Rückkehrzentrum: Familien wollen nicht nach Enggistein

Die Familien, die ins neu eröffnete Rückkehrzentrum im Gutshof  Enggistein ziehen sollen, wehren sich: Ihre Kinder sollen nicht schon wieder die Schule wechseln müssen - schon gar nicht mitten im Schuljahr.

pd/abu, info@bern-ost.ch

Am Freitag verschickte die Sicherheitsdirektion des Kantons Bern eine kurze Medienmitteilung: Die Familien, die wegen abgewiesenen Asylanträgen zurzeit im Rückkehrzentrum Biel-Bözingen wohnen, würden so rasch wie möglich nach Enggistein in Worb verlegt, um in Biel Platz zu schaffen für die Aufnahme von Kriegsflüchtlingen aus der Ukraine. Die schulpflichtigen Kinder sollten demnach bereits nach den Frühlingsferien die Regelklassen in Worb besuchen (BERN-OST berichtete).

 

Dagegen regt sich nun Widerstand.

 

Bewohner:innen wollen in Biel bleiben

Laut verschiedenen Medienberichten hatte eine Hilfsorganisation bereits Anfang Jahr gegen die Verlegung protestiert und vorgeschlagen, die Bözinger Containersiedlung an einen anderen Standort in Biel zu zügeln, damit die Bewohner:innen in der Stadt bleiben könnten, wo die Kinder zur Schule gehen und wo es ein Netzwerk von Helfer:innen gebe.

 

Die von der Stadt Biel erteilte Bewilligung für das Rückkehrzentrum wäre ursprünglich im vergangenen Oktober abgelaufen. Auf Drängen des Kantons genehmigte die Stadt einen Aufschub bis am 31. Juli. Damit sollte insbesondere vermieden werden, dass Kinder während des Schuljahres umgesiedelt werden.

 

Petition in Biel

Am letzten Donnerstag reichten Bewohner:innen des Rückkehrzentrums bei der Stadt Biel eine Petition ein, die 56 von ihnen unterschrieben hatten. Die Petition fordert, dass den in Biel-Bözingen untergebrachten Asylsuchenden weiter Unterkünfte in Biel zur Verfügung gestellt werden. Die Betroffenen wehren sich dagegen, "an einem abgelegenen Ort isoliert zu werden" und wollen, dass ihre Kinder weiter in Biel zur Schule gehen können. Das berichtete das Bieler Tagblatt am Freitag.

 

Fünf Familien betroffen

Dass der Umzug nun sogar früher als angesagt, und trotzdem mitten im Schuljahr geschehen soll, erfuhren die Bewohner:innen zeitgleich mit dem Einreichen der Petition. "Sie werden am 11.04.2022 in das Zentrum von Enggistein umziehen. Wir bitten Sie, all Ihre Sachen vorzubereiten", steht in einem Schreiben am Donnerstagmorgen. Betroffen vom Umzug sind laut dem Zeitungsbericht fünf Familien, deren Kinder in deutschsprachige Kindergärten und Klassen eingeschult sind.

 

"Die betroffenen Familien sind entsetzt", sagte Rudolf Albonico vom Verein Alle Menschen, der sich für die abgewiesenen Asylsuchenden einsetzt, zum Bieler Tagblatt. Vom selben Eindruck berichtet dem Tagblatt auch der Bieler Seelsorger Albrecht Hieber: Mehrere Bewohner:innen hätten ihm erzählt, dass ihre Kinder bereits vier- oder fünfmal die Schule wechseln mussten. Das nehme ihnen jegliche Stabilität.

 

"Absolut widersprüchlich"

Der unerwartete Kurswechsel sorgt nicht nur bei den betroffenen Familien für Irritation. So bezeichnete die Bieler SP-Stadträtin Anna Tanner das Vorgehen des Kantons als "absolut widersprüchlich", da Regierungsrat Philippe Müller (FDP) versprochen habe, alles dafür zu tun, damit die Kinder das Schuljahr in Biel beenden könnten. Nur aus diesem Grund sei der Bieler Gemeinderat überhaupt bereit gewesen, die Bewilligung des Betriebs bis im Sommer 2022 zu verlängern.

 

Die linken Parteien, die EVP und die Mitte im Bieler Parlament fordern die Stadtregierung auf, die Bewilligung für das Rückkehrzentrum in Bözingen bis Sommer 2023 zu verlängern. "Alle Abgewiesenen und ihre Kinder, die bisher in Biel waren und noch sind, sollen hierbleiben oder zurückkehren können. Es sollen keine Umsiedlungen nach Enggistein oder andere Orte vorgenommen werden", heisst es in einer Erklärung. Enggistein solle kein Rückkehrzentrum werden, sondern vielmehr einigen ukrainischen Familien Schutz bieten.

 

Kanton hält an Umsiedlung fest

Genau davon hält Regierungsrat Philippe Müller (FDP) jedoch nichts. Auch die Idee, die ukrainischen Flüchtlinge sowohl nach Bözingen zu den abgewiesenen Asylsuchenden als auch nach Enggistein zu bringen, erachtet er laut dem Bieler Tagblatt als schlechte Lösung. "Man sollte die Leute nicht vermischen. Es sollen diejenigen zusammen sein, die sich sprachlich verstehen. Vor allem aber wollen wir absehbare mehrfache Ortswechsel der Ukrainer:innen wenn möglich vermeiden."

 

"Worber Schulen sind vorbereitet"

Laut dem Amt für Bevölkerungsdienste des Kantons Bern wohnen zurzeit sieben alleinstehende Frauen und ein Kleinkind im Gutshof Enggistein. An der Verlegung halte der Kanton trotz Widerstand fest, heisst es auf Anfrage von BERN-OST. Man habe die notwendigen Abklärungen mit der Bildungs- und Kulturdirektion (BKD) frühzeitig vorgenommen und die Worber Schulen hätten sich bereits auf die Einschulung der betroffenen Kinder nach den Frühlingsferien vorbereitet.

 

Für den Betrieb des Rückkehrzentrums in Enggistein zuständig ist die Firma ORS. Laut ihrem Mediensprecher Lutz Hahn hat es eine maximale Kapazität von 80 Betten. Zu den oben erwähnten acht Personen würden Mitte April weitere 18 Bewohner:innen, davon zwölf Kinder, von Biel-Bözingen nach Enggistein transferiert.

 

"Bessere Bedingungen für Kinder in Enggistein"

Auf den Standort der Rückkehrzentren habe die ORS keinen Einfluss und nehme deshalb auch nicht Stellung zu den Protesten, heisst es in der Stellungnahme der ORS. Ein Transfer in eine neue Unterkunft könne bei betroffenen Familien Sorgen und Ängste auslösen. Allerdings biete der Gutshof Enggistein eine intakte Infrastruktur mit besseren Aufenthaltsbedingungen, insbesondere für die Kinder.

 

Ukrainer:innen in der Fissco

Das temporäre Rückkehrzentrum in der benachbarten Fissco wurde bereits Ende Jahr aufgehoben. In den Räumlichkeiten ist nun eine Unterkunft für anerkannte und vorläufig aufgenommene Asylsuchende. Seit kurzem wird sie für ukrainische Kriegsflüchtlinge genutzt. Betreut werden die Flüchtlinge vom Schweizerischen Rote Kreuz.


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Erstellt: 29.03.2022
Geändert: 29.03.2022
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