Bürgerkomitee bodigt Gemeinderat: Walkringen bekommt Schulsozialhilfe
Gegen den Willen des Gemeinderats hat die Walkringer Gemeindeversammlung gestern die Initiative zur Einführung der Schulsozialarbeit deutlich angenommen. Emotionen gab es auch unter "Verschiedenes" zum Schluss: In der Bäckerei Jegerlehner wird bald wieder Brot gebacken und ein ehemaliger Gemeinderat zeigte seine Wut über den Gemeinderat.
Der Initiative vorangegangen waren zwei Anträge der Schulkommission, die Schulsozialarbeit einzuführen. Beide Male hatte die Mehrheit des Gemeinderats dagegen entschieden. Aus Kostengründen und weil kein Bedarf bestehe. Ein "Bürgerkomitee" mit unter anderem Kirchgemeindepräsident Thomas Bücherer, Dorfarzt Heinrich Kienholz und mehreren ehemaligen Mitglieder des Gemeinderats, hatte darauf Unterschriften gesammelt und die Frage so vors Stimmvolk gebracht.
Die Positionen
Peter Stucki verlas die Stellungnahme des Gemeinderats gegen die Initiative und argumentierte vorallem mit mangelndem Bedarf. "Fachstellen stehen bereits heute genügend bereit", heisst es in der Stellungnahme etwa. Auch könne "erwartet werden, dass einzelne Probleme durch das vorhandene Lehrpersonal gelöst werden können oder entsprechende Massnahmen durchgesetzt werden."
Die Argumente des Initiativkomitees präsentierte Heinrich Kienholz. Wichtig sei, dass die Schulsozialarbeit im Gegensatz zu anderen Fachstellen wie der Erziehungsberatung oder der KESB vor Ort wirke und auch für Kinder und Jugendliche direkt ansprechbar sei. Er betonte auch den präventiven Effekt: "Wenn Schulsozialarbeit ein Time-Out oder eine Fremdplatzierung verhindern kann, spart man damit Leid und Kosten."
"Erwartungen für das Protokoll"
Zum Schluss präzisierte er die "Erwartungen" des Initiativkomitees zur Umsetzung ihrer Forderung. Die Schulsozialarbeit müsse auf allen Stufen und in allen Schulhäusern angeboten werden, mindestens ein 20-Prozent-Pensum umfassen, an die Jugendfachstelle Konolfingen angebunden sein und sich an der kantonalen Volksschulverordnung orientieren.
Mit diesen Ausführungen "für das Protokoll", sorgte Kienholz für etwas Verwirrung. Der Initiativtext fordert nur, das Angebot einer Schulsozialhilfe im Bildungsreglement festzuschreiben, näheres sei vom Gemeinderat durch Verordnung zu regeln. Seitens des Gemeinderats wurde daraufhin festgehalten, dass man nur über den Initiativtext abstimme.
Auf die beiden Präsentationen folgte eine Diskussion, an der sich aus dem Saal vorallem Befürworter beteiligten. Gleich zweimal wurde der erste Sprecher von Peter Stucki unterbrochen. Einmal wegen der Länge des Wortbeitrags, einmal weil der ehemalige Lehrer Beispiele anbringen wollte. Gemeinderat und Initiativkomitee hätten abgemacht, dies zu unterlassen, um betroffene Familien zu schützen.
Gemeinderätin plädiert für Ja
Die zweite Wortmeldung war eine Frage an Ursula Röthlisberger. Die Gemeinderätin mit dem Ressort Bildung hatte sich im Vorfeld der Abstimmung nur zurückhaltend geäussert. Nun wurde sie aufgefordert, die Position der Schulkommission darzulegen. "Alle anderen Fachstellen sind in Bern oder in Burgdorf und sind 'hochschwellig'", argumentierte sie entgegen der Mehrheitsmeinung des Gemeinderats. Mit der Schulsozialarbeit könne man offener reden, ohne zum Beispiel gleich Angst vor der KESB zu haben.
Aus eigener Betroffenheit warb eine Mutter für die Initiative. Ein Grossvater teilte seine Überlegungen: "Eigentlich sind die Eltern in der Verantwortung. Aber der Schulbetrieb darf nicht leiden, darum bin ich jetzt dafür."
"Unsere Argumente sind gut. Sie stimmen!" Die Beschwörungen von Peter Stucki verhallten beinahe ungehört: Nur 27 der Anwesenden stimmten am Ende mit dem Gemeinderat gegen die Schulsozialarbeit. 118 Personen waren dafür.
[i] Gemeinderechnung:
Walkringen beendete das Finanzjahr 2017 um mehr als eine Million Franken besser als budgetiert. Der Gesamthaushalt schliesst mit einem Ertragsüberschuss von 984'541 Franken ab. Budgetiert war ein Aufwandüberschuss von 38'395 Franken. Für die Besserstellung sorgten vorallem der Verkauf von zwei Gemeindeparzellen, aber auch gestiegene Steuereinnahmen und eine Wertzunahme der BKW-Aktien, die die Gemeinde besitzt, erklärte der zuständige Gemeinderat Rolf Wittwer. In der Botschaft zur Gemeindeversammlung war der Ertragsüberschuss noch mit 266'762 Franken angegeben. Der Fehler sei in der Revision entdeckt worden, sagt Wittwer. Grund seien Umstellungen bei den Bewertungen. Die ehemalige Gemeinderätin Verena Schneider kritisierte, dass die Rechnung publiziert wurde, bevor sie revidiert war.
[i] Freude und Wut:
Das Traktandum "Verschiedenes" zum Ende der Versammlung ging rasch über die Bühne, hatte es aber in sich. Spontanen Applaus erhielt Peter Stucki für die Mitteilung, dass Ursula und Bernhard Jegerlehner einen neuen Mieter für ihre Bäckerei gefunden hätten. "Sie konnten am Ende aus zwei Bewerbern auswählen und haben sich für den Bäcker entschieden", sagte Stucki. Da der Mietvertrag noch nicht unterschrieben sei, könne er den Namen noch nicht verraten.
Ohne grosse Reaktion blieb dagegen eine Wortmeldung des ehemaligen Gemeinderats Christof Fankhauser (SVP), die sich direkt gegen Peter Stucki richtete. Nach einer Frage zu privaten Immobiliengeschäften des Gemeindepräsidenten, die dieser unbeantwortet liess, äusserte Fankhauser den Verdacht, dass sich der Gemeinderat bei einem Verkauf von gemeindeeigenen Wohnhäusern nicht an die eigene Abstimmungsbotschaft zum Geschäft gehalten habe. Mit der Begründung, dass in der Sache Beschwerden von Fankhauser hängig sind, wollte Stucki nicht auf die Vorwürfe eingehen. Fankhauser kritisierte Stuckis Amtsführung auch grundsätzlich und forderte dessen Rücktritt. "Es ist Zeit für einen neuen Gemeindepräsidenten", sagte er. BERN-OST gegenüber bezeichnete Stucki den Angriff als "unvorstellbar". Zu einem möglichen Rücktritt sagte er: "Meine Pläne werden nicht von Fankhauser diktiert."
[i] Siehe auch News-Berichte:
- "Walkringen - Letzte Chance für die Schulsozialarbeit" vom 17.5.2018