Gysenstein/Bern - Mit zwei Koffern zur Kunst
Nur zwei Koffer hatte Monika Steiner dabei, als sie nach Kalifornien auswanderte. Zwei Koffer und die Idee, es müsse noch etwas passieren in ihrem Leben. Sie zog in eine Wohnung über einer Tankstelle, studierte Kunst. Sie zweifelte. Bis ein Bruch Klarheit brachte.
Schatten an der Decke. Schatten von den Bäumen draussen vor dem Fenster. Blätter, Licht. Monika Steiner schaut nach oben, stundenlang, liegt auf dem Bett, denkt nach. Über die Scheidung. Und über die Entscheidung, alles auf die Kunst zu setzen. Kann ich das? Schaffe ich das wirklich? Eine Frau aus Gysenstein. In San Francisco. Ohne Freunde, ohne Geld, ohne Ehe. Mit einem gebrochenen Rücken.
Lebenshunger
Nun ist sie zurück in der Schweiz. Und stellt ihre Bilder aus, in der Galerie Kunstreich in der Berner Altstadt. Macht hier Ferien, in Merligen. Der Kontakt zur Heimat ist noch da, auch nach vierzehn Jahren Amerika. «Manchmal», sagt sie, «wenn ich hier bin, denke ich: Das könnte jetzt mein Leben sein. Lehrerin. Verheiratet mit einem Mann aus dem nächsten Dorf.» Monika Steiner ist in Gysenstein aufgewachsen. Zwei Geschwister, Katzen, Pferde. Eine Bauerntochter aus einer heilen Welt, wie sie sagt. PH Bern. Primarlehrerin in Bönigen. Liiert mit einem Ingenieur. Harmonie eigentlich, aber keine vollkommene. «Wir wollten nicht hierbleiben, heiraten und Kinder haben», sagt Monika Steiner. «Ich hatte immer das Gefühl: Ich muss raus, da ist noch etwas.» Sie gingen nach Kalifornien, Januar 2000. Zwei Koffer hatten sie dabei. Bezogen eine kleine Wohnung über einer Shell-Tankstelle. Mieteten einen Ford Mustang, kauften ein Bett, einen Tisch, eine Pfanne und Besteck, fuhren über die Golden Gate Bridge. Ein Abenteuer, gewiss. Aber auch eine schwere Zeit. Er hatte eine Stelle, sie durfte nicht arbeiten, hatte kein Visum. Dafür hatte sie Zeit. Viel Zeit, um eine Passion zu entdecken, die immer da war, aber noch nie im Zentrum gestanden hatte: die Kunst.
Harmonie und Balance
Die Kugel. Das ist heute ihr Motiv. Monika Steiner, 42 Jahre alt, sitzt im Wohnzimmer ihrer Ferienwohnung in Merligen. Eines ihrer Bilder hängt an der Wand. Gelber Grund, braune Kugeln, Öl auf Holz. «Unser Kopf versucht automatisch, ein Motiv zu benennen», sagt sie. «Bei abstrakter Kunst kann er das nicht. Darum kommt die erste Reaktion nicht vom Kopf, sondern vom Gefühl.» Harmonie soll das Bild auslösen. Harmonie und Balance, die von innen kommen. «Kunst sollte ein Stück des Künstlers enthalten», sagt Monika Steiner. «Sonst ist sie Kommerz. Sonst ist sie tot.» Was sie malt, ist ihre Innenwelt. Was da an der Wand hängt, ein abstraktes Selbstporträt.
Ein Bruch
Zweifel. Plötzlich kamen sie auf. Das Kunststudium in San Francisco war vorbei, Kunstgeschichte, Design, Skulpturen. «Das ist es», dachte Monika Steiner. Doch nun schwand die Zuversicht. Nicht der Bauch, sondern der Kopf war skeptisch. Sagte Nein zu Amerika, Ja zur Schweiz. Nein zur Kunst, Ja zur Lehrerin. Und Nein zur Scheidung, Ja zur Eheberatung. Sie hatten sich auseinandergelebt, sie und ihr Mann, die Künstlerin und der Ingenieur. Aber für einen Schnitt reichte es nicht. Noch nicht.
20. Juni 2005. Ein Ausritt mit einer Freundin hinaus ins Nichts, in einen Wald in Kalifornien. Ein Augenblick war es nur. Als das Pferd ausschlug, als sie gegen den Ast knallte, als der Schmerz sie durchfuhr und sie wusste: «Mein Rücken ist gebrochen.» Der Helikopter konnte nicht landen. Feuerwehrmänner stellten Fragen, schnitten ihre Kleider auf. «Ich spürte die Beine nicht, ich konnte mich nicht bewegen.» Monika Steiner lag auf der Bahre, die Feuerwehrleute trugen sie den Hang hoch. Sie atmeten schnell. Blätter über ihr, dahinter der helle Himmel. Panik, Schmerzen, unglaubliche Schmerzen. «Und plötzlich, plötzlich» – sie atmet tief aus –, «plötzlich ist es ruhig geworden. Und ich habe realisiert: Die Männer atmen im Einklang. Im gleichen Takt wie mein Herzschlag. Immer langsamer. Alles war in einer perfekten Balance.» «Entschuldigung.» Die Stimme bricht, sie hält inne. «Das war so ein extremer Moment. Ein vollkommener Augenblick. Dieses Licht, ich sehe es noch vor mir. Und diese Ruhe. Wenn ich daran denke. Nie in meinem Leben habe ich eine solche Ruhe gespürt. Und dann wusste ich auf einmal: Ich muss mich von ihm trennen, ich muss hierbleiben. Ich muss malen.»
Die Schatten an der Decke
Im Spital. Schatten an der Decke. Schatten von den Bäumen draussen. Drei Wirbel waren beschädigt. Die Ärzte sagten, sie werde wieder laufen können. Licht. Kann ich das? Schaffe ich das wirklich? Die ersten Gehversuche. «Mit diesen Walkern, wie ein Grosi.» Kein Geld, keine Ehe, kein Einkommen. «Ich hatte niemanden.» Monika Steiner lag auf dem Bett, schaute zur Decke, stundenlang. Blätter, Licht. Sie nahm ein Notizbuch. Begann zu skizzieren. Begann zu meditieren, sich für Philosophie zu interessieren. Für Fragen nach dem Sinn des Lebens, nach dem Ende. Und für Kugeln. Sie bedeuteten Vollkommenheit und Einheit, sagt Monika Steiner. «Und alles in der Natur hat eine Kugelform, vom Atom bis zu den Planeten.» Ende 2005 lernte sie ihn kennen. Greg Ellison. Er malte Porträts und machte Skulpturen. Er verstand sie. Sie verliebten sich.
Im Sommer 2006 kam der Durchbruch. Die Bank of America bot Monika Steiner eine Ausstellung an. San Francisco, im höchsten Gebäude der Stadt. Mannshohe Bilder, basierend auf den Skizzen der Schatten an der Decke. Die Vernissage war am 20. Juni 2006. Ein Jahr nach dem Unfall, auf den Tag genau.
In der alten Heimat
Und nun ist sie zurück. Zurück in Bern. Stellt ihr neues Leben in der alten Heimat aus. «In mein Leben kam immer mehr Harmonie», sagt Monika Steiner. Sie habe sich zu 120 Prozent in ihre Bilder hineingegeben, habe meditiert, sich von den Gedanken des Alltags befreit. Seit ihre Tochter vor zwei Jahren geboren wurde, fühle sie sich komplett und vollkommen. «Ich bin nicht mehr auf der Suche. Ich bin dort, wo ich sein will.»
«Wir wollten nicht hierbleiben, heiraten und Kinder haben. Ich hatte immer das Gefühl: Ich muss raus, da ist noch etwas.» Monika Steiner
[i] Ausstellung: vom 21. 8. bis 27. 9., Galerie Kunstreich, Gerechtigkeitsgasse 76, Bern. Vernissage: Do, 21. 8., 18–20 Uhr.