Bolligen - Die netten Schlepper

Yannik Böhm aus Bolligen machte sich mit Gleichgesinnten auf, um Flüchtlinge unentgeltlich in deren Zielland zu bringen. Schliesslich mussten sie sich aber damit begnügen, humanitäre Hilfe vor Ort zu leisten.

Fabian Christl, Der Bund

Samstag, 18 Uhr, in Botovo, einem kleinen Dorf in Kroatien, nahe der ungarischen Grenze. Die «Open-Borders-Caravan» ist gerade angekommen. Ihre Mission: syrische Kriegsflüchtlinge über die Schengen-Grenze in ihr Wunschland zu schleusen – unentgeltlich, versteht sich. Schliesslich handelt es sich um eine «Aktion des zivilen Ungehorsams», um auf die Missstände an den EU-Aussengrenzen aufmerksam zu machen, wie einer vorgängig verschickten Medienmitteilung zu entnehmen ist.

Angestossen wurde die Karawane von der Interventionistischen Linken, einer ausserparlamentarischen Gruppierung aus Deutschland. In der Folge beteiligten sich aber mehrere Hundert Aktivisten aus Deutschland, Italien, Österreich und Slowenien. Auch aus der Region Bern haben sich mehrere Personen der Karawane angeschlossen – 13 Personen mit sechs mit Hilfsgütern vollgepackten Autos.

Konkret und symbolisch

Die Berner Beteiligung ist auf das Engagement von Yannik Böhm zurückzuführen. Der 28-jährige Bolliger hat sich zu einem Treffen mit dem «Bund» bereit erklärt. Er sei gleich davon begeistert gewesen, als er vom Aufruf gehört habe, erzählt er. Fluchthilfe sei einerseits sehr konkret, habe aber auch eine grosse symbolische Dimension.

«Es setzt der grassierenden Fremdenfeindlichkeit und der Abschottungspolitik von Euro­pa etwas entgegen.» Dass es sich dabei um eine illegale Tat handle, spiele für ihn keine Rolle. Ihn interessiere die «Gerechtigkeit» mehr als die «Rechtmässigkeit». Und solange es keine legalen Einreisemöglichkeiten gebe, sei Fluchthilfe seiner Meinung nach gerechtfertigt. Auch das persönliche Risiko habe ihm keine Sorgen bereitet: «Was uns schlimmstenfalls droht, steht in keinem Verhältnis zu dem, was die syrischen Flüchtlinge tagtäglich erleben.»

Notsituation kam dazwischen

Wohin die Karawane überhaupt führen sollte, war bis zuletzt unklar. «Da sich die Situation an den Grenzen teils im Stundentakt ändert, hätte es keinen Sinn gemacht, sich bereits im Vorfeld auf einen konkreten Fahrplan zu einigen», sagt Böhm. Man habe sich aber mit den anderen Aktivisten auf einen Treffpunkt in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana am Samstagvormittag geeinigt. Dort sollte gemeinsam das weitere Vorgehen entschieden werden.

Doch so weit kam es nicht. Am Freitagabend erreichten zahlreiche Meldungen aus dem Flüchtlingslager in Opatovac die Karawane. «Im masslos überfüllten Lager fehle es an Nahrung und Zelten – die Flüchtlinge mussten bei Regen und kühlen 13 Grad im Freien übernachten», schildert Böhm. «Sogar Polizisten hätten die Flüchtlinge gepflegt, weil ihnen die Situation so nahe ging, hiess es.»

«Helfen können andere besser»

Ein Teil der Karawane entschied sich aufgrund dieser Meldungen, den Plan zu ändern und direkt Opatovac anzusteuern. «Ich fand das nicht optimal», gibt Böhm zu. Schliesslich sei man aufgebrochen, um eine «politische» und keine «humanitäre» Aktion durchzuführen. «Helfen können andere besser. Wir sind dafür Profis in zivilem Ungehorsam.»

Böhm und seine Mitstreiter entschieden sich daraufhin, an den vereinbarten Treffpunkt in Ljubljana zu fahren. Dort wurden sich die Aktivisten einig: Sie wollen den Flüchtlingen im eingangs erwähnten Botovo an der kroatisch-ungarischen Grenze helfen. So hätten die ungarischen Behörden angekündigt, die Grenzen völlig abzuriegeln und militärisch zu bewachen.

«In Botovo haben wir gelernt, dass offiziellen Verlautbarungen nicht immer zu trauen ist», sagt Böhm. Denn anders als angekündigt, öffnete Ungarn seine Grenze und stellte den Flüchtlingen Züge in Richtung Österreich zur Verfügung. «So erübrigte sich natürlich die Schleuserarbeit», sagt Böhm. Tatenlos blieben die Aktivisten trotzdem nicht. Sie verteilten kurzerhand die mitgebrachten Nahrungsmittel, Kleider, Schlafsäcke und Zelte an die vorbeiziehenden Flüchtlinge.

Für künftige Aktionen gerüstet

Obwohl Böhm schliesslich ohne Flüchtlinge im Gepäck wieder nach Hause gekommen ist, hält er die Aktion für einen Erfolg. «Wir konnten extrem viel lernen und uns gut vernetzen», sagt er. Das helfe bei allfälligen künftigen Aktionen. Zudem kann die Open-Borders-Caravan doch noch einen vollzogenen Akt politischen Ungehorsams vorweisen: Die beteiligten Deutschen haben auf dem Nachhauseweg 60 Flüchtlinge von Wien nach Berlin gebracht.


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Erstellt: 01.10.2015
Geändert: 01.10.2015
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