Enggistein - Flüchtlingskinder feiern mit Schweizer Schülern
Kinder von Asylbewerbern und einheimische Schüler bestritten zusammen die Weihnachtsfeier. Den Flüchtlingskindern bot sich so die Gelegenheit, ihre Ängste und die Sehnsucht nach der Heimat zu vergessen.
Zuerst tönt es ungewohnt im Dachraum der Schule Enggistein: «Masa elcheer», sagt ein Kind, «Kemey amiskum» ein anderes und «Mir menqesi» ein drittes. Zuletzt wird klar, was es heisst: «Guete-n-Abe», sagt ein Mädchen zuletzt. Die Schülerinnen und Schüler begrüssen die Gäste der Feier in acht Sprachen: auf Arabisch, Tigrinisch, Albanisch, Tamilisch, Kurdisch, Bengalisch, Deutsch und Berndeutsch.
Die Enggisteiner Kinder und diejenigen aus dem Durchgangszentrum für Asylbewerber feiern gemeinsam Weihnachten. Wobei die christliche Tradition fast nur im Namen des Anlasses vertreten ist. Kerzen, Tannenbaum oder Krippenspiel sucht man vergebens, denn viele der Kinder sind nicht Christen.
Trotzdem lehnt sich der Anlass an die weihnächtliche Tradition der Schweiz. Die 4- bis 15-Jährigen haben nämlich Güetzi gebacken. Bei ihrem Auftritt auf der Bühne tragen sie weisse Bäckermützen und singen inbrünstig: «In der Weihnachtsbäckerei gibt es manche Leckerei.»
Die Feier der Enggisteiner Schule ist die dritte mit Schweizer und Ausländerkindern. Die Klassen mit «Deutsch als Zweitsprache» gibt es im Worber Aussendorf erst seit zweieinhalb Jahren (siehe unten). Auch diesmal leuchten die Kinderaugen beim Gesang und beim Aufsagen der Samichlausverse. Bunt gemischt sind auch die Besucher: Schweizer stehen neben Afrikanern, Syrer neben Menschen aus Sri Lanka und Kosovo.
Nach kurzer Zeit Deutsch
Die Kinder aus dem Ausland freuen sich besonders über die Feier. «Ich singe gerne, am liebsten ‹In der Weihnachtsbäckerei›», erzählt Sajda (14) aus Syrien. Seit acht Monaten lebt sie in Enggistein und spricht schon recht gut Deutsch. Genau wie Walaa (13), die gerne Sitzball spielt. Die Schule gefalle ihm, sagt auch Abdullah (14), «weil ich dort Deutsch lernen kann». Sein syrischer Mitschüler Anas (13) liebt Turnen und Mathematik. Seit knapp einem Jahr lebt er mit der Mutter und fünf Geschwistern im Durchgangszentrum.
In den speziellen Deutschklassen sind verschiedene Religionen vertreten. «Eigentlich spielt das im Unterricht keine Rolle», sagt Lehrerin Anja Vázquez. Darüber gesprochen wird aber schon, auch im Zusammenhang mit Weihnachten. Gerade erst wurde in der Klasse zudem das Haus der Religionen in Bern zum Thema. «Die Schüler haben gestaunt, dass es bei uns ein Haus gibt, wo Leute verschiedenster Religionen ein- und ausgehen.»
Traumatisierte Kinder
Anja Vázquez und ihre Kollegin Rahel Farine vermitteln den ausländischen Kindern in Enggistein nicht nur die deutsche Sprache, sondern führen sie in verschiedensten Bereichen auch an die schweizerische Alltagskultur heran. «Die Arbeit ist sehr vielseitig, das gefällt mir», sagt Rahel Farine.
Beim Kanton herrsche eine gewisse Hilflosigkeit, stellt Schulleiter Markus Schaller fest. «Wir haben den Wunsch für eine Beratungs- und Koordinationsstelle in diesem Bereich bei der Erziehungsdirektion deponiert.» An der Weihnachtsfeier leuchten die Gesichter der Kinder aber vor Freude und Begeisterung. Nach einem weihnächtlichen Rap und der «Jingle Bells»-Übersetzung «Zimetstärn hani gärn» wünschen sie auf Englisch fröhliche Weihnachten. Und zuletzt dürfen sie noch einmal ihren Favoriten singen: «In der Weihnachtsbäckerei.»
[i] Asylbewerber
Bis 2012 lebten im Durchgangszentrum in Enggistein nur selten Familien. Kinder besuchten damals die Regelklasse der Schule. Nach der Schliessung des Zentrums und der Renovation wurde es im Sommer 2012 wieder eröffnet – für Flüchtlingsfamilien. Deshalb wurden zusätzliche Klassen für Kinder mit Deutsch als Zweitsprache geschaffen.
In Enggistein werden drei solche Klassen mit total 34 Schülern geführt. Das Durchgangszentrum besteht seit über 20 Jahren. Aktuell sind dort 120 Personen untergebracht.