Abstimmungskampf: Das Gesicht des Widerstands

Aus Konolfingen hat sie es in die «Arena» geschafft, für die Operation Libero kämpft sie gegen die SVP. Ihr Weg könnte direkt in den Nationalrat führen. Doch will sie das überhaupt? Ein Abend mit Laura Zimmermann.

Moritz Marthaler, "Der Bund"

«Da, wieder eins!» Sie erspäht sie aus 60, 70 Meter Entfernung, die Abstimmungsplakate mit der Mausefalle, jeder Feldschütze wäre stolz, doch es wird schnell klar: Laura Zimmermann hat anderes im Visier.

 

In diesen Monaten ist sie auf ihrer Mission, ist an zwei, drei, manchmal vier Abenden die Woche unterwegs, vor«einer der wichtigsten Abstimmungen in den letzten zehn Jahren». Das ist dick aufgetragen, gehört ein Stückweit aber zum Konzept in ihrer politischen Heimat, der Operation Libero. Laura Zimmermann war das Gesicht des Widerstands gegen die No-Billag-Initiative, sie ist die Speerspitze der Kampagne gegen die Selbstbestimmungsinitiative, und diese Frau kann, so erhält man das Gefühl, sich für und gegen vieles mehr engagieren, solange ihr zwei Dinge klar sind: ihr Ziel und ihre Gegner.

 

Freisinn am Küchentisch

 

Und damit ist man schon nahe dran am politischen Wesen Zimmermanns, das, so sagt es der Politikexperte Michael Hermann, eigentlich «alles mitbringt für die Parteipolitik». Doch Zimmermann politisiert – nach eigenen Angaben – lieber unabhängig, seit sie sich vor drei Jahren der Operation Libero angeschlossen hat und heute, mit 26, deren Co-Präsidentin ist. Die Bewegung, die so gerne von der Schweiz als «Chancenland» spricht, muss sich im Abstimmungskampf auch Kritik gefallen lassen. Sogar die SVP beklagte sich zuletzt über zu viel Hysterie im Schlagabtausch, und den schrillpathetischen Stil der Nein-Plakate kritisierten auch neutrale Stimmen. Der Ton mag auf beiden Seiten rau sein – gerade sachlich wirken die Motive mit der Mausefalle neben der SVP-Kampagne mit ihren mattfarbenen Schülerblick-Plakaten aber nicht. «Das ist populär, nicht populistisch», sagt Zimmermann.

 

Wir sind unterwegs nach Männedorf am Zürichsee, in die ausufernde Agglo, dem Ja-Land im Abstimmungskampf. Es könnte unbequem werden für Zimmermann. Sie war auch schon besser gelaunt, manchmal macht ihr die Diskussionskultur der Gegnerschaft zu schaffen.«Aber solche Einladungen musst du wahrnehmen.» Wir steigen in den Zug, den falschen, und merken es erst viel später. Manchmal wird das Zugabteil zur Arena, Zimmermann wehrt sich gegen den Vorwurf, ihre Organisation sei elitär, und erklärt, warum es eine überparteiliche Kraft im Land brauche.

 

Es ist ein steiler Aufstieg, den die junge Frau hinter sich hat. Kindheit in Konolfingen und Freisinn am Küchentisch, weil der Vater für die FDP im Gemeinderat sitzt. Das politische Interesse wächst, auch durch das Jura-Studium in Bern. Aus den Trümmern des Nein-Komitees der Masseneinwanderungsinitiative entsteht die Operation Libero, Zimmermann schliesst sich an, es zieht sie nach Zürich und tiefer hinein in diese Politik, die keine Parteizügel kennt.

 

Guter Ruf in der Romandie

 

In Uster korrigieren wir den Irrtum mit dem Zug und steigen ins Taxi, die Zeit drängt, Zimmermann bleibt cool. Nervös sei sie vor zwei Wochen in der SRF-«Arena» gewesen, gibt sie zu. Nicht wegen der gut 150 000 Zuschauer am TV. Mehr, «weil das doch auf alle Ewigkeit im Internet zu sehen sein wird». Millennials halt.

 

Ziel und Gegner: Heute sind das ein sauberer Auftritt, zwei, drei gute Gründe für die Nein-Stimme sowie Claudio Zanetti, im Nationalrat für die SVP, und Christoph Mörgeli, ergraute Eminenz aus den besten Zeiten der Volkspartei. «Den Zanetti kenne ich von anderen Podien, mit dem kann man gut streiten», sagt Zimmermann. Wir kommen näher, suchen das Schulhaus, noch 15 Minuten bis zum Auftritt. Das Taxi hält, Stechschritt jetzt, hier links, da rechts, frei ist die Operation Libero, der Blick geht aufs Handy, dann zur Seite, eine Frage im Plauderton, eine gelbe Parisienne aus der Box, Kaugummi. Wir sind da. Die Verspätung wischt sie locker weg, ein kecker Spruch, ein schneller Gruss.

 

Es mutet französisch an, das Selbstverständnis der Laura Zimmermann, vielleicht aus den acht Monaten Studienzeit in Paris, vielleicht ist es auch einfach ein etwas eleganterer Auswuchs der Emmentaler Sturheit. Auf jeden Fall kommt sie gut an, auch in der Romandie. Die «étonnante force de compétition» bewunderten kürzlich «L’Illustré» und «Le Temps», und in der welschen Presse findet sich ein Satz, mit dem sie noch den wohlwollendsten Patrioten in Rage bringen könnte: «L’Europe, c’est ma Patrie.»

 

Als es in Männedorf losgeht, ist Europa weit weg. Geladen haben die Grünliberalen, «und wir sind die Grünen mit dem Sünneli», sagt ein Herr vom SVP-Ortsvorstand. «Tschäu Lara», grüsst vorne Zanetti, das U rutscht ihm weg, er kaut Kaugummi. Mörgeli sucht etwas in seiner Tasche. Zanetti legt los. Zimmermann hört lange zu, dann bringt sie ihre Konter an, clusterhaft, die Argumente sitzen, auch wenn das Einstudierte überwiegt. «Mich überzeugt ihr Auftritt: Sie ist argumentativ stark und pflegt einen selbstbewussten Stil», sagt FDP-Nationalrätin Christa Markwalder. «Sie scheint Spass zu haben, ist nicht verletzlich – gute Voraussetzungen für die Debatte», sagt Politologe Hermann. Und Markwalder meint lachend: «Wir würden sie gerne bei uns adoptieren.»

 

Prominente Doktormutter

 

Zimmermann winkt müde ab. Es ist spät geworden, wir sitzen wieder im Zug, dem richtigen, und kommen erneut auf die Parteipolitik zu sprechen. Routiniert weicht sie den Fragen nach der persönlichen Laufbahn aus. Beruflich hat sie gerade neue Wege eingeschlagen, ihre Dissertation abgebrochen, auch wenn sie mit Helen Keller, Richterin am Europäischen Gerichtshof, eine prominente Doktormutter hatte. Sie arbeitet jetzt für eine Zürcher Agentur, die auch den Auftritt von Operation Libero mitkonzipiert. Der vergütete Aufwand für ihr Co-Präsidium beträgt 20 Prozent, der Einsatz gleicht so kurz vor der Abstimmung mehr einem Vollzeitpensum. «Mein Arbeitgeber ist sehr flexibel und unterstützt mich», sagt Zimmermann.

 

Interesse an einer Nationalratskandidatur – vielleicht für die GLP, womöglich für die FDP – impliziert Zimmermann schon, wenn sie sagt, dass sie daran der Weg über Gemeinde- und Kantonspolitik störe. Den direkten Weg zum Ziel, den kennt sie schliesslich gut.


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Erstellt: 16.11.2018
Geändert: 16.11.2018
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