Grosshöchstetten: Warum Grosshöchstetten?
Ein Weltmeister, fabelhafte Aussicht und ein grössenwahnsinniger Name: Grosshöchstetten beflügelt Kulturschaffende. Warum eigentlich? Eine Spurensuche.
Marina Bolzli und Michael Feller, Berner Zeitung BZ
Das Herz von Grosshöchstetten ist rund und ächzt. Es pumpt Autos und Lastwagen im Sekundentakt in alle Richtungen. Nach Thun, nach Langnau, nach Burgdorf und Bern. Wir stehen am Dorfkreisel. Wie immer mittwochs wartet der «Royal Swiss Güggeli»-Wagen vor dem alten Löwen. Früher thronte an dieser Kreuzung eine grosse Linde, auf dem Wappen von Grosshöchstetten ist sie verewigt. Die Linde wurde gefällt, nun steht in der Kreiselmitte ein etwas jämmerlicher Baum. Vermutlich sind seine Blätter während des späten Frosts im Frühling erfroren.
Es könnte auch eine Kamelskulptur hier stehen, Kreiselkunst ist beliebt. Um ein Kamel im Kreisel drehte sich das zweite Programm des Kabarettduos Schön & Gut. Das Duo stammt aus Zürich – seine Stücke spielen in Grosshöchstetten, am Tor zum Emmental. Aber warum?
Kabarett aus Zürich
Schön & Gut geben sich wortkarg. «Das bringen Sie nicht aus uns raus», sagt Anna-Katharina Rickert am Telefon auf die Frage «Warum Grosshöchstetten?». Mit ihrem Bühnenpartner Ralf Schlatter hat sie vor einigen Tagen den Schweizer Kleinkunstpreis in die Hand gedrückt bekommen. Weshalb die Kabarettisten ausgerechnet dieses Dorf zum Schauplatz sämtlicher Stücke auserkoren habe, bleibt offen.
Darum stehen wir jetzt am Kreisel und suchen selbst nach Antworten. Nach dem Kreisel ist eine Bäckerei benannt, der Kreiselbeck. Und ein Pub, das Circle Café, das derzeit nicht in Betrieb ist. Das Dorf mit 3600 Einwohnern hat viel Gewerbe für seine Grösse. Apotheke, Bäckerei, Schuhladen, Sportläden. Doch einige Läden drohen zu verschwinden. Vor drei Jahren schloss die letzte von drei Metzgereien. Käserei, Antiquitätenladen und Papeterie suchen altersbedingt Nachfolger.
Kleider aus fünf Jahrzehnten
In der Boutique Fahrni oberhalb des Pubs ist Totalausverkauf. Inhaberin Heidi Fahrni hört sich die Sorgen einer Kundin an, während wir im vollgepackten Lokal das Angebot von Kinderkleidern bis Christbaumschmuck betrachten. Fahrni schliesst ihren Laden nach 51 Jahren – «altershalber», wie sie sagt, nachdem die Kundin gegangen ist. An Grosshöchstetten schätzt die 76-Jährige die Nähe zum Wald, die Nähe zu Bern.
Wenige Schritte von der Boutique entfernt befindet sich das Gemeindehaus, wo uns Gemeindepräsident Hanspeter Heierli empfängt. Er ist ein Zugezogener, seinen Dialekt hat der 70-Jährige aus Rapperswil SG nie abgelegt. 1978 kam er mit seiner Familie nach Höchi, wie das Dorf liebevoll genannt wird. Und er weiss noch genau, weshalb: Weil Grosshöchstetten kompakt und intakt war, weil die Lebensqualität hoch war. Daran habe sich bis heute nichts geändert.
Daran wird sich auch nichts ändern, wenn der Nachbar Schlosswil im Herbst der Fusion mit Grosshöchstetten zustimmt. Mit der Fusion stiege Grosshöchstettens Einwohnerzahl auf über 4000 Personen. Vielleicht bleibt der Gemeinde dank dieser Vergrösserung die Poststelle erhalten. Ein guter Grund, sich zusammenzutun.
Hier ist man nicht nur stolz auf Höchis Skiweltmeister Luca Aerni. «Wir sind stolz, dass das Dorfleben funktioniert», sagt Gemeindepräsident Heierli. Man grüsse sich. «Und mit der Hälfte der Höchstetter bin ich per Du.» Für ihn ist sein Dorf «guter Schweizer Durchschnitt».
Schneuwlys aus Höchstetten
Ist es die Durchschnittlichkeit, die Schön & Gut gesucht hat? Eine Durchschnittlichkeit, die stellvertretend für die Schweiz stehen kann? Auch ein anderes Comedyformat hat Grosshöchstetten als Schauplatz gewählt: Die SRF-Webserie «Experiment Schneuwly» von Juri Steinhart. Das spiessige Ehepaar aus der Serie, gespielt von Anne Hodler und Matto Kämpf, wohnt in Grosshöchstetten. Matto Kämpf hat «null Bezug» zum Dorf, irgendwann sei der Name Grosshöchstetten in der improvisierten Sendung gefallen, sagt er, von da an wohnten die Schneuwlys da.
Aber nicht ganz zufällig: «Grosshöchstetten ist nicht Stadt, nicht Agglo, nicht Grindelwald, sondern das Dazwischen», sagt Kämpf. Die Schneuwlys halten dieses Jahr die 1.-August-Rede im Dorf. Eine Ehre, die Schön & Gut vor ein paar Jahren schon zuteilwurde. Die Feier findet am 31. Juli statt. «Am 1. August kamen einfach zu wenig Leute», sagt Gemeindepräsident Hanspeter Heierli. «Fünf mickrige Lampions im Umzug, das kann nicht sein.»
Gute Aussichten am Hang
Die Aussicht in Grosshöchstetten ist gut. Wer am Hang in dieser beschaulichen Umgebung wohnt, für den sind die Alpen zum Greifen nah. Die Garagen sind oben, dem Hang zugewendet, die Terrassen sonnenbeschienen und blickgeschützt. Und doch sind es keine Villen. Es sind Einfamilienhäuser mit Trampolinen. Besser als Durchschnitt. Es gibt mehr Aussicht, mehr Läden, mehr Beizen und mehr Kultur. Und einen grössenwahnsinnigen Namen. Gross-Höch-Stetten. Gross und hoch in einem Namen, wo gibt es das schon?
«Sportmoderator Matthias Hüppi kann den Namen des Dorfes nie richtig aussprechen», sagt Heierli und schmunzelt. Auf Hochdeutsch sei das Wort ein Zungenbrecher. Vielleicht sei es der lustige Name, der für Komiker anziehend wirke. «Grosshöchstetten klingt nach etwas, das hat Rhythmus», bestätigt Anna Katharina Rickert von Schön & Gut, die eigentlich gar nichts verraten wollte.
Das «Gross» wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts Teil des Ortsnamens, vorher war es Höchstetten. Seit damals hat sich die Gemeinde einwohnermässig stärker entwickelt als die Nachbarn. Grosshöchstetten ist zum Regionalzentrum geworden. Hier befinden sich die Sekundarschule, das Hallenbad, das Altersheim, der Markt und vier grosse Landbeizen.
Mehr Kultur
Wir landen wieder beim Dreh-und Angelpunkt des Dorfes. Mitte der 90er-Jahre gab es zunächst Widerstand gegen den Kreisel, der den Durchgangsverkehr bändigen sollte. Doch den Plänen des Kantons konnte die lokale Unterschriftensammlung nichts anhaben. 1998, das Bauwerk stand inzwischen, schrieb der Kanton den Grosshöchstettern vor, die Bärenskulptur aus dem Kreisel zu entfernen. Das sei keine Kunst.
Womit wir wieder beim Kamel im Kreisel wären. Die Produktionen von Schön & Gut haben immer wieder Geschichten aus Grosshöchstetten vorweggenommen. Vielleicht, weil sie symptomatisch sind für viele Dörfer. In «Schönmatt» ging es um eine Fusion – allerdings mit Konolfingen. «Wenn wir jeweils in Cacis Mühle auftreten, meinen die Leute, wir hätten das Stück extra für Grosshöchstetten umgeschrieben», sagt Anna Katharina Rickert.
Ja, die Mühle Caci. Sie befindet sich ganz unten im Dorf. Ein italienischer Einwanderer und eine Worberin haben die Kultur nach Grosshöchstetten gebracht: Salvatore und Magdalena Caci. Vor gut zehn Jahren konnten sie die alte Mühle billig kaufen. Dort hatte sich zuvor das Fettlager einer Grossmetzgerei befunden. Es stank, niemand wollte dort wohnen. Die beiden Künstler – er arbeitet mit Eisen, sie mit Keramik – verwandelten den Ort in ein Paradies. Sie erstellten Atelierräume für Künstler, gaben einen Teil an den Kulturclub Kühltür ab, der seither regelmässig Konzerte veranstaltet, und richteten Cacis Mühle ein.
«Grosshöchstetten ist Durchschnitt», sagt auch Einwanderer Caci. Das ist als Kompliment gemeint, denn Caci fühlt sich wohl im Dorf. Allerdings dauere es lange, bis man im Dorfleben drin sei. «Wenn man aber drin ist, ist es sehr herzlich in Grosshöchstetten.»
Ein letzter Aufstieg zum Kreisel. Der Güggelistand packt ein. Nächsten Mittwoch wird er wieder hier sein. Es gibt Dinge, auf die ist Verlass. Es gibt Orte, auf die ist Verlass. Und es gibt Grosshöchstetten. Mittelmass – nur ein bisschen besser.
Schön & Gut:
Nächster Auftritt am Samstag, 13. Mai, 20.30 Uhr, Alte Moschti Mühlethurnen. Alle Folgen von «Experiment Schneuwly»sind auf www.srf.ch aufgeschaltet.
Es könnte auch eine Kamelskulptur hier stehen, Kreiselkunst ist beliebt. Um ein Kamel im Kreisel drehte sich das zweite Programm des Kabarettduos Schön & Gut. Das Duo stammt aus Zürich – seine Stücke spielen in Grosshöchstetten, am Tor zum Emmental. Aber warum?
Kabarett aus Zürich
Schön & Gut geben sich wortkarg. «Das bringen Sie nicht aus uns raus», sagt Anna-Katharina Rickert am Telefon auf die Frage «Warum Grosshöchstetten?». Mit ihrem Bühnenpartner Ralf Schlatter hat sie vor einigen Tagen den Schweizer Kleinkunstpreis in die Hand gedrückt bekommen. Weshalb die Kabarettisten ausgerechnet dieses Dorf zum Schauplatz sämtlicher Stücke auserkoren habe, bleibt offen.
Darum stehen wir jetzt am Kreisel und suchen selbst nach Antworten. Nach dem Kreisel ist eine Bäckerei benannt, der Kreiselbeck. Und ein Pub, das Circle Café, das derzeit nicht in Betrieb ist. Das Dorf mit 3600 Einwohnern hat viel Gewerbe für seine Grösse. Apotheke, Bäckerei, Schuhladen, Sportläden. Doch einige Läden drohen zu verschwinden. Vor drei Jahren schloss die letzte von drei Metzgereien. Käserei, Antiquitätenladen und Papeterie suchen altersbedingt Nachfolger.
Kleider aus fünf Jahrzehnten
In der Boutique Fahrni oberhalb des Pubs ist Totalausverkauf. Inhaberin Heidi Fahrni hört sich die Sorgen einer Kundin an, während wir im vollgepackten Lokal das Angebot von Kinderkleidern bis Christbaumschmuck betrachten. Fahrni schliesst ihren Laden nach 51 Jahren – «altershalber», wie sie sagt, nachdem die Kundin gegangen ist. An Grosshöchstetten schätzt die 76-Jährige die Nähe zum Wald, die Nähe zu Bern.
Wenige Schritte von der Boutique entfernt befindet sich das Gemeindehaus, wo uns Gemeindepräsident Hanspeter Heierli empfängt. Er ist ein Zugezogener, seinen Dialekt hat der 70-Jährige aus Rapperswil SG nie abgelegt. 1978 kam er mit seiner Familie nach Höchi, wie das Dorf liebevoll genannt wird. Und er weiss noch genau, weshalb: Weil Grosshöchstetten kompakt und intakt war, weil die Lebensqualität hoch war. Daran habe sich bis heute nichts geändert.
Daran wird sich auch nichts ändern, wenn der Nachbar Schlosswil im Herbst der Fusion mit Grosshöchstetten zustimmt. Mit der Fusion stiege Grosshöchstettens Einwohnerzahl auf über 4000 Personen. Vielleicht bleibt der Gemeinde dank dieser Vergrösserung die Poststelle erhalten. Ein guter Grund, sich zusammenzutun.
Hier ist man nicht nur stolz auf Höchis Skiweltmeister Luca Aerni. «Wir sind stolz, dass das Dorfleben funktioniert», sagt Gemeindepräsident Heierli. Man grüsse sich. «Und mit der Hälfte der Höchstetter bin ich per Du.» Für ihn ist sein Dorf «guter Schweizer Durchschnitt».
Schneuwlys aus Höchstetten
Ist es die Durchschnittlichkeit, die Schön & Gut gesucht hat? Eine Durchschnittlichkeit, die stellvertretend für die Schweiz stehen kann? Auch ein anderes Comedyformat hat Grosshöchstetten als Schauplatz gewählt: Die SRF-Webserie «Experiment Schneuwly» von Juri Steinhart. Das spiessige Ehepaar aus der Serie, gespielt von Anne Hodler und Matto Kämpf, wohnt in Grosshöchstetten. Matto Kämpf hat «null Bezug» zum Dorf, irgendwann sei der Name Grosshöchstetten in der improvisierten Sendung gefallen, sagt er, von da an wohnten die Schneuwlys da.
Aber nicht ganz zufällig: «Grosshöchstetten ist nicht Stadt, nicht Agglo, nicht Grindelwald, sondern das Dazwischen», sagt Kämpf. Die Schneuwlys halten dieses Jahr die 1.-August-Rede im Dorf. Eine Ehre, die Schön & Gut vor ein paar Jahren schon zuteilwurde. Die Feier findet am 31. Juli statt. «Am 1. August kamen einfach zu wenig Leute», sagt Gemeindepräsident Hanspeter Heierli. «Fünf mickrige Lampions im Umzug, das kann nicht sein.»
Gute Aussichten am Hang
Die Aussicht in Grosshöchstetten ist gut. Wer am Hang in dieser beschaulichen Umgebung wohnt, für den sind die Alpen zum Greifen nah. Die Garagen sind oben, dem Hang zugewendet, die Terrassen sonnenbeschienen und blickgeschützt. Und doch sind es keine Villen. Es sind Einfamilienhäuser mit Trampolinen. Besser als Durchschnitt. Es gibt mehr Aussicht, mehr Läden, mehr Beizen und mehr Kultur. Und einen grössenwahnsinnigen Namen. Gross-Höch-Stetten. Gross und hoch in einem Namen, wo gibt es das schon?
«Sportmoderator Matthias Hüppi kann den Namen des Dorfes nie richtig aussprechen», sagt Heierli und schmunzelt. Auf Hochdeutsch sei das Wort ein Zungenbrecher. Vielleicht sei es der lustige Name, der für Komiker anziehend wirke. «Grosshöchstetten klingt nach etwas, das hat Rhythmus», bestätigt Anna Katharina Rickert von Schön & Gut, die eigentlich gar nichts verraten wollte.
Das «Gross» wurde erst Ende des 19. Jahrhunderts Teil des Ortsnamens, vorher war es Höchstetten. Seit damals hat sich die Gemeinde einwohnermässig stärker entwickelt als die Nachbarn. Grosshöchstetten ist zum Regionalzentrum geworden. Hier befinden sich die Sekundarschule, das Hallenbad, das Altersheim, der Markt und vier grosse Landbeizen.
Mehr Kultur
Wir landen wieder beim Dreh-und Angelpunkt des Dorfes. Mitte der 90er-Jahre gab es zunächst Widerstand gegen den Kreisel, der den Durchgangsverkehr bändigen sollte. Doch den Plänen des Kantons konnte die lokale Unterschriftensammlung nichts anhaben. 1998, das Bauwerk stand inzwischen, schrieb der Kanton den Grosshöchstettern vor, die Bärenskulptur aus dem Kreisel zu entfernen. Das sei keine Kunst.
Womit wir wieder beim Kamel im Kreisel wären. Die Produktionen von Schön & Gut haben immer wieder Geschichten aus Grosshöchstetten vorweggenommen. Vielleicht, weil sie symptomatisch sind für viele Dörfer. In «Schönmatt» ging es um eine Fusion – allerdings mit Konolfingen. «Wenn wir jeweils in Cacis Mühle auftreten, meinen die Leute, wir hätten das Stück extra für Grosshöchstetten umgeschrieben», sagt Anna Katharina Rickert.
Ja, die Mühle Caci. Sie befindet sich ganz unten im Dorf. Ein italienischer Einwanderer und eine Worberin haben die Kultur nach Grosshöchstetten gebracht: Salvatore und Magdalena Caci. Vor gut zehn Jahren konnten sie die alte Mühle billig kaufen. Dort hatte sich zuvor das Fettlager einer Grossmetzgerei befunden. Es stank, niemand wollte dort wohnen. Die beiden Künstler – er arbeitet mit Eisen, sie mit Keramik – verwandelten den Ort in ein Paradies. Sie erstellten Atelierräume für Künstler, gaben einen Teil an den Kulturclub Kühltür ab, der seither regelmässig Konzerte veranstaltet, und richteten Cacis Mühle ein.
«Grosshöchstetten ist Durchschnitt», sagt auch Einwanderer Caci. Das ist als Kompliment gemeint, denn Caci fühlt sich wohl im Dorf. Allerdings dauere es lange, bis man im Dorfleben drin sei. «Wenn man aber drin ist, ist es sehr herzlich in Grosshöchstetten.»
Ein letzter Aufstieg zum Kreisel. Der Güggelistand packt ein. Nächsten Mittwoch wird er wieder hier sein. Es gibt Dinge, auf die ist Verlass. Es gibt Orte, auf die ist Verlass. Und es gibt Grosshöchstetten. Mittelmass – nur ein bisschen besser.
Schön & Gut:
Nächster Auftritt am Samstag, 13. Mai, 20.30 Uhr, Alte Moschti Mühlethurnen. Alle Folgen von «Experiment Schneuwly»sind auf www.srf.ch aufgeschaltet.