Jugendkulturfest Wichtrach: "La mau chli Bart drüber wachse"
Man nehme: einen Freestylerapper, einen Sänger mit Seele, eine Tanzkapelle, einen Produzenten mit karibischem Flair – fertig ist das Sommeralbum. Lo & Leducs "Zucker fürs Volk" ist zudem mit raffinierten Sprachbildern gewürzt.
Der Blonde trägt Bart – diese Saison ein Muss –, der Dunkle lässigen Secondo-Chic. Zusammen sind sie ein Ganzes, wie Yin und Yang. Bisschen Exotik, bisschen Heimat und eine prächtige Orchidee auf dem Cover: So kommt ihr neues Album daher. Zu Flamencozitaten wird berndeutsch gerappt, lautmalerisch Silbe um Silbe repetiert, mit Akzent zwischen Maghreb und Balkan. Und schon beim dritten Song wähnt man sich an einer Latino-Party, wo Schwinger im Sägemehl von blauen Peperoni träumen. Blaue Peperoni? Gemeint sind jene Hunderternötli, die leider nur selten in die Taschen der beiden Musiker Lo & Leduc wandern. Immer wieder ist das Blanksein, das Brokesein (lieber als Broker sein!) ein Thema. Und trotzdem meinen die Publikumslieblinge, die bereits zwei Alben virtuell veröffentlicht haben und nun erstmals ein physisch greifbares vorlegen: «Irgend öppis hei mer richtig gmacht.»
Warum ein Album?
Ja! Lo & Leduc machen vieles richtig. Sie rappen und singen, wie ihnen die Schnäbel gewachsen sind über Themen aus dem eigenen Alltag: «I reihe tagelang / Silbe u Bilder anenang (…) u mini Zuekunft gseht weniger guet uus als ig.» Doch anders als frühere Generationen von Berner Rappern müssen sie ihre Authentizität nicht mit krampfhaftem Purismus beweisen. Zwischen strikt gerappte Strophen schieben sie poppige Refrains und lassen die Band Weltmusik aller Art unterlegen – wobei die Beats oft baden gehen. Hip-Hop ist das nicht. Lo & Leduc kooperieren ebenso mit dem Rockromantiker Büne Huber oder dem Chlyklass-Rapper Greis wie mit dem jazzigen Basler Sänger James Gruntz – und ihr Produzent ist der Zürcher Reggaemusiker Dodo, der auch Steff la Cheffes Alben gemacht hat.
Ein bunt durchgemixter Soundtrack fürs Global Village also, jugendfrei, iTunes-kompatibel, handygerecht. Ein Konzept, das die Veröffentlichung der vorliegenden elf Songs in Form eines Albums rechtfertigen würde, scheint nicht vorhanden. Hier geht nichts verloren, wenn die Fans nur ihre Lieblingsstücke runterladen. Einzelne Songs («Jung verdammt», «Streifgänger») wirken gar ein wenig wie Füllmaterial. Ist es also pure Nostalgie, die zur Veröffentlichung eines physischen Tonträgers geführt hat? Wird mit «Zucker fürs Volk» bloss das überholte Bedürfnis befriedigt, auch Flüchtiges materiell zu besitzen?
Heimliche Meisterdichter
Nein. Denn zwei wichtige Dinge offenbaren sich nur durchhörbereiten Ohren. Erstens die tiefe Melancholie, die dem Sommer innewohnt – er wird vorbeigehen, das weiss man hier auf der Nordhalbkugel, Klimaerwärmung hin oder her. Und zweitens die hohe Dichte an geglückten Wortspielen und Sprachbildern. Letzteres ist die ganz grosse Stärke dieses Duos, das sich gern auch selbstkritisch spiegelt: «Di Wörter sy nur Hülse / und ke Buechstabe isch Schwarzpulver gnue zum se fülle / kes Wunder träffe si nid, egau wi guet i zile / u de geit me gärn i Deckig zwüsch’ de Zyle / u dert drückeni der Läärschlag wi der Abzug, ghöre ne klicke / Wörter gits ersch wäge der Lääri derzwüsche.»
Natürlich geht es Lo & Leduc nicht nur ums Schreiben, sondern immer auch um die Liebe – eine unglückliche Liebe etwa, die mit den schönsten Reimen nicht mehr zu retten ist. So heisst es im Song «Magma im Arm»: «I luege us der Ougehöhli mit Wimpere wie Gitterstäb» und: «Träne grabe es Bachbett id Backe.» Die Kumpels raten: «Chumm la zersch mau chli Bart drüber wachse», doch der Unglückliche wünscht sich «…Marmorbacke wi bin ere Statue / nur dere cha me nüüt aatue.» Wunderbar. So schön gelitten hat selten ein Rapper.
[i] Am 31.5. spielen Lo & Leduc am Jugendkulturfest Wichtrach.