Industriegeschichte: Das Worblental hat keine Fabriken mehr

Zwischen Worb und Worblaufen bleiben die Fabrikkamine kalt. Nachdem im Frühling das älteste Schweizer Hammerwerk aufgeben musste, hat das untere Worblental keine klassische Industrie mehr. Früher war hier der Werkplatz der Region.

Peter Steiger, Berner Zeitung BZ
Wenn die Schweiz an ihre Vergangenheit denkt, erinnert sie sich mit Vorliebe an ihre landwirtschaftlichen Vorfahren. Vor allem im Kanton Bern prägt der Mythos vom einstigen Bauernvolk unsere Gegenwart noch immer. Gerne beruft man sich auf Jeremias Gotthelf. Der Emmentaler wirkte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die gleichzeitige Industrialisierung hat allerdings unsere Gesellschaft, die Politik, die Kultur und vor allem unseren Wohlstand weit mehr beeinflusst als das vom populären Dichter-Pfarrer beschriebene Dorfleben.

Die Stadt Bern und deren Umgebung waren zwar nie ein derart wichtiger Industriestandort wie etwa Zürich oder Winterthur. Doch auch unsere Region hatte weltweit bedeutsame Fabrikationsbetriebe. Hier produzierten früher unter anderem der Technologiekonzern Ascom-Hasler, die Druckmaschinenfabrik Wifag oder der Maschinen- und Fahrzeughersteller Von Roll.

Knall auf Fall in Deisswil, unauffällig in Worblaufen

Am Unterlauf der Worble, zwischen Worb und der Einmündung des Bachs in die Aare bei Worblaufen, produzierte eine ganze Reihe von Betrieben. Alle sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten verschwunden. Spektakulär und Knall auf Fall beendete im Sommer 2010 die Papier- und Kartonfabrik in Deisswil die Fabrikation. Unauffälliger verhallte der Lärm des Hammerwerks Müller in Worblaufen. Hier waren zuletzt noch 15 Angestellte beschäftigt. Bedauerlich waren nicht nur die verlorenen Arbeitsplätze, sondern auch der industriegeschichtliche Verlust. Der 1844 gegründete Werkplatz war die älteste Hammerschmiede in der Schweiz.

Schmalspurbahn mit breiter Wirkung

Der Winterthurer Wirtschaftshistoriker Hans-Peter Bärtschi kennt die Hintergründe für den Aufstieg und den Niedergang der Industrie im Worblental. Der unscheinbare Bach eignete sich laut Bärtschi gut, um die Wasserkraft zu nutzen. Davon zeugen unter anderem die verschiedenen Kanäle, mit denen das Wasser zum Beispiel bei Deisswil aus dem Bach abgeleitet wurde. Im Unterlauf der Worble bildete sich im 18. und 19. Jahrhundert das einst dichteste Gewerbegebiet der Region. Bis zu 30 Wasserräder drehten sich hier.

Ab 1896 entstand das insgesamt 25 Kilometer lange Schmalspurtrassee durchs Worblental. Dieses verschaffte den Betrieben gute Voraussetzungen für den Warentransport. Noch besser erschlossen wurden die Fabriken, als der Staat mit Steuergeldern ein Dreischienengeleise legte. Nun mussten die Bahnarbeiter die Güterwagen nicht mehr mühsam auf die Rollschemel hieven. Die Meterspurlokomotiven konnten die Normalspurwaggons ohne Umlad und damit schneller und billiger durchs Tal ziehen.

Die Fabriken belieferten Bundesbetriebe

Im Worblental fällt das breite Fabrikationsspektrum auf. Hier entstanden Papier, Karton und Kunststoff, hier dröhnten Metall verarbeitende Betriebe. Hans-Peter Bärtschi erklärt das mit der Nähe zu Bern. Die Worblentaler Firmen belieferten Bundesbetriebe, die Eidgenössische Waffenfabrik etwa, die später von der Ruag übernommen wurde. Der Stufenbau war im Zweiten Weltkrieg ein Rüstungsbetrieb: Er lieferte Chemikalien für die Munitionsherstellung.

Der Industriesektor ist in der Schweiz seit den Sechzigerjahren des letzten Jahrhunderts stark geschrumpft. Deindustrialisiert ist unser Land aber nicht. Die Produktion hat sich auf Branchen verlagert, wo Expertenwissen, Innovation und Spitzentechnik nötig sind. Im Kanton Bern sind unter anderem Swatch und Meyer Burger Beispiele dafür. Im Worblental fand diese Umlagerung nur im Kleinen statt. Hans-Peter Bärtschi vermutet, dass der Anschluss aus finanziellen Gründen nicht gelang. Hier produzierten vor allem börsenkotierte Unternehmen, die in erster Linie kurzfristige Gewinne erzielen wollten.
 
[i] Hans-Peter Bärtschis Buch «Industriekultur im Kanton Bern» ist ein reich bebilderter Führer zu 333 industriegeschichtlich wichtigen Standorten. Erschienen im Rotpunktverlag, Zürich.

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Erstellt: 24.07.2014
Geändert: 24.07.2014
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