Kino: "Diese Frau gibt es"

Ihr Erstling drehte sich um Rechtsextreme im Emmental. In «Vakuum» nun geht es um HIV im gutbürgerlichen Milieu. Die 36-jährige Münsingerin Christine Repond, die seit Jahren in München lebt, schaut am liebsten dahin, wo es wehtut. Und das sehr genau.

Interview: Marina Bolzli, Berner Zeitung BZ

Frau Repond, in Ihrem Film «Vakuum» geht es um die 60-jährige Meredith, die sich bei ihrem Mann unwissentlich mit HIV ansteckt. Wie kamen Sie auf diese Geschichte?

Christine Repond: Ein befreundeter Arzt hat mir von einem ähnlichen Fall erzählt. Da wurde eine gutbürgerliche Frau mit einer akuten Lungenentzündung ins Spital eingeliefert, die nicht behandelbar schien. Sie wäre fast gestorben. Nur zufällig hat man sie auf HIV getestet – und gemerkt, dass bei ihr bereits Aids ausgebrochen war. Sie hatte sich bei ihrem Mann angesteckt. Eine Tragödie – zumal das in ihrem Milieu niemand erwartete.

Was reizte Sie an diesem Thema?

Die Frau fand mit 60 Jahren heraus, dass ihr Mann sie jahrelang mit Prostituierten betrogen hatte. Plötzlich war alles eine Lüge, sie stellte ihr ganzes Leben infrage. Gemeinhin ordnet man HIV ja eher Homosexuellen, Drogensüchtigen oder Randständigen zu. Aber das war eine Frau wie viele andere. Ein scheinbar unwahrscheinlicher Fall – und gleichzeitig sehr nah an der Realität.

Ist das nicht ein bisschen klischiert: Hier die liebende und fürsorgliche Gattin, dort der Ehemann mit dem Doppelleben?

Diese Kritik höre ich manchmal. Mir wurde von einer Fernsehredaktion sogar vorgeschlagen, die Geschichte umzudrehen: dass der Mann sich bei der Frau anstecke, weil das etwas völlig Neues sei. Aber das entspricht nicht meiner Erzählhaltung. Das ist nicht die Realität.

Und was ist die Realität?

Diese Frau gibt es!

Wie meinen Sie das?

Ich kenne diese Art von Frau, denn ich komme aus einer gutbürgerlichen Familie. Meine Filmfiguren könnten auch aus dem Umfeld meiner Eltern stammen. Mich hat es gereizt, einen Blick hinter die Fassaden dieses Milieus zu werfen. Und ich finde auch das Alter spannend. 60 ist für eine Frau ein sehr schwieriges Alter, zu spät für einen richtigen Neuanfang und zugleich jung genug, um Ansprüche ans Leben zu haben. Meredith wächst schliesslich an dieser Erkenntnis.

Sie ist aber auch eine Frau, die ihr ganzes Leben in den Dienst des Mannes gestellt hat.

Vielleicht deshalb schämt sie sich auch so nach der Diagnose, fühlt sich gescheitert in ihrem Lebenslauf. Gleichzeitig ist sie aber sehr stark. Sie geht dorthin, wo es wehtut, will von ihrem Mann erfahren, warum und wie er dieses Doppelleben führte. Und sie bringt die Kraft auf, zu verzeihen.

Die deutsche Schauspielerin Barbara Auer spielt diese Meredith umwerfend.

Sie war unglaublich wichtig für den Film. Ich wusste schon früh, dass ich sie in der Hauptrolle haben wollte. Dann verzögerte sich das Projekt um mehrere Jahre. Auch wegen des Austauschs mit ihr gab ich den Film nie auf.

Warum verzögerte sich das Projekt?

Zuerst einmal schrieb ich jahrelang am Buch. Ich wollte mich von der wahren Geschichte lösen, ausserdem muss ich mich beim Schreiben erst etwas verirren, um die innere Wahrheit dahinter herauszufinden. Und dann war es schwierig mit der Finanzierung. Erst als wir unseren Fokus auf die Schweiz statt Deutschland legten, klappte es.

Ging die wahre Geschichte auch so versöhnlich aus?

Leider nicht. Die betroffene Frau informierte alle Angehörigen über die Ansteckung, woraufhin sie sich vom Mann abwandten. Und die Frau selbst fiel in eine Depression.

Ihre Filme wirken sehr düster. Der Erstling «Silberwald» über Rechtsextreme spielte in einem tristen winterlichen Emmental. Nun ist es Herbst irgendwo an der Goldküste am Zürichsee, die Stimmung ist nass, grau und kalt.

Ich bin selbst immer wieder erstaunt oder fast ein wenig geschockt, wie vordergründig düster meine Filme sind. Aber unter dieser rauen Oberfläche liegen die grossen Emotionen meiner Filmfiguren verborgen und leuchten immer wieder hervor. Ich bin eigentlich ein sehr fröhlicher und positiver Mensch. Ich suche nicht absichtlich provokative oder schwierige Themen aus.

Und wie kommen Sie auf Ihre Themen?

Ich komme ja aus sehr normalen und geordneten Verhältnissen, absolut kein Migrationshintergrund, nichts. Ich denke, viele starke Geschichten findet man dort, wo man sich gut auskennt, in seiner Heimat.

DER FILM

Eindringlich und aufwühlend

Mit «Vakuum» ist der Münsinger Regisseurin Christine Repond ein überaus aufwühlendes Drama gelungen. In düsterschönen Herbstbildern wird die Geschichte von Meredith (Barbara Auer) und André (Robert Hunger-Bühler) erzählt.

Beide sind um die 60 Jahre alt, seit bald 35 Jahren glücklich verheiratet. André ist erfolgreich als Architekt, das Paar wohnt in einer Villa irgendwo am Zürichsee. Sie gehen in die Oper, laden Freunde zum gediegenen Essen ein und sind voll mit den Vorbereitungen zum grossen Hochzeitstag beschäftigt. Es sind glückliche Bildungsbürger durch und durch. André färbt Meredith liebevoll die grauen Haare, sie putzt und räumt zufrieden auf –und sie haben sogar noch Sex. Doch nach einer Blutspende der Schock: Meredith ist HIV-positiv. Zuerst will sie es nicht wahrhaben, erzählt es niemandem, nicht einmal ihrem Mann. Und dann, immer dringender, setzt sich die Gewissheit fest: Sie kann sich nur bei André angesteckt haben.

Was macht das mit ihr?

Darum dreht sich das Drama, das zeitweise wie ein Kammerspiel anmutet. In fast jeder Einstellung ist Meredith zu sehen, manchmal verrät nur ein Zucken im Mundwinkel, wie es in ihr brodelt; und manchmal zeigt sie ihre Emotionen brutal körperlich. Diese Wunden, die plötzlich aufreissen, darum geht es in «Vakuum». Und immer wieder um die Frage: «Warum?» und «Warum ich?».

Antworten gibt es keine. Zum Glück nicht. Aber doch so etwas wie Versöhnung, einen Weg, der gangbar scheint, obwohl die Protagonisten vor einem schier unüberwindbaren Abgrund stehen.

Mit ihrem Zweitling «Vakuum» zeigt Repond, wie gut sie es beherrscht, die scheinbar normale Fassaden des Alltags zu durchbrechen und eindringliche, noch lange nachwirkende Bilder zu schaffen. bol

«Vakuum»: Vorpremiere in Anwesenheit von Regisseurin Christine Repond und Darstellerin Barbara Auer: Do, 7. 6., 18 Uhr, Rex, Biel, 20.30 Uhr, Ciné Movie, Bern. Danach im Kino.


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Erstellt: 05.06.2018
Geändert: 06.06.2018
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