Eidgenössische Abstimmung: Ohne ausländische Fachleute würde es im Rüttihubelbad "ganz schwierig"
Vor der Abstimmung zur Masseneinwanderungsinitiative jagt eine Statistik die andere. Doch wie sieht die Praxis aus? Im Rüttihubelbad bei Walkringen arbeiten gut 15 Prozent Ausländerinnen und Ausländer, die meisten nicht als Hilfskräfte, sondern als Fachleute.
Ein Hotel. Ein Biorestaurant. Eine Cafeteria mit Laden. Ein Alterswohn- und Pflegeheim mit 80 Bewohnerinnen und Bewohnern. Eine sozialtherapeutische Gemeinschaft für Leute mit psychischer oder geistiger Beeinträchtigung. Ein Sensorium, in dem alle Sinne getestet werden können. Und ein 430-plätziger Saal, in dem kulturelle Anlässe aller Art stattfinden. Das alles gehört zum Rüttihubelbad oberhalb von Walkringen. 240 Personen arbeiten hier. 37 von ihnen (15,4 Prozent) kommen aus dem Ausland, vorwiegend aus Deutschland und Osteuropa. «Vor allem in der Pflege finden wir in der Schweiz praktisch keine Fachkräfte mehr», sagt Rüttihubelbad-Geschäftsleiterin Beatrice Breitenmoser. In einem Heim seien die menschlichen Anforderungen an die Angestellten besonders hoch. Die Bewohnerinnen und Bewohner haben hier ihr letztes Zuhause, setzen sich mit dem Sterben auseinander. «Sie wollen mit dem Pflegepersonal sprechen können», sagt Breitenmoser. Deshalb wird im Rüttihubelbad in der Pflege niemand angestellt, der nicht Deutsch spricht. «Natürlich können wir von ausländischen Angestellten aber nicht erwarten, dass sie auf Anhieb auch Mundart verstehen.» So gebe es zuweilen auch schwierige Situationen zwischen Bewohnenden und ausländischen Pflegenden.
Einheimische Hilfskräfte
In der Gastronomie sieht es ähnlich aus. Schweizweit kommen in dieser Branche 44 Prozent aller Arbeitskräfte aus dem Ausland, 28 Prozent aus Europa. Auch in den Küchen im Rüttihubelbad arbeiten verschiedene ausländische Köche. Laut Beatrice Breitenmoser gibt es «schlicht zu wenig Schweizer Köche, die bereit sind, auf dem Land zu arbeiten». Hier, wo man aufs Auto angewiesen ist, weil abends, wenn ein Koch Feierabend hat, kein Bus mehr fährt. Am 9. Februar stimmt die Schweiz über die SVP-Initiative gegen Masseneinwanderung ab. Befürworter und Gegner überbieten sich gegenseitig mit Statistiken und mutmassen, welche Folgen die von den Initianten geforderten Ausländerkontingente hätten. Beatrice Breitenmoser betrachtet die Sache von der praktischen Seite. «Die Hilfskräfte sind bei uns im Rüttihubelbad nicht das Problem – diese können wir in der Region rekrutieren», sagt sie. Beispielsweise bei Bauernfrauen seien Teilzeitstellen in der Reinigung oder der Pflegeassistenz sehr gefragt. Ein viel grösseres Problem sei der Mangel an Fachleuten in der Gastronomie und der Pflege: «Dort würde es ohne Ausländerinnen und Ausländer ganz schwierig.»
Arbeitssprache Deutsch
Ausländer arbeiten im Rüttihubelbad zum gleichen Lohn wie Schweizer. Rekrutiert werden sie oft über Bekannte, die bereits im Rüttihubelbad arbeiten. Bei der Teamzusammensetzung werden die Nationalitäten aber stets so gemischt, dass die Angestellten untereinander Deutsch sprechen müssen. «Das», sagt Beatrice Breitenmoser, «nützt letztlich allen.»
Bart van Doorn (59) Leiter Kultur und Bildung aus Holland: "Wurzeln geschlagen"
Bart van Doorn spricht Schweizerdeutsch. Gerne würde er am 9. Februar auch über die Masseneinwanderungsinitiative der SVP abstimmen. Aber er darf nicht. Denn er ist Holländer.
In Holland arbeitete Bart van Doorn als Schiffsbauer und liess sich später zum Heilpädagogen ausbilden. Dann lernte er eine Schweizerin kennen. Mit ihr zog er vor dreissig Jahren in die Schweiz, seit bald zwanzig Jahren arbeitet er nun im Rüttihubelbad. Hier leitet er heute die Abteilung Kultur und Bildung. Längst habe er in der Schweiz Wurzeln geschlagen, sagt der Vater von vier erwachsenen Kindern. Den Schweizer Pass hat er bisher dennoch nicht beantragt. Denn Holland akzeptierte zeitweise keine Doppelbürgerschaft – und als «überzeugter Holländer» wollte er diesen Pass nicht abgeben.
In der Schweiz hat Bart van Doorn nicht nur Arbeit, sondern auch viele Freunde gefunden. Manchmal fühlt er sich aber immer noch als Ausländer. Gerade während der Diskussion zur Masseneinwanderungsinitiative fällt ihm auf, wie sehr sich manche Schweizer vor fremden Einflüssen fürchteten. Dabei sei diese Diskussion eigentlich überflüssig, so der 59-Jährige. «Würde in der Schweiz niemand Leute aus Osteuropa anstellen, kämen diese nicht hierher.»
So oder so will Bart van Doorn nach seiner Pensionierung in der Schweiz bleiben. In Holland kauft er sich dereinst vielleicht ein Ferienhaus. «Direkt am Meer, dort, wo der Horizont weit ist.»
Eva Gardi (42) Pflegefachfrau aus Ungarn: "Sicheres Leben"
Eva Gardi stammt aus Budapest, einer Stadt mit 1,7 Millionen Einwohnern. Die Schweiz lernte sie bei zwei Arbeitsaufenthalten als junge Krankenschwester kennen. Dabei hat sie beeindruckt, wie sicher das Leben hier sei. «Die Kinder können alleine in den Kindergarten oder in die Schule gehen. Das wollte ich meinen Kindern ebenfalls ermöglichen», sagt die mittlerweile zweifache Mutter. So siedelte sie vor vier Jahren mit ihrem Mann und den beiden Kindern von Ungarn in die Schweiz über. Zuerst arbeitete sie in einem anderen Pflegeheim. Dann machte sie eine Bekannte, die bereits hier arbeitete, auf die freie Stelle im Rüttihubelbad aufmerksam.
Heute leitet Eva Gardi im Alterswohn- und Pflegeheim Rüttihubelbad den Sektor A, in dem rund 40 Bewohnerinnen und Bewohner leben. Ihr Mann kümmert sich daheim um den Haushalt. Mit den Bekannten in Ungarn steht sie vor allem über das Videotelefon in Kontakt. Zwei- bis dreimal pro Jahr reist sie mit der Familie zudem für Ferien in die alte Heimat.
Eva Gardi schliesst nicht aus, dereinst wieder nach Ungarn zu ziehen. Vorerst aber will sie bleiben. «Unsere Kinder können hier eine neue Kultur und neue Sprachen lernen.» Um sie an die hiesige Sprache zu gewöhnen, las Eva Gardi ihren Kindern die Gutenachtgeschichte anfänglich auf Deutsch vor. Mittlerweile erzählt sie die Geschichte ab und zu wieder auf Ungarisch – damit die Kinder ihre Muttersprache nicht verlernen.
Dominik Hippler (38) Koch aus Deutschland: "Oft umgezogen"
Dominik Hippler ist ehrlich. «Eigentlich wäre ich damals gerne in Deutschland geblieben», sagt der gebürtige Bayer. In die Schweiz gekommen sei er vor allem seiner Schweizer Lebenspartnerin zuliebe. Die beiden lernten sich bei einem Schweiz-Aufenthalt Hipplers kennen, lebten später in Berlin, und als sie zum ersten Mal Eltern wurden, entschlossen sie sich zum Umzug in die Schweiz. Das war vor fünf Jahren. Heute haben sie zwei Kinder – und Hippler sagt: «Es war eine gute Entscheidung, hierherzukommen.»
Das Rüttihubelbad hat eine Küche für das Hotel/Restaurant und eine für das Alterswohn- und Pflegeheim. In letzterer arbeitet Dominik Hippler in einem 80-Prozent-Pensum. Er schätzt es, dass in derSchweiz auf das Einhalten der Arbeitszeiten geachtet wird. «In Deutschland arbeitest du als Koch häufig bis zum Umfallen», sagt er. Dafür gebe es in Deutschland mehr Kinderbetreuungsangebote, stellt der 38-Jährige fest, dessen Frau in der Buchhaltung einer Gastrofirma arbeitet.
Dominik Hippler und seine Familie leben in Langnau mitten im Emmental. Hier möchte er bleiben, mindestens, bis die Kinder im Alter von 3 und 5 Jahren aus der Schule kommen. «Ich bin so oft umgezogen. Jetzt will ich endlich daheim sein.»
Milena Kienast-Dobreva (37) Pflegedienstleiterin, ursprünglich aus Bulgarien: "Viele Formalitäten"
Ihr Diplom als Pflegerin machte Milena Kienast, die damals noch Dobreva hiess, in Bulgarien. Vor zwölf Jahren kam sie für eine Weiterbildung nach Aarau. Eigentlich wollte sie nur kurz bleiben – doch dann lernte sie ihren heutigen Ehemann kennen. Sie blieb in der Schweiz, arbeitete als Psychiatriepflegerin und schloss an der Universität Bern ein Betriebswirtschaftsstudium ab. Heute ist sie als Pflegedienstleiterin im Rüttihubelbad Chefin von rund 60 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.
Seit bald vier Jahren hat Milena Kienast-Dobreva auch den Schweizer Pass. An ihrer zweiten Heimat schätzt sie vor allem die beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten – «so viele Wege wie in der Schweiz stehen einem sonst fast nirgendwo offen», sagt sie. Der Anfang sei allerdings nicht einfach gewesen. Ob Aufenthaltspapiere, Führerschein, Krankenkasse, Telefonvertrag oder EC-Karte: Es gab zahlreiche Formalitäten zu erledigen. Zudem sind manche osteuropäischen Berufsdiplome hier gar nicht gültig. Dass sie in Bulgarien das Gymnasium in Deutsch machte und akzentfrei Hochdeutsch spricht, nützte der 37-Jährigen ebenfalls wenig. Sie musste die gleichen Deutsch-Prüfungen machen wie die anderen Einwanderinnen und Einwanderer.
Doch heute fühlt sich Milena Kienast-Dobreva in der Schweiz zu Hause. Und die Frage, wo sie ihre Zukunft sehe, beantwortet sie ohne Zögern: «Ganz klar hier.»