Fussball - In Etage zwei

Michael Frey, vor sechs Wochen noch YB- und U-21-Stürmer, ist gestern zum ersten Mal in ein Vorbereitungscamp der A-Nationalmannschaft eingerückt.

Moritz Marthaler, Berner Zeitung BZ

Alles ist neu, oft grösser, meist hektischer – und immer anders. Noch vor sechs Wochen, da stand Michael Frey für YB im Cup gegen Bavois auf dem Platz, nach dem knappen 1:0-Sieg gegen den Erstligisten meinte er: «Hauptsache ist: eine Runde weiter.»

Am Montagmorgen steht Frey nun vor dem Hotel Panorama in Feusisberg, rundherum trudeln gestandene Nationalspieler wie Valon Behrami oder Gökhan Inler ein, und doch ist es der Herbstzuzug des OSC Lille, der frischgebackene Ligue-1-Stürmer, der in diesem Moment das grösste Medieninteresse generiert.

Am Freitag gab Nationaltrainer Vladimir Petkovic sein Aufgebot für die EM-Qualifikationspartien gegen Slowenien und San Marino bekannt. Darin figurierten zwei Neulinge, beide spielen sie in der Ligue 1, nebst Frey feiert François Moubandje, Verteidiger bei Toulouse, früher bei Servette, seine Premiere im Nationalteam. «Mein Berater rief mich am Freitag an, natürlich hatte ich eine Riesenfreude und musste das sofort allen mitteilen», erzählt Frey.

«Nicht so mein Ding»

Der 20-Jährige verkommt im Wechselgespräch mit den Medien beinahe zum Kommentator, übernimmt phasenweise den Lead, er tut das mal ausführlich, mal trocken, mal ernst und mal witzig, immer frisch von der Leber weg. Sätze wie «Ich muss mich jetzt neu beweisen» oder «Ich dachte nie, dass es so schnell ginge» scheinen einem Repertoire zu entstammen, welches in der Fremde Frankreichs stetig wachsen dürfte.

Hie und da aber dringen sie wieder durch, die Momente, in denen Frey spricht wie möglicherweise einst auf dem Hartplatz in Münsingen, wo er mit Roman Bürki – Schweizer Nationalgoalie Nummer zwei – bereits als Fünfjähriger kickte. «Der Unterschied zwischen YB und Lille? Dort verstehe ich niemanden», gibt Frey etwa zum Besten, «Französisch war in der Schule nicht so mein Ding.» 35 Tage war Frey nun in Lille, wo er in fünf Meisterschaftsspielen immer eingesetzt wurde, dreimal von Beginn weg, zweimal von der Bank aus, bislang noch ohne Torerfolg. Trainer René Girard scheint also auf ihn zu bauen, «und ich bin ja erst daran, mich durchzusetzen».

Der kräftige Stürmer zeigt sich beeindruckt vom physischen Niveau der Liga, «jeder Zweikampf ist härter, du kannst dir keine Fehler erlauben». Schneller, härter, grösser – anders. Beim Spitzenklub Lille (momentan auf Rang 4) muss sich Frey die Sporen abverdienen, in der Nationalmannschaft erst mal hinten anstehen. Für die kommenden Spiele ist er hinter Haris Seferovic und Josip Drmic, aber auch Admir Mehmedi vor allem als Back-up vorgesehen – das sind grössere Namen als bei YB, solche vom Kaliber in seinem Klub Lille.

Lille gefällt

«Sich zu beweisen, das gehört zu diesem Geschäft», sagt Frey überzeugt. Seit der U-15 spielt der Angreifer für die Schweiz, in den allermeisten Auswahlen war er ein Leistungsträger. In Lille zieht Frey bald in seine erste eigene Wohnung ein. Bis anhin lebte er noch bei seinen Eltern in Münsingen, am Sonntagabend nächtigte er nach langer Zeit mal wieder dort, «ein schönes Gefühl». Aber Frey scheint Gefallen an seinem grossen Schritt gefunden zu haben. «Lille ist sauber, die Menschen sind jung und freundlich, man merkt, dass es eine Studentenstadt ist», erzählt Frey von seinem neuen Lebensmittelpunkt und gerät beinahe ein wenig ins Plaudern. Dann aber schaltet er um, die Sätze werden wieder knapper, kürzer. Er hat dazugelernt. Frey ist aufgestiegen im Profifussball, Frey ist in Etage zwei.

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Erstellt: 07.10.2014
Geändert: 07.10.2014
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