Herbligen - Ohne Fingerspitzen – aber mit viel Gefühl
Urs Bühlmann spielt seit Jahrzehnten Schwyzerörgeli. Vor zwei Jahren musste er alles neu erlernen – nachdem ihm acht Fingerkuppen amputiert worden waren.
Es ist Ruhe und Zuversicht, die Urs Bühlmann ausstrahlt, als er lächelnd am Eingang seines Hauses ob Herbligen steht. Der Blick geht weit über das Aaretal. Hier, in seinem Zuhause, das er mit seiner Frau und den zwei Kindern bewohnt, bringt er Musikbegeisterten das Örgelispielen bei.
Eigens dafür hat er sich einen Unterrichtsraum eingerichtet, das erste Zimmer links neben der Haustür. Im Örgelizimmer streicht Bühlmann über die Holzschnitzerei, die er zum Jubiläum erhalten hat. Zwanzig Jahre führt er seine Musikschule nun schon.
Der Weg zurück zum Örgeli
Vor zwei Jahren nahm Urs Bühlmanns Leben aber eine Wende, die ihn Beruf und Berufung hätte kosten können. «Ich habe die Diagnose Krebs bekommen», sagt Bühlmann. Er habe Glück gehabt: «Der Tumor konnte entfernt werden.» Doch dann, nach der Operation, holte Urs Bühlmann sich eine Blutvergiftung, lag sechs Monate im Spital, mit geringer Überlebenschance.
Die Folge davon: Er, der Örgeler, musste sich acht Fingerkuppen amputieren lassen. Nur die beiden Daumen sind noch intakt. Während seines Spitalaufenthalts habe er viel Zeit zum Nachdenken gehabt, sagt Bühlmann. «Ich war antriebslos, desinteressiert und habe mich natürlich auch gefragt, ob ich jemals wieder Örgeli spielen kann.» Er konnte.
Der Wunsch, zu seinen Schülern zurückzukehren, habe ihm Kraft gegeben. Im Sommer 2017 nahm Urs Bühlmann sein Instrument erstmals wieder in die Hände. «Ich habe schnell gemerkt: Ich kann das wieder lernen.» Das Gefühl in seinen Fingern sei nach wie vor da. Einzig ein praktisches Problem hat er: Seine Finger sind kürzer, die Distanzen zu gewissen Knöpfen schwieriger zu überwinden: «Es gibt simple Griffe, die für mich durch die fehlenden Fingerglieder sehr kompliziert zu spielen geworden sind.» Allen Widrigkeiten zum Trotz: Im Februar 2018 begann Bühlmann wieder zu unterrichten. Zum zweiten Mal.
Traditionelles ist gefragt
Zum ersten Mal begann Bühlmann vor zwanzig Jahren, Musikstunden zu geben. Damals beschloss er, der frühere Servicetechniker, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Seinem Umfeld teilte er mit, er werde Hausmann. «Ich wusste damals ja noch nicht, ob die Örgelischule erfolgreich sein würde», sagt Bühlmann. Er unterrichtete vor allem abends und an den schulfreien Nachmittagen Schülerinnen und Schüler jeden Alters. Seine Frau arbeitete seit je ausser Haus: «Ohne sie hätte ich mir den Traum von der eigenen Musikschule nicht verwirklichen können.»
Urs Bühlmann gewann an Erfahrung, entwickelte etwa sein eigenes Griffsystem für seine Musikschüler. Er selbst lernte das «Örgele» als Kind von seinem Vater. Während Jahren trat er gemeinsam mit seinen Brüdern und einem Freund als «Die Bühlmanns» auf und wurde etwa für Auftritte bei TeleBärn eingeladen. Die Formation organisierte jeweils das Grosse Schwyzerörgeli-Festival in Herbligen.
Verändert habe sich in seiner Tätigkeit über die Zeit hinweg wenig, sagt er. Höchstens, dass es gerade mit jungen Leuten schwierig sei, überhaupt noch Termine für Unterrichtsstunden zu finden. «Viele von ihnen sind mit Schule und Hobbys sehr eingespannt», sagt der Vater eines Sohnes und einer Tochter.
Es sei schön, dass nach wie vor viele Junge Interesse am Örgeli und an volkstümlicher Musik hätten. Beliebt seien bei ihnen einerseits alte, traditionelle Stücke, andererseits moderne Hits wie etwa der Song «Ma chérie» des Basler DJ Antoine.
«So lange wie möglich»
Besonders schätze er an seinem Beruf den Kontakt mit den Menschen, sagt Bühlmann. «Über die Jahre lernt man sich kennen.» Dass Musik verbindet, davon ist Urs Bühlmann überzeugt. Einmal im Monat können sich seine Schüler bei ihm treffen, um gemeinsam zu örgelen.
Sogar eine CD hat Bühlmann mit ihnen eingespielt, zum Jubiläum im November. Ein Jubiläum, das für ihn zugleich einen Neuanfang bedeutete. Der 56-Jährige hat während seines Spitalaufenthaltes beschlossen, seinen Unterricht so lange wie möglich fortzusetzen. «Ich habe all mein Herzblut in die Schule und die Musik gesteckt – davon möchte ich den Leuten etwas weitergeben, solange es mir möglich ist.»
Einen Wunsch, den sich der begeisterte Velofahrer Bühlmann noch erfüllen möchte, ist eine Reise nach Argentinien. «Die Landschaft, die Tangomusik, die Klänge des Bandoneons – das fasziniert mich.» Jenes Instrument selber zu erlernen, komme für ihn aber nicht infrage. Er bleibe seinem Schwyzerörgeli treu.