Durchgangszentrum Enggistein: Vorsorglich gekündigt, Zukunft unklar

Der Verein ABR, der die Kollektivunterkunft für Asylsuchende im Gutshof Enggistein betreibt, hat den Mietvertrag mit Hauseigentümer Jürg Reusser vorsorglich gekündigt. Ob die Unterkunft aber tatsächlich schliesst und wer sie weiterbetreibt, falls sie bestehen bleibt, ist noch offen. Klar ist: Wenn sie schliesst, hat die Schule Enggistein ein Problem.

Anina Bundi, anina.bundi@bern-ost.ch

"Ja, ABR hat unseren Vertrag auf Ende März gekündigt", bestätigt Jürg Reusser entsprechende Informationen von BERN-OST. Reusser ist Eigentümer der Gebäude, in dem der Verein ABR (Asyl Biel & Region) eine Kollektivunterkunft (KU) für Asylsuchende betreibt.

 

Immer weniger Asylsuchende - auch im Kanton Bern

Eine grosse Überraschung ist die Kündigung nicht. Die Zahl der Asylgesuche in der Schweiz sinkt stetig. Wurden dem Kanton Bern 2015 noch 5'428 Asylsuchende zugewiesen, waren es 2016 bereits nur noch 3'339, 2017 noch 2'125 und 2018 (Januar bis August) 1'083, allein dieses Jahr wurden im Kanton Bern bereits mehrere Durchgangszentren geschlossen.

 

Auch werden mit der Asylgesetzrevision, die 2019 in Kraft tritt, den Kantonen nur noch anerkannte Flüchtlinge, vorläufig Aufgenommene und Personen im erweiterten Asylverfahren zugewiesen, was die Zahlen noch weiter senken wird.

 

"Wir würden nur ungern schliessen"

Da ausserdem der Kanton die Aufträge für Unterbringung und Betreuung neu ausschreiben und inskünftig regional aufteilen will, habe er sich entschieden, den Vertrag vorsorglich zu kündigen, erklärt Philipp Rentsch, Geschäftsleiter der ABR. "Wir sind vorwiegend in der Region Biel/Berner Jura/Seeland tätig. Es ist wahrscheinlicher, dass wir nach der Neustrukturierung dort weiter aktiv sind als in der Region Bern. Wenn wir wegen sinkenden Zuweisungen Zentren schliessen müssen, werden wir deshalb schauen, dass das möglichst nicht in unserer heutigen Stammregion ist."

 

Die Kündigung habe ausschliesslich pragmatische Gründe. "Wir würden das Zentrum nur ungern schliessen. Es ist schön und günstig gelegen, auch für Familien. Aber am Ende muss unsere Organisation weiterfunktionieren. Die Kündigungsfrist beträgt sechs Monate. Das ist ein zu grosses Risiko."

 

Regionen werden neu aufgeteilt

Möglich wäre auch, dass das Zentrum zwar weiter besteht, aber von einer anderen Organisation betrieben wird. "Die Fürsorgedirektion des Kantons Bern sagte mir, dass man die Unterkunft weiter führen will", sagt Reusser. Diese Pläne will Inge Hubacher, Vorsteherin des Sozialamtes der Gesundheits- und Fürsorgedirektion des Kantons Bern, nicht bestätigen. "Welche Unterkünfte ab Umsetzung der Neustrukturierung weiterbestehen und was deren Nutzung sein wird, können wir jetzt noch nicht sagen." Auch die Frage, wer als regionaler Partner inskünftig für Unterbringung, Integration und Asyl- und Flüchtlingssozialhilfe in der Region Bern-Mittelland zuständig sein wird, sei noch offen. Bis Mitte 2012 wurde das Durchgangszentrum Enggistein von der Heilsarmee betrieben. 

 

Für Jürg Reusser ist die Situation damit alles andere als klar. Für die vorsorgliche, und, wie er meint, vielleicht etwas voreilige Kündigung durch ABR habe er aber Verständnis. "Wir haben ein gutes Einvernehmen."

 

Bei Schliessung Umzug in Wohnungen

Die Kollektivunterkunft Enggistein ist laut Rentsch momentan mit rund 80 Bewohnerinnen und Bewohnern zu etwa zwei Dritteln besetzt. Ein grosser Teil davon sind Familien mit Kindern. "Ein Teil der Leute würde bei einer Schliessung wohl in Phase zwei der Unterbringung eintreten, also in Privatwohnungen umziehen. Ein anderer Teil würde in anderen Kollektivunterkünften untergebracht", sagt Rentsch. "Momentan ist aber ausser der vorsorglichen Kündigung alles noch offen."

 

Wird die Unterkunft geschlossen, hätte dies auch Auswirkungen auf die Schule Enggistein. 12 Kinder aus der Kollektivunterkunft besuchen aktuell die Schule, die meisten eine der drei Klassen für Deutsch als Zweitsprache (DAZ-Klassen), vier in der Regelklasse. "Die DAZ-Klassen würden schliessen, wenn die Unterkunft zugeht", sagt Christoph Moser, Gemeinderat mit dem Departement Bildung. Davon betroffen wären einerseits die drei DAZ-Lehrpersonen, andererseits aber auch die 14 "einheimischen" Kinder, die in Enggistein in der Mehrjahrgangsklasse (1. bis 6. Klasse) unterrichtet werden. 

 

Zu wenig "einheimische" Kinder

Das Bildungsreglement der Gemeinde Worb bewilligt nämlich grundsätzlich keine Klassen mit weniger als 15 Schülerinnnen und Schülern. Sind in einer Klasse "mittelfristig" (was das genau bedeutet ist laut Moser nicht näher definiert) weniger Kinder, muss nach einer Lösung gesucht werden.  Dabei gebe es verschiedene Ansätze, sagt Moser. Eine Schliessung der Schule stehe momentan nicht im Vordergrund.

 

"Wie wir mit der Situation umgehen, entscheidet der Gemeinderat, wenn es konkret wird. Nächste Woche findet ein Treffen mit dem Kanton statt. Ganz sicher werden wir die Bevölkerung frühzeitig und ausführlich informieren."

 

[i] Im Juni wurde bekannt, dass auch die zweite Kollektivunterkunft auf Worber Boden schliesst. Das Flüchtlingswohnheim in der ehemaligen Filzfabrik wird ab Ende Jahr für voraussichtlich eineinhalb Jahre zu sein und anschliessend wieder in Betrieb gehen. Aus dem Wohnheim besuchen momentan 16 Kinder die Schule Enggistein. Da diese Schliessung aber schon länger bekannt ist, wurden die Auswirkungen schon eruiert und miteingerechnet, sagt Christoph Moser.


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Erstellt: 13.10.2018
Geändert: 04.02.2019
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