Grosshöchstetten - Schule, Gemeinde, Elternhaus – wer hat das Sagen?

«Wenns um die Schule geht, können alle als Experten mitreden», sagt der Volksmund. Stimmt das? In einer ­Podiumsdiskussion in Grosshöchstetten wurde erörtert, wer wozu was zu sagen hat.

Jakob Hofstetter / Wochen-Zeitung
«Unzählige Reformen – verhaltens­auffällige Schüler – schwierige Übertrittsentscheide – geschockte Eltern – überforderte Lehrkräfte und Schulleitungen – hilflose Behörden. In der Schule ist das Feuer im Dach.»

Mit diesen Schlagworten lud die BDP oberes Kiesental ein zur Podiumsdiskussion rund um die Schule. «Gemeinde, Schule und Elternhaus – wer hat das Sagen?», lautete das Thema. Das Sagen hatten an diesem Abend vornehmlich Fachleute im Bildungswesen: Bernhard Pulver, Erziehungsdirektor, Marco Ferrari, Gerichtspräsident und Elternberater bei Schulübertritten, Hansruedi Leuenberger, Schulkommissionspräsident in Bowil sowie Daniel Haudenschild, Schulleiter am Oberstufenzentrum Konolfingen.

Was ist ein guter Lehrer?

Als Einstiegsfrage wollte Jüre Lehmann, Moderator und Programmleiter bei «Neo1», von den Experten wissen, was ein guter Lehrer sei. Die Antwort war ziemlich übereinstimmend und kann wie folgt zusammengefasst werden: «Eine gute Lehrperson zeichnet sich dadurch aus, dass die Kinder gerne zur Schule gehen; dafür braucht es gegenseitiges Vertrauen.» Wertschätzung und Vertrauen sind Begriffe, die sich wie ein roter Faden durch den Abend zogen. Nicht nur für das Schüler–Lehrerverhältnis wurden Vertrauen und gegenseitige Wertschätzung als tragende Basis erwähnt, sondern auch für das Miteinander der übrigen Akteure wie Eltern, Schulleitung und Behördemitglieder.

Es ging auch um Bildungspolitik, um Reformen, um Klassengrössen, um Lehrergehälter und somit ums Geld. Erziehungsdirektor Bernhard Pulver betonte, dass der Kanton den Gemeinden grossen Spielraum lasse, wie sie ihre Schule gestalten wollten. «Was für die Gemeinde Belp richtig ist, entspricht in Schangnau vielleicht keinem Bedürfnis.»

Kanton soll Verantwortung wahrnehmen
Schulleiter Daniel Haudenschild sieht diese Entwicklung nicht nur positiv. Die Umsetzungshilfen zum revidierten Volksschulgesetz würden den Gemeindevertretern eine sehr viel grössere Verantwortung übertragen als bisher. «Die Schulkommissionen sollen mittelfristig ersatzlos gestrichen werden, die Bedeutung des Gemeinderates in Fragen der Schule wird somit zunehmen. Wo hier der Einfluss des Kantons, der Erziehungsdirektion und der Inspektorate bleibt, ist mir persönlich noch schleierhaft», so Haudenschild. Es brauche zwingend eine engere Zusammenarbeit zwischen Behörden und Schulen als bisher, gestand er ein. Aber: «Die Schule darf nun auch mit dem neuen Filag keinesfalls zum Spielball der Gemeinden verkommen.» Der Kanton dürfe sich nicht aus der Verantwortung ziehen und müsse ein wichtiger Player im Bildungsbereich bleiben.

Auch die Eltern haben das Sagen

Thematisiert wurde auch die Rolle der Eltern. Sie würden zum Lernerfolg der Kinder mindestens so viel beitragen wie die Lehrkräfte, wurde gesagt. «Ich freue mich immer, wenn Eltern sich für das, was in der Schule läuft, interessieren. Aber wie viel Mitspracherecht ist angebracht? Und wer alles soll sich in die Debatte um die Schulqualität einmischen?», stellte Haudenschild die Frage. «Ich persönlich erteile längst nicht allen Eltern die Legitimation, die Qualität der Schule zu beurteilen, weil zu oft ausschliesslich persönliche Interessen im Vordergrund stehen und an der Schulentwicklung als Ganzes wenig Interesse gezeigt wird.» Sein Fazit: «Elternmitsprache ja gerne, aber professionell organisiert und ausgerichtet an einer Feedbackkultur mit positiven wie negativen Rückmeldungen.»

Im Zweifelsfall für den Sek-Übertritt

Zu unliebsamen Diskussionen kommt es nicht selten, wenn es um den Sek-Übertritt der Realschülerinnen und -schüler geht. Im Kanton Bern würden trotz klarer und identischer gesetzlicher Vorgaben bei Schulübertritten von Gemeinde zu Gemeinde zum Teil massive Unterschiede bestehen, sagte Marco Ferrari. Ob ein Kind in die Real- oder in die Sekundarschule eingeteilt werde, hänge nicht nur von seinen Leistungen und seinem Arbeits- und Lernverhalten ab, sondern auch davon, wo es wohne. Im Extremfall sei seine Chance auf einen Platz in der Sek bis zu 20 mal grösser oder kleiner. Bezüglich Leistung sei lediglich bei einem Drittel der Kinder eindeutig klar, in welches Niveau sie gehören würden. Bei zwei Dritteln müsse man von Grenzfällen reden. Wozu sind denn die Noten?

«Die Aussagekraft von Noten ist sehr begrenzt», sagt Ferrari, und beruft sich dabei auf wissenschaftliche Studien. «Noten geben kein klares Urteil, weder was ein Schüler kann, noch wo er steht, und schon gar nicht ist mit ihnen eine zuverlässige Prognose möglich, was aus ihm wird.» Alle wissenschaftlichen Daten würden dafür sprechen, motivierte Kinder, die als Grenzfälle gelten würden, für ein Probesemester in die Sekundarschule einzuteilen. «Es gibt viele Realschüler, die in der Sek mehr leisten würden und deren Selbstwertgefühl unter der Einteilung leidet.»

Daniel Haudenschild gab zu bedenken, dass auch eine allfällige Rückweisung nach dem Probesemester für die Betroffenen sehr hart sein könne.

Gut zweieinhalb Stunden dauerten die Vorträge und Diskussionen mit Einbezug des Publikums. Dann wurden die Eltern mit der augenzwinkernden Aufforderung entlassen, ihre Verantwortung wahrzunehmen und dafür zu sorgen, dass ihre Kinder am Morgen gut genährt und ausgeschlafen zur Schule kämen.

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Erstellt: 25.11.2010
Geändert: 25.11.2010
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