Bundesräte in der Region Bern-Ost - «Steingeiss» sticht im Duell die «Zürischnure» knapp aus

SVP-Bundesrat Ueli Maurer und BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf mischen im Berner Wahlkampf mit. Bringt das entscheidende Stimmen? Ein Augenschein in Münsingen und Grosshöchstetten lässt Zweifel aufkommen.

Michael Widmer / Berner Zeitung BZ
Plötzlich steht er da. Verteidigungsminister Ueli Maurer muss heimlich durch den Mittelgang an all den Leuten vorbeigeschlichen sein. Kein Raunen im Publikum, kein Applaus, man nimmt zur Kenntnis, dass er da ist. Dabei hat Maurer heute ein Heimspiel. Seit der Zürcher Bundesrat ist, wohnt er bekanntlich in Münsingen, und zu seinem Auftritt an der SVP-Wahlveranstaltung im Schlossgut-Saal sind fast nur Parteigänger gekommen. Potenzial also für einen fulminanten Auftritt. Doch Ueli Maurer dämpft die Stimmung zu Beginn gleich selber, als er zur Begrüssung sagt, dies sei sein erster offizieller Auftritt in seiner «Schlafgemeinde». Es sei ihm auch «etwas unwohl» mit seiner «Zürischnure» neben den Berner Kandidierenden…

Da hat es die Bündnerin einfacher. Eveline Widmer-Schlumpf ist in Grosshöchstetten unbestrittener Star des Abends. Sie ist der Star dieser Partei. Oder wie es die Vorredner am BDP-Wahlanlass betonen: «Wir wollen die Werte leben, welche Eveline Widmer-Schlumpf vorlebt und symbolisiert.» Etwas viel Last auf den zarten Schultern der Bundesrätin? Vermutlich. Aber jetzt lässt sich der Druck gut aushalten. Kaum hat Widmer-Schlumpf einen Fuss in die Aula der Sekundarschule gesetzt, brandet Applaus auf. Sie lächelt, sie grüsst ins Publikum. So lässt es sich einfach «wahlkämpfen».

Ueli Maurer kämpft auch – um die volle Gunst des Publikums. Das gelingt je länger, je besser. In seinem Vortrag zum Thema «Was ist uns Sicherheit wert?» spannt er zwar einen gewagten Bogen von den Messerstechereien auf der Strasse hin zur Armee, die Küchen schliesst und um die man sich im Ernstfall Sorgen machen muss. Doch der Profi weiss, wie er sein Publikum abholen kann. Er spielt die Ausländerkarte – in sehr viele Gewaltdelikte seien Ausländer involviert, und derzeit prallten Kulturen aufeinander. Er spielt die Tabukarte – die SVP schaue hin und nenne die Probleme beim Namen, während die anderen nicht hinschauten. Trotzdem: So richtig Wahlkampfstimmung kommt nicht auf. Sind es die altbekannten Schlachtrufe, die niemanden mehr von den Sitzen reissen, oder haben die Berner etwa die harten Kämpfe zwischen den Zürcher und den Berner Exponenten Maurer, Blocher und Schmid nicht vergessen? Für Bewegung sorgen zumindest drei Kässeli. Gesammelt wird für die Erdbebenopfer von Haiti – am Ende kommen satte 2000 Franken zusammen.

Kaum einen Rappen wetten viele Politbeobachter derzeit auf eine Wiederwahl von Eveline Widmer-Schlumpf in den Bundesrat. Doch beim Grosshöchstetter Publikum kommt sie gut an. Wenn sie berichtet, wie ihr die Kinder raten, die Musikstücke mit der Handorgel nur noch im Hintergrund zu begleiten, weil ihr die Übung fehle. Wenn sie von ihrer Grossmutter erzählt, die ihr einst gesagt habe: Alle lebten unter dem gleichen Himmel, aber nicht alle hätten den gleichen Horizont. Wenn sie sagt, sie sei kein Bündner Steinbock, aber eine Bündner Steingeiss. Dann sagt sie auch: Ich bin nicht abgehoben, bin eine von euch. Applaus ist ihr sicher.

Berner Wurzeln, stolzer Berner und YB-Fan. Seit Wochen schon weist Ueli Maurer auf all das hin. Er wandert mit Journalisten durch Adelboden und zeigt auf den Hang, wo seine Vorfahren einst lebten. Er freue sich gemäss seinem Sprecher auf jeden Auftritt im Berner Wahlkampf, weil er bei seinen Reisen durch den Kanton seine zweite Heimat besser kennenlernen könne. Ob YB Schweizer Meister wird, fragt der Moderator in Münsingen. Er werde sich hüten Prognosen abzugeben, aber zumindest «öppe es Kerzli» anzünden, sagt Maurer.

Ob BDP-Regierungsratskandidatin Beatrice Simon noch auf ihren Auftritt brennt? Eveline Widmer-Schlumpfs Vortrag dreht sich um ihr Justiz- und Polizeidepartement, das neue Strafrecht, das Jugendstrafrecht, die Staatsleitungsreform und die Marke Schweiz und dauert etwas länger. Allerdings nicken nur wenige, ältere Herren kurz ein. Wenn die Justizministerin berichtet, wie schockiert sie in China war, als sie die zu lebenslangen Haftstrafen verurteilen 16-Jährigen sah. Wie erschüttert sie war, als sie erfuhr, dass der Bündner Rohschinken von Aldi aus deutschem Fleisch hergestellt wird. Und wenn sie die «neue Superidee» zur Volkswahl des Bundesrates preist, die allerdings schon 109 Jahre alt sei, dann ist das nicht nur interessant, sondern teils auch witzig und überraschend.

Was aber auffällt: Weder Widmer-Schlumpf noch Maurer führen ihre Gegner vor. Der SVP-Bundesrat stellt sogar klar, dass sich die BDP-Bundesrätin nach dem Ja zum Minarettverbot im Ausland nicht etwa entschuldigt habe. Sie habe nur klargemacht, wie die Demokratie in der Schweiz funktioniere. Sie wiederum bricht eine Lanze für die Personenfreizügigkeit ohne eine Breitseite gegen die kritische SVP loszulassen. Es wird tunlichst vermieden, die Parteinamen BDP und SVP in den Mund zu nehmen.

Kein Wunder, erlebt ein Grossratskandidat den Wahlkampf als «lau». Die Frage drängt sich auf, ob sich so in der «Berner Schicksalswahl» entscheidende Stimmen holen lassen. Zwar ist es wohltuend, anzusehen, dass sich die Bundesräte nicht auf eine Schlammschlacht einlassen. Eigentlich sollten die Bundesräte mit ihren Auftritten aber doch auch parteiferne Kreise ansprechen. Mit Vorträgen vor Parteikollegen oder Fans ist nichts gewonnen.

Unter dem Strich hat Eveline Widmer-Schlumpf in diesem Vergleich die Nase vorn. Aber bei den Politbeobachtern ist es wie bei den von Eveline Widmer-Schlumpf im Zusammenhang mit der UBS-Affäre zitierten Juristen: Nehmen drei zu einem Thema Stellung, haben sie stets vier Meinungen.

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Erstellt: 27.01.2010
Geändert: 27.01.2010
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