Gegensätze: Zwei wie Feuer und Eis

Beim einen kann es schon mal 50 Grad heiss werden, beim andern sind minus neun genau richtig. Ein Eisenplastiker und ein Eisskulpturschnitzer treffen sich.

Martin Burkhalter, Berner Zeitung BZ
Die alte Produktionshalle der Verzinkerei Worb ist Roger Bertschs Werkstätte. Der Metallgarten, wie er die Halle nennt, ist aber auch eine Art Museum. Auf einem Gestell, das die ganze hintere Wand einnimmt, sind etwa ein Kontrabass, eine Schaufensterpuppe mit Hut auf einem ­Mofa, eine ausrangierte Spielkonsole und etliche Kisten mit ­alten Flugzeugteilen auszumachen. «Industriegeflüster» nennt Bertsch seine Sammlung.

«Sie können Restaurator und Eisenplastiker schreiben», sagt er über sich. «Gelernt habe ich vor 35 Jahren Metallbauschlosser. Seit 24 Jahren bin ich freischaffend.» All die Gegenstände brauche er vor allem als Spickzettel für seine Arbeit. Neben eigenen Kunstprojekten übernimmt Bertsch Restaurierungen von Denkmälern - vor kurzem etwa jene des Max-Fueter-Brunnens auf der Grossen Schanze.

Im Metallgarten findet sich aber nicht nur Aussrangiertes. In der weiten Halle hinter dem Worber RBS-Bahnhof stehen Skulpturen aus Eisen, Stahl und Bronze herum, es gibt aus alten Heu­gabeln geformte Kerzenständer, eine alte Spindelpresse, eine Schmiedeesse und allerlei Werkzeuge. Hier in seiner Werkstätte trifft Roger Bertsch auf einen Mann, der vom Metier her auch Künstler und Handwerker ist, der aber mit ganz anderem Material zu tun hat. Er heisst Ruedi Anken und kommt aus Uebeschi. Er ist hauptberuflich Möbelschreiner und Holzbildhauer. Im Winter aber schnitzt und sägt er an Eis herum. Er arbeitet für die Firma Ice-Factory in Uetendorf. Für Firmenanlässe und andere Events verwandelt Anken Eisklötze in ganze Bartresen, in lebensgrosse Firmenlogos oder eindrückliche Skulpturen.

Gleich per Du

Schon zu Beginn des Treffens diskutieren die beiden Handwerker eifrig über die Herausforderungen und Feinheiten in ihren Berufen. Schon nach wenigen Minuten sind sie per Du. In vielem gleicht sich ihre Arbeit, doch in Grundsätzlichem unterscheidet sie sich. «Eines fällt mir gleich auf», sagt Eisenplastiker Roger Bertsch. «Bei deiner Arbeit nimmst du weg, ich aber nehme nichts weg, ich forme meine Motive aus Bestehendem neu.» Anken stimmt dem zu und erzählt, wie er jeweils mit dem Schneestaub zu kämpfen hat, der entsteht, wenn er etwa feine Verzierungen in das Eis sägt.

«Ich bewundere dich dafür», fügt Bertsch an, «dass du damit umgehen kannst, dass deine Arbeit gleich wieder vergeht. Was ich mache, bleibt. Jahrzehntelang! Dein Werk schmilzt einfach weg.» Für Anken ist das kein Problem. «Ich bringe da immer das Beispiel mit dem Koch», sagt er. «Der gibt sich auch grosse Mühe, etwas Wunderschönes zu kreieren, das dann einfach gegessen wird.»

Immer neue Werkzeuge

Was in Bertschs Halle auch auffällt, sind die vielen Werkzeuge. Für gewisse Aufträge müsse er zuerst einmal das richtige Werkzeug kreieren, um an die Arbeit gehen zu können, sagt er. Deshalb hängen hinter dem Ofen an die fünfzig verschiedene Feuerzangen, dazu etliche Spalt-, Loch- und Vorschlaghämmer.

Einen Hammer braucht Ruedi Anken nicht, um sein Material zu bearbeiten. «Das Eis verträgt keine Schläge», sagt er. Seine Hilfsmittel sind etwa zehn verschiedene Schnitzwerkzeuge, zwei kleine Fräsmaschinen und eine Kettensäge. Und ab und zu greift er auch zum Bügeleisen.

Wenn Eisenplastiker Bertsch an die Arbeit geht, macht er als Erstes ein Feuer mit Schmiedekohle aus dem Ruhrgebiet. «Die findet man nur 500 Meter unter der Erde», sagt er. «Das ist meine Energie.» Und zu Anken: «Bei dir ist es das Wasser. Wir beide nehmen unsere Energie aus der Natur.» Nur mit der Schmiedekohle erreicht Bertsch die Hitze, die er benötigt. «Zwischen 400 und 800 Grad braucht es, um das Eisen zu verformen», sagt er.

Im Skianzug an der Arbeit

Von ganz anderen Temperaturen spricht Ruedi Anken. «Frisch aus dem Gefrierfach hat das Eis eine Temperatur von minus 20 Grad», sagt er. «Das ist aber zu kalt.» Ideal seien minus 7 bis minus 9 Grad. «Wichtig ist zudem, dass die Temperatur stabil bleibt, sonst bekommt das Eis Risse.» Deshalb ist Ruedi Ankens Werkstätte ein Gefrierraum der Ice-Factory. Bei minus 9 Grad müsse man sich warm anziehen. So geht er jeweils im Skianzug an die Arbeit, inklusive Stirnband.

Roger Bertsch wiederum trägt seine Arbeitskleidung nicht wegen der 50 Grad, die um den Schmiedeofen herrschen können, sondern um sich vor der Glut zu schützen: Zumindest eine lederne Schmiedeschürze und Sicherheitsschuhe sind unabdingbar.

Etwas Grundsätzliches verbindet die beiden trotzdem. «Als ich vor sechs Jahren mit dem Eisschnitzen anfing, hatte ich keine Ahnung davon», sagt Ruedi Anken. «Ich wusste nur, es geht ­irgendwie.» Bertsch kennt das: «Oft bleiben bei mir Projekte lange liegen, bis ich überhaupt weiss, wie ich sie angehen soll.»

Fehler gefunden?
Statistik

Erstellt: 09.01.2016
Geändert: 09.01.2016
Klicks heute:
Klicks total: