Höhenacker Münsingen: Siedlung wird zum Geisterquartier

Am Münsinger Höhenacker will man verdichtet bauen. Die Abriss- und Neubaupläne haben nun innert eines Jahres einen grossen Teil der Bewohner verscheucht. Die halb leeren Blöcke stehen aber noch fast zwei Jahre. Nun fordert die SP eine Zwischennutzung.

Flurin Jecker, Der Bund

Viele Briefkästen sind mit braunem Klebeband zugeklebt, die meisten Balkone sind leer, die Storen sind heruntergelassen. Der Höhenacker in Münsingen ist innert eines Jahres von einem lebendigen Familienquartier zum Geisterquartier geworden. Grund dafür sind Abriss- und Renovationspläne, die vor einem Jahr von der Liegenschaftsverwalterin Livit AG bekannt gegeben wurden. Drei 35–40-jährige Blöcke mit insgesamt 63 Wohnungen sollen abgerissen und durch Neubauten ersetzt werden. Weitere fünf Blöcke mit 66 Wohnungen werden saniert. 

Die bevorstehende Mietzinserhöhung und die baubedingten Unannehmlichkeiten haben inzwischen viele Anwohner verscheucht. Am Terrassenweg, an dem alle Blöcke abgerissen werden sollen, stehen über die Hälfte der Wohnungen bereits leer. 

Renovationen verzögern sich

Nun hat eine gut unterrichtete Quelle dem «Bund» bestätigt, dass mit den ­Renovationen voraussichtlich erst im Frühling 2016 begonnen werden soll. Den Blöcken am Terrassenweg soll die Abrissbirne gar erst 2017 winken. Schliesslich sollen potenziell zehn Prozent mehr Bewohner am Höhenacker leben können. Bis dahin werden aber Dutzende Wohnungen leer stehen. 

Den Anstoss zu diesem Bauvorhaben hatte 2010 der Münsinger Gemeinderat gegeben. Dieser sah im Höhenacker ein «Verdichtungspotenzial» und erlaubte darum für diesen Perimeter ein dichteres Bauen. Dies unter der Bedingung, dass bei den Neubauten Minergiestandard erreicht werden muss.

Zwischennutzung gefordert

Grossrätin und Präsidentin der SP-Fraktion Münsingen, Elisabeth Striffeler, ist mit der jetzigen Situation gar nicht zufrieden. «Geplant ist ja nur eine marginale Verdichtung», sagt sie auf Anfrage. Erst recht «irritiere» sie, dass so viele Wohnungen über Jahre ungenutzt bleiben sollen. Deshalb will sie einen Vorstoss im Münsinger Gemeindeparlament einreichen. «Die Gemeinde soll prüfen, ob und wie die Wohnungen zwischen­genutzt werden könnten.» Dafür soll das Gespräch mit der Berintra AG, der Inhaberin der Liegenschaft, gesucht werden. 

Der Münsinger Gemeindepräsident Beat Moser (Grüne) stört sich trotz Verdichtungszielen kaum an den leer stehenden Wohnungen. Das Szenario sei absehbar gewesen. Von Elisabeth Striffelers geplantem Vorstoss hält er indes nichts. «Die Gemeinde kann der Berintra AG nicht vorschreiben, wann sie mit den Renovationen beginnen soll.» Was die Inhaberin mit ihren Wohnungen tue, sei ihre Sache. Die Inhaberin habe ja selbst Interesse daran, die Umbauten möglichst rasch über die Bühne zu bringen. 

Die Verzögerung der Renovierungsarbeiten ist auf eine Einsprache zurückzuführen. Nun steckt das Verfahren fest, bis das Amt für Gemeinden und Raumordnung (AGR) grünes Licht gibt. Von Seiten des Gemeinderats hält sich das Interesse an einer Beschleunigung des gesamten Verfahrens in Grenzen. Sobald das AGR die Einsprache beurteilt hat, könne man «abwarten», bis die Berintra AG das Baugesuch einreichen werde, sagt Moser. «Es kommt dann auf das Tempo der Gesuchsteller an, wie schnell es weitergehen kann.» Man habe nicht vor, diesbezüglich Druck zu machen. 

Den Mietern wurde bis anhin noch nicht bekannt gegeben, auf wann ihnen gekündigt wird. Darum bestünde im Moment noch die Möglichkeit, eine Wohnung am Höhenacker befristet zu mieten. Die Verwalterin Livit AG sagt auf Anfrage, dass aber keine Mietreduktion zu erwarten sei. «Eine Weitervermietung zum heute gültigen Preisniveau ist möglich», schreibt die Firma auf Anfrage. 

Quartier dünnt sich weiter aus

De Facto leert sich das Höhenackerquartier aber mehr und mehr. Frau Siegenthaler, eine langjährige Bewohnerin am Terrassenweg, sagt auf Anfrage, es sei in letzter Zeit kaum vorgekommen, dass jemand zugezogen sei. «Im Gegenteil. Am Terrassenweg 18 hat letzte Woche die letzte Partei gekündigt.» Sie vermutet, dass der «psychische Druck» Grund für die Abwanderung sei. «Die meisten halten die Ungewissheit einfach nicht aus», sagt sie. Ihr sei von der Livit bekannt gegeben worden, dass sie die Kündigung ein bis anderthalb Jahre vor dem Abriss erhalten werde. «Darum bleibe ich noch eine Weile, auch wenn das Quartier langsam zu einem Geisterquartier wird.» Drei von sechs Parteien ihres Hauseingangs sind denn schon weggezogen. 

Der Höhenacker wird sich also vorerst weiter ausdünnen. Ob die leeren Wohnungen noch sinnvoll genutzt werden, scheint unwahrscheinlich.


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Erstellt: 13.07.2015
Geändert: 13.07.2015
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