Jugendtheater: Jugendliche spielen Senioren im Heim

Gymeler spielten als Generationenprojekt Senioren. Sie hatten kaum Schwierigkeiten, in ihre Rolle zu schlüpfen. Aber selber alt zu sein, können sie sich noch nicht recht vorstellen.

Annelise Gerber Markus Pfeuti/nel, Berner Zeitung BZ

Die Ausgangslage: eine Seniorenresidenz für eher gehobene Ansprüche, wie sie derzeit wie Pilze aus dem Boden schiessen. Die Hausgemeinschaft ist schicksalhaft zusammengesetzt und besteht aus einem Fabrikantenehepaar, Hauptaktionär der Residenz, das sich nichts mehr zu sagen hat. Auch dabei sind ein ehemaliger Geschäftsfreund, eine frühere Schauspielerin und der pensionierte Arbeiter Lenin. Ihn hat es nach dem Tod seiner Frau in die Residenz verschlagen. Dort steht er plötzlich seinem früheren, reichen Arbeitgeber gegenüber, der nun schwer krank ist. Es wird das Theaterstück «Lenin» von Markus Köbeli gespielt.

Der erfahrene Theatermann Hans Abplanalp (Münsingen) hat es in Mundart übersetzt und mit dem Titel «Senioreresidänz» versehen. Er, selber Rentner und Grossvater, führt beim Jugendtheater Regie (vgl. Kasten).

«Umgekehrtes» Alter

Es ist aber keine «normale» Theateraufführung, die da über die Bühne geht. Die Residenzbewohner werden nicht von Erwachsenen in ähnlichem Alter dargestellt, sondern von Jugendlichen. Können sich etwa drei Generationen jüngere Gymnasiasten überhaupt in die Rolle eines Seniors versetzen? Was bedeutet es, eine Rolle praktisch am andern Ende der eigenen Biografie zu spielen? Welche Bilder der älteren Generation prägen diese Jugendlichen, und wie stellen sie sich ihre eigene noch sehr ferne Zukunft als Rentner vor? Das hat das 65+-Team vor Ort beobachtet und mit Darstellern gesprochen (vgl. Interviews).

(Noch) geringen Bezug

Generell schienen die Schauspieler keine grossen Schwierigkeiten gehabt zu haben, ältere Menschen zu spielen. Sie konnten sich in ihre Rollen einleben, auch wenn sie sich vorher noch nicht wirklich mit Altersfragen auseinandergesetzt hatten und nur einen geringen Bezug zum Altsein hatten. Die Botschaft, die sie durch ihre Rolle dem Publikum zu übermitteln gehabt hätten, war nicht allen gleich bewusst. Sie waren mehrheitlich der Meinung, dass sie aber Anregungen über den Sinn des Lebens übermitteln konnten. Etwa: Was wurde erreicht von dem, was man wollte, und warum anderes oft nicht.

Die Rollenverteilung führte immerhin dazu, dass sich die Jugendlichen überlegten, wie sie ihr eigenes Leben gestalten möchten. Es seien Möglichkeiten aufgezeigt worden, und das habe zum Nachdenken angeregt. Zum Beispiel: Kann und will man im Alter erkennen, wie lange man noch zu leben hat?

Beim Spielen zeigten sich auch Erkenntnisse wie: Nicht alles, was man gerne tun würde, bis nach der Pensionierung aufschieben. Oder: Sich durch die Hingabe an eine interessante Arbeit nicht derart isolieren wie der beschriebene Fabrikant, der nicht einmal mehr mit seiner Ehefrau richtig spricht. Brutal wirkte auf die Spieler der im Stück vorkommende Zähler, der dem Fabrikarbeiter täglich aufzeigte, wie lange er den Aufenthalt in der Seniorenresidenz mit seinen Ersparnissen noch finanzieren kann. Mitleid erregte auch die gealterte Schauspielerin, die praktisch nur noch in der Vergangenheit lebte.

Skepsis gegenüber Heimen

Alle Befragten äusserten sich skeptisch gegenüber den Alterseinrichtungen. Alle wünschen sich, im Alter möglichst lange selbstständig und aktiv zu bleiben. Sie fanden, in einer Alterseinrichtung sei man meistens in der Selbstständigkeit eingeschränkt, zu wenig integriert und betreut.

[i] Experiment gelungen

Der Regisseur Hans Abplanalp (Münsingen) sah mit diesem Stück eine Möglichkeit, Jugendliche mit dem Thema Alter zu konfrontieren. «Sie waren zuerst skeptisch, liessen sich aber überzeugen und waren dann teilweise sogar begeistert», zieht er Bilanz.

Abplanalp hat vom Verlag die Genehmigung zur Übersetzung und Bearbeitung (Kürzung) des Stücks «Lenin» von Markus Köbeli bekommen und ihm den Titel «Senioreresidänz» gegeben. Abplanalp war überzeugt, dass Jugendliche durchaus ältere Menschen darstellen können, ohne zu karikieren. Er ging «das Experiment» ein, brachte das Stück mit jugendlichen Darstellern auf die Bühne – und wurde nicht enttäuscht. Auch die Reaktionen der Zuschauer waren positiv.

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Erstellt: 30.12.2014
Geändert: 30.12.2014
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