Cornelia Tschanz: «Ich übernehme gerne Verantwortung»
Vor 25 Jahren begann die politische Karriere von Cornelia Tschanz im Gemeinderat von Tägertschi. Am Dienstag präsidiert sie erstmals das Parlament von Münsingen. Politisiert wurde sie Ende der 80er Jahre, als Linke die Armee abschaffen wollten. Sie erzählt über ihre berufliche Karriere und wie diese abrupt endete.
Wir treffen uns bei Cornelia Tschanz (57) zu Hause in Tägertschi, sie wohnt direkt an den Gleisen. Obwohl Züge durchfahren, kriegt man davon kaum etwas mit. Während einem Jahr präsidiert Tschanz das Gemeindeparlament von Münsingen, dem Dorf, in dem sie aufgewachsen ist.
Umzug nach Tägertschi
«Wir wohnten im Oberdorf, als ich 18 war, übernahm mein Vater die Schreinerei in Tägertschi, die jetzt mein Bruder leitet.» Seither lebt Cornelia Tschanz im Grünen. Sie sieht sich selbst als politischen Menschen, obschon sie erst spät einer Partei beigetreten ist. Das kam wie so vieles bei Tschanz eher zufällig. Als Tägertschi vor sieben Jahren mit Münsingen fusionierte, erhielt Cornelia Tschanz als Gemeindepräsidentin von Tägertschi einen Sitz im Gemeinderat von Münsingen.
Parteien buhlten um sie
«Ich war damals parteilos, in Tägertschi politisierten wir ohne Parteibüchlein. Kaum war ich im Gemeinderat von Münsingen, kamen alle Parteien auf mich zu.» Sie entschied sich für die FDP, «die SVP war mir zu sehr schwarz-weiss, bei der SP hätte ich die Finanzen übernehmen sollen und die BDP war im Begriff sich aufzulösen.»
Nach einem Jahr im Gemeinderat lief dieser Tägertschi-Sitz aus, sie schaffte die Wiederwahl nicht und politisiert seither im Gemeindeparlament. In grossen Gemeinden wie Münsingen und Worb übernimmt das Gemeindeparlament die Funktion der Gemeindeversammlung. Das Parlament tagt fünf Mal jährlich.
Politisiert über Armeeabschaffung
«Im Parlament ist es mir wohler. Im Gemeinderat war die Stimmung zu der Zeit (2017) oft gereizt, es gab Grabenkämpfe, das war ich mir von Tägertschi her nicht gewohnt. Im Gemeindeparlament ist der Ton sachlicher», so Tschanz. Ihre ersten politischen Erinnerungen führen zurück in die 80er Jahre. Zu der Zeit wehte ein fast revolutionärer Wind durch die Schweiz, als 1989 über die Abschaffung der Armee abgestimmt wurde, hatte die damals 23-jährige Cornelia Tschanz ihren ersten Einsatz an der Urne. «Damals konnte man noch von Freitag bis Sonntag sein Couvert in die Urne werfen.»
Die Leute standen Schlange vor dem Wahllokal, beim Warten wurde über die Armeevorlage diskutiert. «Das hat mich wahnsinnig geprägt.» Auch heute sagt Tschanz überzeugt: «Ich stimmte klar und deutlich gegen die Abschaffung, war also für die Armee.» Landauf landab beherrschte dieses Thema die Medien, es ging um Arbeitsplätze und den Erhalt der Schweizer Armee. Die Vorlage wurde mit 64 Prozent Nein-Stimmen bachab geschickt, was heute wohl undenkbar wäre.
Nicht auf FDP-Linie
Als Gemeinderätin von Tägertschi kümmerte sie sich ums Ressort Soziales. «Das hat mich geprägt.» Entgegen der Haltung ihrer Partei bezieht sie Position zur 13. AHV-Rente. «Ich kenne Leute, welche die Minimalrente erhalten und dankbar für einen Zustupf wären. Ich werde Ja stimmen, das ist klar.» Abstimmen ist für Tschanz eine Pflicht. «Wenn man die Möglichkeit hat, sich zu äussern, soll man dies auch wahrnehmen.» Daneben ist sie auch heute noch Mitglied des Stimmausschusses in Münsingen, ein Ausschuss, der dafür sorgt, dass Wahlen und Abstimmungen korrekt ablaufen.
Zu viel Neid und Hass
Auch während des Mittags- und Abendessens sei bei der Familie Tschanz häufig über politische Themen diskutiert worden. Die junge Cornelia Tschanz habe früh gelernt für einen Standpunkt zu argumentieren. «Meine Eltern waren immer sehr offen. Sie haben nie versucht, mich von einer Meinung abzubringen, sondern akzeptierten es, wenn ich bei einem Thema anderer Ansicht war als sie.»
Heute scheine diese Toleranz für andere Haltungen bei vielen abhandengekommen sein. «Was in den Sozialen Medien abgeht, überrascht einen schon. Da mag niemand mehr dem anderen etwas gönnen. Häufig wird nur noch kritisiert, Neid scheint die Foren zu regieren.» Deshalb halte sie sich auf Facebook vornehm zurück.
Das plötzliche Aus
Beruflich schlug Cornelia Tschanz eine gelbe Karriere ein. Nach der Schule begann sie eine Lehre beim Checkamt der Post, damals noch PTT. Über die Jahre bildete sie sich weiter, holte als 31-Jährige den KV-Abschluss nach, bildete sich erst zur Schalterbeamtin, danach zur Poststellenleiterin weiter. Nach jedem Karriereschritt folgte der nächste mit einer weiteren zusätzlichen Ausbildung. Die Frage, ob sie gelbes Blut habe, verneint sie erst, fügt dann aber an: «Ich hatte immer gute Vorgesetzte, die mich unterstützten und förderten. Ich habe gerne dort gearbeitet.»
Von der Lehre bis letzten September blieb sie der Post treu. Sie würde noch heute dort arbeiten, wenn nicht eine Krankheit die berufliche Laufbahn vorzeitig beendet hätte. «Wegen eines hartnäckigen Rheumaleidens wurde ich medizinisch frühpensioniert», sagt Tschanz ohne Verbitterung. «Es ist eine Erleichterung, weil kein Druck mehr da ist. Die Post hat mich lange unterstützt, aber irgendwann waren die Finger so steif, dass ich nicht mehr arbeiten konnte.»
Von Hunden und Katzen
Während sie aus ihrem Leben erzählt, streunt immer mal wieder einer der beiden Schneebengalen um den Tisch. Mit ihren tiefblauen Augen schaut die Katze, gemustert wie ein Schneeleopard, wer da am Tisch sitzt. Neben den beiden Schneebengalen wacht auf der Terrasse der 12-jährige sibirische Husky. «Das sind seine Temperaturen», so Tschanz, «im Winter bleibt der Husky Tag und Nacht draussen.» Er hält die Stellung, schläft zwischendurch und mag partout nicht für ein Foto mit der künftigen Parlamentspräsidentin posieren.
Zu hohe Ausgaben
Auf die Frage, wie es Münsingen gehe, antwortet Tschanz wie aus der Pistole geschossen: «Ich finde gut, aber wir müssen aufpassen, dass wir unsere Finanzen im Griff halten. Wir können nicht noch mehr Geld ausgeben. Wir haben das Gemeindehaus, Hallenbad und Schlossgut saniert, das Freizeithaus wurde gekauft, eine Umfahrungsstrasse gebaut, der Kubus beim Schulhaus Schlossmatt. Wir können nicht endlos Geld ausgeben.» Noch gehört Münsingen zu den wenigen Gemeinden, die Geld in den Finanzausgleich einzahlt. Das könnte bald ändern.
Keine 130‘000 Franken
Bis Ende Jahr wird Cornelia Tschanz den Ratsbetrieb leiten. «Ich übernehme gerne Verantwortung, werde aber keine Geschichten erzählen, das liegt mir nicht. Wichtig ist mir, dass der Betrieb läuft.» Während eine Nationalrätin um die 130‘000 Franken im Jahr erhält, wird das Pendant im lokalen Parlament weniger generös entlöhnt.
«Pro Sitzungsstunde kriegen wir 20 Franken», lacht Tschanz, «diesen Job macht man nicht wegen des Geldes, sondern weil man es will.» Pro Jahr kämen so etwa 900 Franken zusammen, dies beinhalte aber noch die Stunden für ihre Arbeit im Abstimmungsausschuss, die sie immer noch wahrnimmt.
Noch nicht am Ende
Ob ihre politische Karriere mit dem Präsidium endet, lässt Tschanz offen. Vor 25 Jahren wurde sie von einer Nachbarin in Tägertschi angefragt, ob sie im Gemeinderat mithelfen möchte. Sie solle mal zu einer Sitzung schnuppern kommen, Tschanz sagte zu und wurde am Ende der Sitzung still in den Gemeinderat von Tägertschi gewählt.
Ein Vierteljahrhundert später sagt sie: «Es hängt von den Personen und von vielem mehr ab, aber ausschliessen, dass ich bei den nächsten Gemeinderatswahlen von Münsingen kandidieren werde, das will ich nicht.» Bisher hat Cornelia Tschanz auf ihr «Gspüri» und ihr Gefühl vertraut, womit sie gut gefahren ist. Am Dienstagabend leitet sie erstmals die Sitzung Münsinger Parlament.