Brenzikofen - Brücken schlagen und sie auch überqueren

Einmal etwas Verrücktes tun, diese Idee trug Hanspeter Tschanz lange mit sich herum. Dann setzte er sie in die Tat um und wanderte 1075 Kilometer nach Tschechien.

Silvia Ben el Warda-Wullschläger / Wochen-Zeitung
Bis 2007 war Hanspeter Tschanz Gemeindepräsident von Brenzikofen. In dieser Fuktion besuchte er auch mehrmals die Partnergemeinde Vyskytná in Tschechien, stets mit dem Auto. «Jedes Mal überlegte ich, ob diese Strecke wohl auch zu Fuss zu überwinden wäre», erzählt er. Die Idee setzte sich in seinem Kopf fest und liess ihn nicht mehr los. Als er seine letzte Gemeindeversammlung leitete, standen plötzlich drei Personen aus Tschechien im Raum. Sie überraschten ihn zu seinem Abschied mit einem Besuch. «Da war mir klar: ich mache es.» Es sollte nochmals gut vier Jahre dauern, bis Hanspeter Tschanz, ausgerüstete mit einem 8,5-Kilogramm schweren Rucksack, am 6. Juni 2012 von seiner Frau Abschied nahm. Kaum jemand in Brenzikofen wusste von seinem Vorhaben. «Ich wollte mich nicht unnötig unter Druck setzen, schliesslich wusste ich nicht, ob ich es schaffe.»

Erster Halt: Beatushölen


Dass Hanspeter Tschanz seine Füsse als «Transportmittel» wählte und nicht zum Beispiel das Velo, ist kein Zufall. Der 53-Jährige ist ein erfahrener Marathonläufer, den die lange Strecke mit den zahlreichen Passüberquerungen nicht abschrecken konnte. Er stellte speziell für sein Vorhaben einen Trainingsplan zusammen, wählte das Gepäck sorgfältig aus – Hauptkriterium war das Gewicht – und teilte die Route in Etappen von 40 bis 50 Tageskilometern ein. «Dabei achtete ich darauf, dass ich abseits von Strassen, durch landschaftlich schöne Gegenden laufen konnte.

Natürlich plante ich auch den Besuch von einigen Sehenswürdigkeiten ein.» Ein erstes Mal war dies bereits am Thunersee der Fall, bei den Beatushöhlen. «Dort war ich seit der 2. Klasse nicht mehr, nun hatte ich Zeit dafür.» Überhaupt war es für Hanspeter Tschanz wichtig, nicht unter Zeitdruck zu stehen. «Bei einem Marathon oder einem Lauf geht es immer um die Zeit. Für mich spielte diese nun keine Rolle, ich fühlte mich völlig frei.» Pro Tag war er zehn bis zwölf Stunden unterwegs.

Mit geschärften Sinnen unterwegs


Seine Bedenken, dass es ihm langweilig werden könnte, so lange allein unterwegs zu sein, lösten sich bald in Luft aus. «Ich habe so viel gesehen und erlebt, dass ich jeden morgen dachte: was Verrücktes geschieht heute?» Auch seien ihm Dinge aufgefallen, die er sonst kaum beachtet hätte – Blumen, Pflanzen und Tiere am Wegrand. All seine Sinne seien geschärft gewesen. «Vorher war für mich Wasser gleich Wasser. Plötzlich merkte ich, dass jedes Wasser seinen eigenen Geschmack hat.» Als er entlang von Gleisen marschiert sei, habe er realisiert, dass sich jeder Zug – je nach Länge, Gewicht und Geschwindigkeit – anders ankünde.

Auch die Gedanken, so stellte Hanspeter Tschanz bald fest, gingen auf der Wanderung eigene Wege. Das Tagesgeschehen, die Politik, der Sport verloren an Bedeutung. Übernachtete er einmal in einer Pension, schaltete er den Fernseher nicht ein. «Ich hatte kein Bedürfnis nach News. Selbst die Euro interessierte mich nicht.» Dafür gewann anderes an Wichtigkeit, oft Begebenheiten aus seinem Leben. «Als ich einen Schwalbenschwanz sah, assoziierte ich dies mit ‹Schmetterlinge im Bauch› und erinnerte mich an meine hübsche, liebe Lehrerin in der 5. Klasse, in die ich damals verliebt war.»

Ein andermal studierte er einer Frage nach, die ihm ein Gast in einem Restaurant mehrfach gestellt hatte: «Wovor läufst du davon?» – «Vor nichts», habe seine Antwort gelautet. Doch später sei ihm die Frage nicht mehr aus dem Kopf gegangen. «Vielleicht bin ich doch dem Alltagstrott ein Stück weit davon gelaufen.» Er arbeite seit 30 Jahren für die Landi, was er auch gerne mache, aber nun sei die Zeit reif gewesen, etwas ganz anderes zu tun, sagt der Geschäftsführer der Landi Brenzikofen.

Nie allein am Wirtshaustisch


Am eindrücklichsten waren für Hanspeter Tschanz die Begegnungen mit den Menschen. Obwohl er sich sonst nicht als jemanden kenne, der sofort auf Leute zugehe, sei er in keiner «Beiz» allein am Tisch gesessen. «Es hat mich zu den Menschen hingezogen. Dabei entstanden interessante Gespräche.» Ihm seien Übernachtungsmöglichkeiten angeboten oder vermittelt worden, die Hilfsbereitschaft der Leute sei gross gewesen. Ein besonderes Erlebnis war es, als ihn ein Österreicher einen Tag lang begleitete. «Erst als wir unterwegs waren, erfuhr ich, dass es ein ehemaliger österreichischer Senioren Marathonmeister war. Er konnte aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr rennen und haderte mit seinem Schicksal. Am Ende des Tages sagte er zu mir: ‹Ich habe erst jetzt gemerkt, dass auch das Marschieren Spass machen kann.›» Zu ihm und auch zu anderen pflegt Hanspeter Tschanz noch heute Kontakt.

Probleme mit Hand und Schnee


Trotz allem Schönen erlebte der Weltenbummler auch zwei schwierige Situationen. Das eine Mal verletzte er sich bei einem Sturz am Oberalp an der Hand, die darauf stark anschwoll. Zwei Tage später kehrte er in einer kleinen «Beiz» am Rhein ein. «Die Wirtin sah meine Hand und holte eine Plastiktasche voller Beinwell-Blätter. Damit hat sie meine Hand eingebunden, und die Geschwulst bildete sich rasch zurück.» Der zweite kritische Moment erlebte Hanspeter Tschanz beim Grenzübergang nach Österreich, am Schweizertor. Es schneite ohne Unterbruch und hatte Nebel. «Ich sah kaum die Hand vor den Augen und wusste irgendwann nicht mehr, wo der Weg durchführt.» Schliesslich entdeckte er eine Fussspur, der er folgen konnte und die ihn in die gewünschte Richtung führte. «Rückblickend muss ich sage, dass ich dort wohl zu viel risikiert habe. Aber es ist ja noch mal gut gegangen.»

Partnerschaft neu beleben


Als Hanspeter Tschanz an seinem Ziel in Tschechien eintraf, wurde er herzlich empfangen. Erst zwei Tage vorher sickerte in Vyskytná durch, dass er zu ihnen unterwegs ist. Seine Freunde organisierten daraufhin ein kleines Fest. Im Mittelpunkt stand der Brenzikofer, der mit seinem Fussmarsch auch die Freundschaft der beiden Partnergemeinden mit neuen Ideen ankurbeln möchte. Diese Partnerschaft besteht dieses Jahr seit 20 Jahren.

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Erstellt: 04.04.2013
Geändert: 04.04.2013
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