Freimettigen - Wo Ostern schon im Februar angefangen hat
Hoch über Konolfingen steht eine der modernsten Anlagen für Legehennen. Tag für Tag legen die gut 12 000 Hühner über 11 000 Eier, ehe sie nach einem Jahr im Dienst auf der Schlachtbank landen.
«Ich hoffe, Sie sind nicht heikel», sagt Marc Keller, bevor er die Tür zur grossen Halle aufmacht. Keller führt gemeinsam mit seinem Vater in Freimettigen einen der modernsten Legehennenbetriebe der Schweiz. Die zwei zusammengebauten Ställe sieht man schon von weitem. Knapp 80 Meter lang ist das Gebäude, das idyllisch am Waldrand oberhalb von Konolfingen liegt.
Im Stall erwarten uns 6118 Hühner. «Auf der anderen Seite sind es noch einmal so viele», sagt Keller. Das Klima ist trotz Stallgeruch überraschend angenehm. Nach Kellers Bemerkung vor dem Eintreten hätten wir eine staubig-stickige Hitze erwartet. Doch die Lüftung tut ihren Dienst. In der Halle ist das Licht gedimmt; das Huhn sei in der Wildnis ein Waldbewohner, erklärt Keller. Und gutes Klima und frische Luft seien Grundvoraussetzungen dafür, dass die Hennen leistungsfähig blieben.
Dass Keller die Produktivität seiner Tiere anspricht, sagt viel über die Art des Unternehmens. Einerseits handle es sich zwar schon noch um Landwirtschaft, andererseits habe es auch etwas Industrielles, sagt Keller selber über den Betrieb. Vieles läuft hier vollautomatisch: Spiralen drehen das Futter in die Tröge, wo es von einer Kette über die ganze Länge verteilt wird. Wasser erhalten die Hühner über eine sogenannte Nippeltränke. Und der Hühnermist fällt durch ein Gitter direkt auf ein Förderband. «Was mit dem Mist weiter passiert, zeige ich später», verspricht Keller.
Wenn um 3 Uhr der Alarm losgeht
Am eindrücklichsten ist aber das Einsammeln der Eier. Den Hühnern stehen zum Legen Nester zur Verfügung, mehrstöckige Abteile, bei denen herabhängende rote Plastikvorhänge für etwas Privatsphäre sorgen. Morgens um drei, wenn in der Halle das Licht angeht und damit für die Hennen der Tag anbricht, werden die Nester automatisch geöffnet. Sollte das einmal nicht passieren, geht bei Kellers der Alarm los. «Das Huhn hat den Drang, ein Ei zu legen», sagt Keller, «wenn wir ihm das Nest nicht rechtzeitig bereitstellen, legt es das Ei irgendwo in der Halle.» So aber müssen der Landwirt, sein Vater, ein Lehrling und die beiden Teilzeitangestellten täglich nur zwischen 30 und 50 Eier von Hand einsammeln. Die restlichen Eier – Tag für Tag über 11 000 – kugeln aus den Legeboxen über schräge, mit Teppich belegte Böden direkt auf ein Förderband. «Wenn wir am Morgen um sieben das Förderband anwerfen, ist es weiss vor lauter Eiern», sagt Keller.
Über ein Fördersystem werden die Eier dann bis zur Kontrollstation transportiert. Hier zählt ein Sensor die tägliche Produktion. Auch die Futter- und Wassermenge werden vom Computer überwacht. So überprüfe man, dass es den Tieren gut gehe, erklärt Keller. Trotz der hohen Automatisation hat er in der Regel eine 65-Stunden-Arbeitswoche.
Am Nachmittag gibts Auslauf
Dann ist Handarbeit gefragt. Schmutzige Eier müssen gereinigt und solche, die nicht dem Standard entsprechen, aussortiert werden. Diese vermarkten Kellers privat. Alle anderen werden vom Roboter auf 30er-Paletten geladen und gestapelt. Im Kühlraum warten sie dann darauf, vom LKW abgeholt zu werden. Den Stempel mit dem Legedatum erhalten sie erst beim Zwischenhändler, der Ei AG, ehe sie in Eierkartons verpackt im Coop-Regal landen. Vom Verkaufspreis der Naturafarm-Freiland-Eier von rund 60 Rappen geht ungefähr die Hälfte an den Produzenten.
Freiland? Bisher hat Keller uns erst Tausende Hühner in der Halle gezeigt. Ab 10 Uhr morgens haben die Hennen Zugang zu einem Frischluftbereich, und am Nachmittag dürfen sie auf die Weide. Ab 17 Uhr gehts zurück in den Stall. Auf der grossen Weide tummeln sich nur geschätzt 100 Tiere. Wegen der Vogelgrippe habe für die Hühner lange Stallpflicht gegolten, erklärt Keller, deshalb seien sie noch nicht daran gewohnt, die Weide zu benutzen.
Die ethische Seite des Eis
Scharrende Hühner, saftiges Gras und am Horizont die Stockhornkette. Die Szene verbreitet Agrarromantik. Wäre da nicht das Wissen, dass die Tage dieser Hühner gezählt sind. «Zwischen Ostern und Sommer werden in der Schweiz rund 70 Prozent der Legehennen geschlachtet», sagt Keller. Der Zeitpunkt ist so gewählt, dass die beiden wichtigsten Termine für die Eierproduzenten, Ostern und Weihnachten, nicht tangiert werden.
Bereits im Februar beginnt das Ostergeschäft; nur so kann die enorme Nachfrage nach Eiern gedeckt werden. Der Markt sei zu Ostern und Weihnachten trotzdem jeweils leer gekauft, sagt Keller.
Die Tiere bleiben weniger als anderthalb Jahre auf dem Hof in Freimettigen. Die angelieferten Küken werden zuerst 18 Wochen lang aufgezogen und verbringen dann ein Jahr mit Eierlegen, ehe sie im Schlachthof landen, weil ihre Produktivität abnimmt. Auch das gehöre zum Ei, sagt Keller nachdenklich.
Nicht nur als Produzent, sondern vor allem auch als Konsument müsse man sich mit diesen ethischen Fragen befassen. Damit etwa, dass schweizweit fast ein Drittel der Legehennen nach dem Schlachten zu Biogas werden, weil sie beim Konsumenten nicht gefragt sind, da sie im Gegensatz zu den Masthennen nur wenig Muskelfleisch ansetzen und dieses zudem weniger zart ist. Oder damit, dass männliche Küken gleich nach dem Schlüpfen getötet werden.
Bei Kellers wird jedes Huhn, das geschlachtet wird, weiterverwendet. Ob als Suppenhuhn, Hühnerbouillon, Charcuterie oder Tierfutter, kann der Landwirt nicht sagen. Den Abtransport, das Schlachten und den Vertrieb übernehme eine Branchenorganisation. Immerhin sei heute das Suppenhuhn wieder gefragter, sodass die Tiere derzeit kostenlos abgeholt würden. Früher, so Keller, hätten sie dafür noch bezahlen müssen.
Das ist umso makaberer, wenn man dann noch erfährt, dass der Mist im Gegensatz dazu äusserst begehrt ist. Kellers trocknen ihn mit der Abluft aus den Ställen und pressen ihn zu Pellets. 190 Tonnen Pellets pro Jahr. Der Mist sei als Dünger so gefragt, sagt Keller, «dass wir für Pellets eine Warteliste haben». Derzeit prüfen Kellers ein Verfahren, mit dem auch die Federn zu Dünger verarbeitet werden könnten. «Uns ist es ein Anliegen, möglichst das ganze Huhn zu verwerten.» Das sei man dem Tier schuldig.
Eier Ein ungleicher Markt
Schweizerinnen und Schweizer essen pro Jahr rund 170 Eier. Knapp 60 Prozent davon kommen aus dem Inland. Gelegt werden sie in über 10 000 Betrieben. Auf der Produzentenseite ist der Markt damit enorm fragmentiert. Selbst bei den grösseren Legebetrieben gibt es immer noch fast 400 verschiedene Unternehmen. Ihnen gegenüber steht ein stark konsolidierter Zwischenhandel, den fünf grosse Anbieter dominieren. Marktführerin ist die zur Berner Bauerngenossenschaft Fenaco gehörende Eico mit einem Marktanteil von fast 18 Prozent. Die Ei AG, zu deren Lieferanten auch Kellers aus Freimettigen gehören, ist die Nummer zwei. (stü)