Häutligen - Cancellara begrüsste das Dorf hupend
Das gestrige Einzelzeitfahren der siebten Tour-de-Suisse-Etappe führte in einer Runde von Worb über Häutligen retour. Das Dörfchen wurde zum Festplatz, wo das Publikum auf die Radfahrer hinfieberte. Vor allem auf einen: Fabian Cancellara.
Niemand würde glauben, dass dieser Mann verletzt ist. Vor wenigen Tagen ist Fabian Cancellara beim Training gestürzt und jetzt pedalt er als erster Fahrer des Tour-de-Suisse-Einzelzeitfahrens die kurvige Steigung mitten im Dörflein Häutligen hoch. Obschon er diesmal nicht zu den Sieganwärtern gehört, fährt er in einem Höllentempo. Trotz Anstrengung strahlt der rot-schwarz gekleidete Lokalmatador aus Ittigen. Kurz bevor er nach links abbiegt, betätigt er noch die Hupe am Lenker und lacht. Das Publikum freut sich. Es hat auf ihn gewartet und tobt. Kurz zuvor hatte es mit dem Speaker «Fäbu»-Rufe geprobt. «Fäbu, Fäbu!», tönt es aus Hunderten von Kehlen. Rätschen lärmen. Landwirt Andreas Gäumann schwingt mit beiden Händen eine riesige Treichel. Deren Läuten übertönt Motorenlärm und Geschrei.
Nur ein paar Sekunden
Das «Fäbu!» verklingt und Cancellara ist innert weniger als einer Minute um die Kurve Richtung Konolfingen verschwunden. «Das wärs also schon gewesen», sagt eine Zuschauerin und seufzt enttäuscht. «Dann können wir jetzt ja nach Hause gehen.» Eine Aussage wie diese zeigt den hohen Stellenwert, den Fabian Cancellara bei seinen Fans in der Region Bern einnimmt. Viele Zuschauer sind nur seinetwegen gekommen. Auch beim Mittagessen im Häutliger Restaurant Bärli war er Thema gewesen: «Hart für ihn, dass er diesmal keine Chance hat», bedauert ein älterer Herr im gelben Velotenü. «Bleibt zu hoffen, dass er sich bald wieder erholt», sagt sein Tischnachbar. Aufmerksamkeit und Applaus ernten in Häutligen aber auch andere Prominente: Noch vor Cancellara fahren unter anderen die ehemalige Spitzenläuferin Anita Weyermann, der Ex-Velorennfahrer Tony Rominger und der Ex-Skirennfahrer Bruno Kernen die Steigung hoch. Allerdings pedalen sie mit auffälliger Leichtigkeit und sind schneller als die Veloprofis. Der Grund ist erst auf den zweiten Blick erkennbar: Sie sind mit E-Bikes unterwegs.
Das Dörfchen ist mit Autos vollgeparkt. Ein Problem sei das aber nicht, die verfügbaren Plätze reichten aus, sagen ein paar junge Feuerwehrmänner, die den Verkehrsdienst besorgen. Einer von ihnen ist mit dem Velo gekommen. Viele andere auch: Viele Fans am Strassenrand tragen Helm und Velodress. Sie sind das steile, schmale Strässchen von Wichtrach und Oberdiessbach nach Häutligen hochgefahren. Dagegen ist die Steigung von Tägertschi nach Häutligen, über die sich die Tour-de-Suisse-Zeitfahrer hochquälen mussten, geradezu flach. Sie starteten in Worb auf 587 Meter und erreichten nach Häutligen (700 Meter) in Grosshöchstetten auf 771 Metern über Meer den höchsten Punkt.
Das Publikum empfängt jeden Fahrer mit Applaus. Diese Begeisterung des Publikums hat offensichtlich auch Fabian Cancellara bei der Fahrt durch seine heimatliche Region beflügelt: Trotz seinen Verletzungen ging er aus der gestrigen 7. Etappe als bester Schweizer hervor, und landete auf dem 4. Rang dieser Tagesetappe.