Enggistein - Im Durchgangsheim weht ein neuer Wind
Wenn das Durchgangszentrum Enggistein wieder eröffnet wird, weht ein neuer Wind: Die Heilsarmee-Flüchtlingshilfe bleibt draussen.
Stephan Künzi / Berner Zeitung BZ
Heute sind die Grenzen klar gezogen. Im Nordwesten des Kantons führt die Organisation Asyl Biel und Region die grossen Asylunterkünfte, in der Mitte ist die Heilsarmee-Flüchtlingshilfe und im Südwesten die Asylkoordination Thun zuständig. Die Ausnahme bildet die Stadt Bern, wo die ORS Service AG vom kantonalen Migrationsdienst diese Aufgabe übernommen hat.
Schon bald ist der Kanton nicht mehr so klar aufgeteilt, denn Anfang August geht das Durchgangszentrum in Enggistein bei Worb wieder auf. Ende Februar hatte der Migrationsdienst die Unterkunft wegen gravierender baulicher Mängel geschlossen – nun, da sie neu eröffnet wird, trägt nicht mehr die Heilsarmee-Flüchtlingshilfe die Verantwortung, sondern Asyl Region Biel. Auf der Berner Asylkarte stossen die Seeländer in ein für sie bislang fremdes Gebiet vor.
Wieso es so weit gekommen ist? Iris Rivas äussert sich zurückhaltend. Die Chefin des kantonalen Migrationsdiensts betont, dass der Wechsel in Enggistein nichts mit all den offenen Fragen rund um die Rechnungsführung der Heilsarmee-Flüchtlingshilfe zu tun habe (siehe Text oben). Der Grund liege vielmehr bei Liegenschaftsbesitzer Jürg Reusser. Dieser wolle das Zentrum nicht mehr an die bisherigen Betreiber vermieten.
Und: Dass letztlich Asyl Biel und Region den Zuschlag erhalten habe, liege daran, «dass wir mit ihnen einen Rahmenvertrag für mehrere Zentren abgeschlossen haben». Nur so sei es möglich gewesen, die Modalitäten für die Führung der Unterkunft unkompliziert zu regeln. In einer Zeit knapper Plätze sei es wichtig gewesen, in Enggistein möglichst rasch wieder Asylbewerber aufnehmen zu können.
Mit der ORS Service AG dagegen hat der Kanton nur einen spezifischen Vertrag für das Zentrum Hochfeld in der Stadt Bern abgeschlossen. Dass die private Firma in Enggistein nicht zum Zug gekommen ist, hat deshalb nichts mit dem politischen Wirbel der letzten Tage zu tun, wie Iris Rivas versichert. Erst vorgestern war sie von links-grünen Aktivisten für die Zustände in der unterirdischen Anlage scharf kritisiert worden.
Wieder einen Rahmenvertrag gibts mit der Asylkoordination Thun, und so kommen die Oberländer in Enggistein am Rand auch noch zum Zug: «Sie unterstützen ihre Kollegen von Asyl Biel und Region.»
Draht nicht mehr gefunden
Jürg Reusser bestätigt, dass er mit der Heilsarmee-Flüchtlingshilfe nichts mehr zu tun haben will. Der Vermieter hat sich mit seiner einstigen Mieterin gründlich überworfen. Diese stellte Ende Februar die Zinszahlungen sofort ein und kündigte gleichzeitig den Mietvertrag mit einer ordentlichen Frist von sechs Monaten per Ende August. In der Folge fanden beide Seiten den Draht zueinander nicht mehr.
Er hätte die bisherige Mieterin zwar schon behalten, fährt Jürg Reusser fort. Mit diesem Ziel habe er ihr trotz des ausstehenden Geldes einen neuen Vertrag unterbreitet. Die Vorstellungen über den künftigen Mietzins seien aber sehr weit auseinander gelegen. Die Mieterin habe den Entwurf für den neuen Vertrag sogar zum Anlass genommen, das bisherige Verhältnis fristlos aufzulösen.
Paul Mori ist der Geschäftsleiter der Heilsarmee-Flüchtlingshilfe, und er redet vom grossen Schaden, der mit der sofortigen Schliessung des Zentrums einhergegangen sei. Von einem Tag auf den andern seien für den Betrieb in Enggistein keine Einnahmen mehr geflossen, die Löhne für die Angestellten dagegen hätten mindestens drei Monate lang weiter gezahlt werden müssen. Apropos Angestellte: Einen Teil, fährt Paul Mori fort, habe man intern weiter beschäftigen können, einen Teil habe man aber auch entlassen. «Ihnen zahlen wir in der Regel aus einem Sozialfonds die Differenz zwischen dem bisherigen Lohn und dem, was die Arbeitslosenkasse zahlt.»
Die Mieten, fügt Paul Mori noch an, seien im Übrigen nur zurückgestellt. In einem Rechtsverfahren werde nun zu klären sein, «wer genau wem was schuldet».
Zwanzig Plätze mehr
Jürg Reusser weist derweil noch darauf hin, dass er in den letzten Monaten das Zentrum auf Vordermann gebracht hat. Für gegen 300'000 Franken habe er unter anderem den Brandschutz verbessert, die Küche saniert, die Zimmer gestrichen und etliche Basteleien aus den Zeiten der bisherigen Mieterin rückgängig gemacht. Nun lasse er noch die Fassade sanieren – Abklärungen hätten ergeben, dass die Statik trotz der Risse in Ordnung sei.
Zudem ist das Zentrum nun etwas grösser, satt 120 kommen neu 140 Asylbewerber in Enggistein unter. Der Kanton will vorab Frauen und Familien mit Kindern aus den unterirdischen Anlagen hierher verlegen. Das umstrittene Zentrum Hochfeld wird damit kaum überflüssig. Zu gross ist der Zustrom an Asylbewerbern, und: «Wir haben, Stand gestern Abend, kantonsweit keinen einzigen freien Platz mehr», so Iris Rivas.