Bolligen - SP hofft auf Kiener Nellens Rückzug
Geht die Karriere der Berner SP-Nationalrätin Margret Kiener Nellen wegen ihrer angeblichen Steueroptimierung vorzeitig zu Ende? Wie es aussieht, bewegt die SP sie zum Rücktritt. Offen sagt das aber niemand.
Die Wasserpredigerin
Seither reissen die Vorwürfe nicht ab. Margret Kiener Nellen sei scheinheilig, eine Wein trinkende Wasserpredigerin, hiess es allenthalben. Der «Blick» wandte sich abrupt von ihr ab und griff die «SP-Steuersparerin» hart an. Innerhalb der Partei regte sich Unmut, zum Teil, weil man die Steuertricks missbilligt, zum Teil aus Angst, Kiener Nellen werde für die SP zur Hypothek. Offene Rücktrittsaufforderungen sind zwar nicht bekannt. Aber die Sozialdemokraten stehen auch nicht gerade Schlange, um ihrer Kollegin in der Öffentlichkeit den Rücken zu stärken.
Eigentlich möchte sie gern
Kiener Nellens Pech ist, dass die alte Geschichte ausgerechnet jetzt – ein Jahr vor den Wahlen – bekannt wird. Die grosse Frage ist, ob die 61-Jährige 2015 für eine weitere Amtszeit im Nationalrat – es wäre ihre vierte – antritt. Daran würde normalerweise niemand zweifeln. Kiener Nellen versprühte bis vor drei Wochen unermüdliche Kampfeslust. Bis zu diesem folgenreichen 6. November stand für sie und alle anderen fest, dass sie wieder antritt. In den Unterlagen zum letzten SP-Parteitag, der just am Abend vor der Veröffentlichung des «Weltwoche»-Artikels stattfand, hielt die Parteileitung fest: «Alle Bisherigen haben signalisiert, dass sie wieder antreten möchten.» Ob das im Fall Kiener Nellen heute auch noch gilt, ist alles andere als klar. Der «Blick» berichtete gestern, sie selber möchte zwar immer noch antreten, die Partei lehne dies aber ab. Kiener Nellen wollte am Donnerstag auf Nachfrage keine Stellung nehmen. Es sei alles gesagt, meinte sie. Dem Vernehmen nach soll sie nächste Woche informieren.
Die anderen wären wohl froh
Die Präsidentin der SP Kanton Bern, Ursula Marti, sagte gestern, es stimme überhaupt nicht, dass die Partei Kiener Nellen loswerden wolle. «Uns allen ist klar, dass es letztlich ihre Entscheidung ist, ob sie noch einmal antreten will. Wir setzen sie nicht unter Druck.» Marti verhehlt nicht, dass es in der Partei viel Unverständnis über den Steuerabzug gebe. «Aber wir dürfen auch nicht vergessen, dass Margret Kiener Nellen eine langjährige, loyale Nationalrätin ist.» Sie habe stets im Sinn der Partei politisiert und dabei viel erreicht. «Das wiegt für mich schwerer als ihre Steueroptimierung, für die sie sich ja auch entschuldigt hat.»
Bei anderen SP-Vertretern tönt es – wenn auch nur hinter vorgehaltener Hand – weniger nett. Man geht davon aus, dass Kiener Nellen von sich aus verzichtet, um der Partei keinen weiteren Schaden zuzufügen. Am meisten freuen würden sich wohl die anderen fünf Nationalratsmitglieder der Berner SP, deren Wiederwahl etwas sicherer würde, wenn Kiener Nellen verzichtet. Immerhin hat der Kanton Bern künftig nur noch 25 statt 26 Sitze im Nationalrat, was die Konkurrenz verschärft.
Der Parteitag wäre ein Risiko
Margret Kiener Nellen dürfte sich gut überlegen, ob sie eine erneute Kandidatur anstreben soll. Sie ginge damit das Risiko ein, am SP-Parteitag im März offen angegriffen zu werden und allenfalls sogar die Nomination zu verpassen. Das wäre das schlimmstmögliche Karrierenende.
Schon in den letzten Wochen musste Kiener Nellen untendurch. Das setzte sich am Donnerstag in der Budgetdebatte des Nationalrats fort. Kiener Nellen hatte zwei eigene Anträge eingereicht, mit denen sie die erwarteten Steuereinnahmen um 250 Millionen Franken erhöhen wollte, um das Budget zu verbessern. Die Pointe dabei: Sie wollte, dass der Bund diese zusätzlichen Gelder über intensivere Steuerrevisionen und Kontrollen hereinholt.
Spott im Nationalrat
Vorsichtshalber vertrat Kiener Nellen ihre Anträge nicht selber, sondern liess – offiziell freiwillig – Kollege Cédric Wermuth den Vortritt. Trotzdem schüttete die Gegenseite Spott und Hohn über der Bernerin aus, allen voran der Baselbieter Christian Miesch (SVP): «Ausgerechnet die prominenteste Steueroptimiererin verlangt diese Aufstockung. Der Verdacht liegt nahe, dass die SP und nicht die Steuerverwaltung ein Personalproblem hat.»
[i] "Die gute Seite"
Einer der schärfsten Kritiker von Steueroptimierungen aller Art ist der Berner Grossrat Roland Näf, bis vor kurzem Präsident der kantonalen SP. Doch auch er fordert Nationalrätin Margret Kiener Nellen nicht zum Rücktritt auf: «Dazu sage ich nichts.» Etwas anderes will Näf aber unbedingt sagen. Aus seiner Sicht hat die ganze Geschichte auch etwas Gutes. Man nehme jetzt endlich breit wahr, dass vom heutigen Steuersystem mit dessen vielen Schlupflöchern nur «Reiche» profitierten. «Ich hoffe fest, dass diese Affäre endlich auch Bürgerliche dazu bringt, für ein gerechteres System einzustehen.»