige Behandlung nicht anders erfolgen kann.

Sind diese Voraussetzungen immer ausnahmslos klar?

Eine Einweisung kommt erst infrage, wenn ambulante und freiwillige stationäre Massnahmen keinen Erfolg mehr bringen.

Wer klärt solche Situationen ab?

Die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) sammelt alle Beweismittel, die für eine fürsorgerische Unterbringung nötig sind. Grundlage sind Abklärungen des Sozialdienstes oder Hausarztes oder fachärztliche Gutachten. Auch die Betroffenen werden angehört, insofern es ihr Zustand erlaubt.

Es besteht auch die Möglichkeit, dass diese Fachpersonen die Sachlage falsch ein schätzen.

Das ist sicher möglich. Zudem gibt es auch einen Ermessensspielraum. Es kommt vor, dass sich die Situation bis zum Entscheid der Rechtsmittelinstanz ändert und eine Entlassung möglich ist, ohne dass die Beurteilung falsch gewesen wäre.

Weshalb braucht es Gutachten?

Weil es Fragestellungen gibt, die nur mit einem Gutachten beantwortet werden können. Das Bundesgericht verlangt ein fachärztliches Gutachten als Grundlage für eine fürsorgerische Unterbringung. Deren Umstände können sich rasch ändern.

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Erstellt: 31.07.2014
Geändert: 31.07.2014
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