Konolfingen - Der Abgang eines Aussergewöhnlichen

Die Welt hat sich verändert und mit ihr die Anforderungen an Milizpolitiker wie Daniel Hodel. Über sechs Jahre lang lenkte er die Geschicke der Gemeinde Konolfingen. Ende Juli tritt er ab – weil der Spagat zwischen Amt und Job zu gross wurde.

Cedric Fröhlich, Berner Zeitung BZ

Schliesslich entgleitet Daniel Hodel die Kontrolle doch. Tränen fliessen. Bei ihm, bei seinem Nachfolger, bei der Familie im Publikum. Im Kirchgemeindehaus Konolfingen klatschen die Menschen. Standing Ovation an der Gemeindeversammlung; Hodel hat eben seine letzte geleitet. Als es Zeit wird, sich zu verabschieden, da überkommen den abtretenden Gemeindepräsidenten die Emotionen. «Cooli Cheibe», krächzt er ins Mikrofon.

 

Sechseinhalb Jahre lang war Daniel Hodel Präsident der Gemeinde Konolfingen. Ende Juli beschliesst er seine bemerkenswerte Karriere in der Lokalpolitik. Mit 24 zog er in den Gemeinderat, in einem Alter also, in dem die wenigsten etwas von Versammlungen in Kirchgemeindehäusern wissen wollen. Hodel aber kniete sich rein und fiel auf, als seriöser junger Mann, der seine Dossiers im Griff hatte. Und Kontrolle ausstrahlte. 2013 sicherte er sich und seiner Partei, der SVP, in einer Kampfwahl das Gemeindepräsidium.

 

Als er dann im März seinen Rücktritt bekannt gab, war das für Aussenstehende eine Überraschung. Weil Hodel mit 35 Jahren ein noch immer junger Gemeindepräsident ist und unverbraucht wirkt. Jene, die ihm näherstanden, aber wussten um die Belastung, wussten, was eine immer schnellere und komplexere Welt Milizpolitikern zuweilen abverlangt. Hodel selbst sprach oft vom «Spagat», den er mache zwischen seiner Arbeit als Ingenieur und dem Amt. Resultat waren lange Tage und Überstunden en masse. Was nicht zuletzt seine junge Familie zu spüren bekam. «Ich bin weder vergrault worden noch amtsmüde», sagt er zum Rücktritt. Es war simpler: Ein Jobangebot kam rein. Und damit die Chance, die Balance wiederzufinden.

 

Der Alpenflug

Flughafen Belpmoos, knapp zwei Wochen vor der Gemeindeversammlung. «Wir machen zusammen einen Flug», hatte Hodel gesagt. Seit 2013 ist er Hobbypilot; im Jahr bringt er es auf gut 50 Flugstunden. Gemeinsam mit einem Dutzend Fliegerkollegen unterhält er einen winzigen Zweiplätzer, keine 500 Kilogramm schwer.

 

Die Maschine hebt ab, steigt rasch. Es geht über den Belpberg, hinauf zum Thunersee. Es ist ein Flug über die Region, die Hodel seine Heimat nennt. Über eine Gegend, in der alles miteinander verknüpft ist. In der das Grün, das die Städte vom Land trennt, weniger geworden ist.

 

Orte wie Konolfingen sind gewachsen und komplexer geworden. Sie wollen selbst Zentrum sein, an dem sich umliegende Dörfer orientieren. In vielem nimmt die Gemeinde diese Funktion längst wahr: Feuerwehr, Sozialdienste, Schulwesen – viele Fäden laufen hier zusammen. Andererseits identifizieren sich viele Einwohnerinnen und Einwohner mit dem ländlichen Charakter ihrer Umgebung, selbst wenn sie in Burgdorf, Bern oder Thun arbeiten.

 

Konolfingen ist eine Chiffre für die zuweilen schizophrene Selbstwahrnehmung wachsender Gemeinden. In Tat und Wahrheit ist der Ort eine moderne Agglomerationsgemeinde. Ein bisschen liegt das auch an Daniel Hodel. Unter seiner Ägide erhielt das Dorf einen modernen Bahnhof, er trieb mehrere grosse Bauvorhaben voran und beschloss die angesprochene – und nach wie vor umstrittene – Zentralisierung der Schulstandorte. Gerade das letzte Geschäft wird ein Teil von Hodels politischem Vermächtnis sein. Das komplexe Unterfangen sieht vor, den Schulstandort im Ortsteil Gysenstein zu schliessen. Das sorgt dort teilweise noch immer für rote Köpfe, man fühlt sich abgehängt, ignoriert. Hodel besuchte die Schule einst selbst, Gysenstein, das ist sein Zuhause. Er zieht also gewissermassen auch an den eigenen Wurzeln.

 

Keiner für den Stammtisch

Hodel lenkt die Maschine übers Jungfraujoch, an der Eigernordwand vorbei, hinüber zum Aletschgletscher. Stillstand, sagt er, könne man sich heute nicht mehr leisten. «Man muss den Wandel der Zeit akzeptieren, ihn aber auch managen.» Er ist ein umgänglicher Mensch, der auch knallhart sein kann – das sagen einige im Dorf über ihn und meinen das positiv. Andere legen ihm Letzteres eher als Schwäche aus, als eine Art kühle Unnachgiebigkeit. Hat er einmal eine Richtung eingeschlagen, dann kann er gereizt reagieren auf Widerspruch, besonders auf emotional aufgeladenen.

 

Gemeindepolitik ist Knochenarbeit. Die Reaktionen der Menschen sind unmittelbarer, persönlicher. Auf der Strasse, in der Migros, auf der Bank. «Recht kannst du es sowieso nicht allen machen», so Hodel. Fakt ist: Die Bevölkerung hat ihm wiederholt den Rücken gestärkt. An der Urne und den Gemeindeversammlungen. Für die tragenden Projekte brachte er stets eine Mehrheit zusammen.

 

Er war kein Gemeindepräsi, der dafür abends am Stammtisch politisierte. «Diese Zeiten sind vorbei», ist Hodel überzeugt. In gewisser Weise ist das moderne Gemeindeoberhaupt mehr Manager denn Politiker. Hodel ist der Beweis dafür. Er ist studierter Ingenieur. Wie man Bauvorhaben umsetzt, einen Ort plant und weiterentwickelt, Leute auf seine Seite bringt: Hodel hat sie intus, die Dinge, die die Politik im «Kleinen» ausmachen. «Alles okay?», funkt Hodel nach hinten. Kurz vor dem Landeanflug will er eine Steilkurve ziehen, aber erst nachdem er sich zum zweiten Mal versichert hat, dass das auch wirklich in Ordnung geht.

 

Die neue Balance

Hört man sich in Konolfingen um, wie Daniel Hodel so drauf ist, dann hört man nur leise Kritik und vor allem: viel Gutes über «ä Dänu». «Nahbar», «sattelfest», «unverbraucht» sei der. Politische Exponenten ausserhalb des Gemeinderats sprechen vom Aufbruch, den er symbolisiert habe. Bernhard Gerber, Chef der örtlichen Sozialdemokraten, stellt dem SVP-Mann ein «sehr positives Zeugnis» aus. Alexandra Grossenbacher, während Jahren die engste Mitarbeiterin Hodels, bezeichnet ihren Chef als «Schnelldenker», der eigentlich gar kein Politiker sei. Der Flieger kippt in die Seitenlage, der Körper wird in den Sitz gedrückt, wenig später: Landeanflug.

 

Ende Juli also endet Daniel Hodels Karriere in der Lokalpolitik. Die Partei wollte ihn auf kantonaler Ebene portieren. Der Mann hat bewiesen, dass er über ein Bewusstsein verfügt für die traditionellen Positionen der Partei und die modernen Bedürfnisse einer immer urbaneren Agglo. Der Grosse Rat aber, das sei nicht seine Welt, sagt er: «Zu träge.» Zumindest für den Moment. Eine Rückkehr in die Politik schliesst er nicht kategorisch aus.

 

Zunächst aber will er sich auf seine neue Aufgabe konzentrieren. Damit zurück zu besagtem Jobangebot. Hodel arbeitet seit einigen Jahren in der Stiftung Lebensart, einer sozialen Einrichtung, die Menschen mit Beeinträchtigung ein selbstbestimmtes Leben ermöglicht. Man bot ihm einen Sitz in der Geschäftsleitung an. Er nahm an. Im Wissen, dass das eine Fulltime-Sache ist, die sich nicht mit dem Gemeindepräsidium vereinbaren lässt. Für eine Weile aber will Daniel Hodel mal keinen Spagat mehr machen müssen.


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Erstellt: 06.06.2019
Geändert: 06.06.2019
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